
Der Autor stolperte am 24. Dezember 2019 am Strand von Sitges über diese possierliche Figur.
(Foto: privat)
Sobald im nordspanischen Katalonien die erste Kerze brennt, pflegen Kinder und Erwachsene wieder einen alten Brauch, den man "beschissen" nennen darf. Im Mittelpunkt stehen schließlich nicht Kerzen oder Tannenbäume – alles dreht sich um ein Häufchen Scheiße!
"Caga Tió" lacht immer - ganz gleich, wie viel Prügel der kleine Kerl kassiert: Mit Stöcken, manchmal auch mit Tennisschlägern oder durch die Füße seiner Peiniger, die zugleich seine Nutznießer sind. Denn wenn sie am Heiligen Abend wieder auf ihn einhauen, machen sie es nicht aus purer Lust, sondern in der Erwartung, dass er viele Geschenke für sie ausscheidet - also kackt! Auf gut Katalanisch "cagar". "Caga Tió" bedeutet deshalb so etwas wie "Onkel Scheißerlein".
Die Katalanen - ein Pipi-Kacka-Volk?
Der arme Onkel ist eine Kultfigur in Katalonien, der Region rund um Barcelona. In der großen Politik streben die Katalanen bekanntlich nach Unabhängigkeit von Spanien. Im privaten Kreis ihrer Familien feiern sie die Vorweihnachtszeit und das Fest längst in einer bemerkenswert unabhängigen Tradition. Der Caga Tió versetzt ein ganzes Volk, Kinder wie Erwachsene, gewissermaßen in die "Pipi-Kacka-Phase" - oder verhindert, dass sie sie jemals überwinden.
Caga Tió, der auch "Tió de Nadal" genannt wird, kommt als runder Holzscheit daher, der mit einem lachenden Gesicht bemalt ist, auf zwei oder vier Holzbeinchen steht und die rote, traditionell katalanische Kappe "Barretina" trägt. Über dem Ende des Holzes - dem Allerwertesten des Onkelchens - liegt eine Decke. Darunter legen die Erwachsenen Süßigkeiten oder Essensreste, um ihn zu füttern. Tatsächlich futtern die Großen die Sachen auf oder lassen sie heimlich verschwinden. Am Tag der Bescherung machen sich schließlich die Kleinen über das Holz her und singen Lieder wie: "Caga Tió. Tió de Nadal, no caguis arengades que són salades, caga torrons que són molt bons." - "Caga Tió, scheiß keine Heringe, weil sie salzig sind, scheiß Bonbons, weil die viel besser schmecken!" Es ist eine durch und durch vulgäre Tradition, die in der weiten Welt der Weihnacht ihresgleichen sucht.
Christliche und heidnische Deutungen des Kack-Kults
Dabei gibt es rund um den Globus einige eigenwillige Weihnachtsbräuche - angefangen bei unseren eigenen Flunkereien und Ungereimtheiten rund um die Figuren von Weihnachtsmann, Nikolaus, Christkind und Knecht Ruprecht. Wer war bei uns als junger Mensch nicht verwirrt: Wer bringt mir denn jetzt meine Geschenke? Zur Unübersichtlichkeit der Lage tragen die Importe aus der allgegenwärtigen englischen Sprache bei: "Santa Claus", "Chris Kringle" oder "Krampus".
Letzterer stammt wiederum aus der europäischen Alpenregion und hat mit der "Krampusnacht" am 5. Dezember seinen Auftritt: "Brave Kinder" stellen ihre leeren Stiefel für den Heiligen Sankt Nikolaus vor die Türe. "Die bösen Kinder" aber sollen sich davor fürchten, von einem finsteren Gesellen in die Hölle entführt zu werden - oder wenigstens mit einer Rute eine Tracht Prügel zu bekommen. Diese abstoßenden Bräuche werden unterschiedlich hergeleitet. Die Deutungen reichen von einem antichristlichen Nikolaus, also einer Art Teufel, der die Menschen an ihre Sünden erinnert - bis hin zu vorchristlich heidnischen Vorstellungen, das Böse mithilfe von Ritualen auszutreiben.
Für das Scheißerlein von Katalonien gibt es eine Reihe ähnlicher Interpretationen. Der genaue Ursprung ist unklar. Die christliche Weihnachtsgeschichte, wie wir sie kennen, ist stark bereinigt: Sie kommt ohne Windeln und Körperflüssigkeiten aus. Die in Geschenke umgewandelten Fäkalien von Caga Tió dagegen symbolisieren das Urmenschliche und zugleich Wundersame im Jesuskind. Dass die offizielle Fütterungszeit des Holzstücks am 8. Dezember beginnt, also an "Mariä Empfängnis", stützt die christlichen Auslegungen. Unterdessen handelt die heidnische Version von Fruchtbarkeit und Vergänglichkeit. So widerwärtig Dung ist, so essenziell ist er für die Fruchtbarkeit der Felder. Die Exkremente sind am buchstäblichen Ende sogar etwas Gutes: Die Süßigkeiten, die Caga Tió an Weihnachten scheißt, bedeuten Reichtum und Glück.
Mehr als 30.000 Prominente in Klo-Stellung
Was den Ruf Kataloniens darüber hinaus als dreckiges "Kackalonien" besiegelt, ist eine zweite Figur, die kräftig kackt - und die in keiner katalanischen Weihnachtskrippe fehlen darf! "Caganer" ist die Fortsetzung von Caga Tió mit menschlichen Darstellungsmitteln, also mit Armen und Beinen, Kopf und einem - stets nackten - Po in Klo-Stellung. Und weil das nicht genug ist, liegt darunter ein stattlicher Scheißhaufen.

Traditionelles Bauerntum und moderne Prominenz beim Geschäft vereint.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Traditionell stellen die handbemalten Tonfiguren einen katalanischen Bauern dar, gekleidet mit schwarzer Hose und weißem Hemd und ebenfalls mit der roten Barretina auf dem Kopf. Die Figur geht offenbar auf die Barockzeit vor rund 300 Jahren zurück, als explizite Darstellungen Kunst und Sprache prägten. Aber auch heute bilden sie noch einen Teil des katalanischen Ausdrucks.
Die Tradition des Realismus spiegelt sich heute umso mehr in den kleinen Caganers, die es seit dem letzten Jahrhundert auch in der Gestalt von zahlreichen Gegenwartsgrößen gibt: Sportler, Könige, Schauspieler, Musiker - zum Beispiel ein kackender Leo Messi, ein kackender Charles III., ein kackender Dr. Strange oder eine kackende Shakira. Man findet sie für Preise zwischen 12 und 21 Euro auf den Weihnachtsmärkten der Region, angefangen beim schönen "Fira de Santa Llúcia" in der Altstadt von Barcelona.
Biden, Putin und Scholz kacken mit
Zum Sortiment zählen auch Politiker aller Couleur, nicht nur aus den Reihen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und der spanischen Reaktion. So gibt es einen kackenden Joe Biden oder einen kackenden Wladimir Putin, einen kackenden Recep Tayyip Erdoğan oder die große kackende Koalition aus Angela Merkel und Olaf Scholz.
Zwischen 30.000 und 40.000 Caganer will alleine der größte Hersteller caganer.com jedes Jahr verkaufen, viele davon für den Export. Kein Wunder vielleicht, wenn man bedenkt wie kacke die Welt geworden ist und wie gut der letzte Scheiß trotzdem manchmal ist.
Quelle: ntv.de