Panorama

Gesundheitsamtsleiter bei ntv "Wir sind im absoluten Notprogramm"

Mitarbeiter des Gesundheitsamts Berlin-Neukölln arbeiten derzeit am Limit.

Mitarbeiter des Gesundheitsamts Berlin-Neukölln arbeiten derzeit am Limit.

(Foto: dpa)

Die Omikron-Welle bewegt sich auf ihren Höhepunkt zu - eine Extremsituation für die Gesundheitsämter. Für die Behörde in Berlin-Neukölln berichtet Leiter Nicolai Savaskan: "Die aufsuchende Arbeit und die Arbeit am Bürger muss jetzt leider in dieser Phase leiden."

ntv: Die Neuinfektionszahlen sind so hoch wie nie zuvor, und die Gesundheitsämter müssen diese Fälle alle abarbeiten. Wie geht es Ihnen dabei momentan? Wie kommen Sie noch hinterher?

Nicolai Savaskan: Wir sind jetzt im absoluten Notprogramm. Das heißt, dass wir wirklich nur noch Fälle bearbeiten und melden, sodass die Statistiken über die positiven Testungen auch wirklich ankommen bei der Landes- und dann bei der Bundesbehörde. Das geht natürlich nicht ohne Kosten. Die Kosten, die wir dafür zahlen, ist ein eingeschränkter Bürgerservice, sodass wir unsere Hotline jetzt zeitweise einstellen mussten.

Was bedeutet das für die Datenlage? Wie realistisch sind die Zahlen noch, die wir momentan vom RKI jeden Tag bekommen?

Ich kann nur für Berlin sprechen, und da sieht es so aus, dass wir alle positiven Labormeldungen, die in das Gesundheitsamt eingehen, weiterverarbeiten und auch melden. Da gab es einen kleinen Verzug von bis zu zwei Tagen. Jetzt sind alle Gesundheitsämter in Berlin so weit, dass sie wieder tagesaktuell melden können. Das heißt aber nicht, dass wir das gesamte Lagebild haben, denn der Engpass liegt vor allen Dingen bei den Laboren. In Berlin haben wir seit über zwei Wochen eine über 95-prozentige Auslastung der Labore. Das heißt also, Bürgerinnen und Bürger, die bisher eine PCR Testung machen wollten, müssen heute viel länger warten, als es noch im Dezember der Fall war. Und insofern ist das Lagebild verzögert.

Erfassen Sie denn dann lieber möglichst schnell, um aktuelle Daten zu haben? Oder ist die Kontaktnachverfolgung eigentlich wichtiger?

Wichtiger ist die Kontaktnachverfolgung in den Bereichen der medizinischen Einrichtungen. Das heißt: primär Pflegeheime, primär Krankenhäuser, Arztpraxen. Aber die Fallbearbeitung ist auch ein wichtiger Auftrag, den die Gesundheitsämter zu erfüllen haben, denn die politisch Verantwortlichen brauchen eine Datenbasis, auf der sie ihre Entscheidungen treffen können. Und insofern ist das beides in Abwägung prioritär zu behandeln, während die aufsuchende Arbeit und die Arbeit am Bürger jetzt leider in dieser Phase leiden musste. Dadurch, dass die Gesundheitsämter auch personell ja keine Aufstockung seit letzten Herbst erhielten.

Wenn man jetzt ein positives Testergebnis erhält, aber das Gesundheitsamt sich nicht meldet, was macht man denn dann genau? Ist das in diesen Zeiten normal?

Ja, in der Tat ist das mittlerweile der Fall, dass wir das Gros der Bürgerinnen und Bürger nur noch per Brief oder per E-Mail informieren. Wir haben dazu ein spezielles Corona-Booklet entwickelt, in dem alle wichtigen Informationen gebündelt enthalten sind. Und wir achten darauf, dass wir Menschen, die jünger als 18 Jahre und älter als 69 Jahre sind, dass wir diese noch einmal persönlich kontaktieren, um sicherzugehen, dass auch alles verstanden wird, und auch um abzuklären, ob nicht doch auch eine besondere medizinische Situation vorliegt, wo Handeln dann erforderlich ist.

Nicht jeder kann momentan noch PCR-Tests machen. Inwiefern sind positive Schnelltests, die auch bei Ihnen ankommen, Grundlage für die Berechnung der Neuinfektionszahl?

Das ist eine gute Frage, denn bisher ist in der Falldefinition des RKI nicht vorgesehen, dass ein Schnelltest eine Covid-19-Erkrankung auch bestätigt. Da muss sicherlich noch mal vom RKI nachgebessert werden, weil das ganz wesentlich ist, um diese Daten dann zu melden. Und wir haben noch das Problem, anders als bei den Laboren, die die PCR-Ergebnisse den Gesundheitsämtern überliefern, haben wir ja bei den Bürgerteststellen bisher noch keine technische Anbindung an die Gesundheitsämter.

Da muss ich noch mal nachfragen: Ist es so, dass die Testcenter Ihnen positive Schnelltests trotzdem melden und sie die auch ans RKI weitergeben? Oder findet das momentan noch gar nicht statt?

Zum jetzigen Zeitpunkt haben wir noch keine technischen Anbindungen, und das heißt, das sind alles Handarbeiten, die wir momentan machen, und sie können sich vorstellen, dass bei Fallzahlen von täglich über 1000 dieses System ganz schnell an die Grenzen kommt.

Bayern will die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht umsetzen, die Union insgesamt möchte, dass das bundesweit gestoppt wird. Wie bewerten Sie das?

Es obliegt nicht mir, jetzt hier eine Bewertung zu geben vonseiten eines Gesundheitsamtes, aber ich glaube, es besteht im medizinisch-wissenschaftlichen Kontext Klarheit darüber, dass eine Impfpflicht in Einrichtungen mit vulnerablen Gruppen, mit Menschen, die Vorerkrankungen haben, sehr sinnreich ist und auch gut medizinisch begründbar ist.

Das Gesundheitsministerium sieht vor, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht von den Gesundheitsämtern kontrolliert werden soll. Was würde das für die Gesundheitsämter bedeuten, wenn diese Aufgabe auch noch auf sie zukommt?

Gerade diese Aufgabe ist jetzt eine sehr kritische, denn die hat zwei Komponenten. Zum einen ist die Überwachung der Impfpflicht personalintensiv, und das zweite ist, dass die Gesundheitsämter im Besonderen bisher als Beratungs- und auch als Kontrollfunktion für diese Einrichtungen fungiert hatten und jetzt zusätzlich in ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis hineingezogen werden, wo ich denke, dass die Rolle der Gesundheitsämter hier eine deplatzierte ist.

Mit Nicolai Savaskan sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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