Landtagswahl in Thüringen AfD erstmals stärkste Kraft, CDU will regieren, Debakel für Linke
01.09.2024, 18:00 Uhr
Höckes AfD ist in Thüringen stärkste Kraft geworden - eine Regierungsoption hat er aber nicht.
(Foto: picture alliance/dpa)
Bei der Landtagswahl in Thüringen wird die AfD wie erwartet stärkste Kraft. Die CDU erreicht die zweitmeisten Stimmen. Für eine Mehrheit mit SPD und BSW reicht es dennoch aktuell nicht. Grüne und FDP sind nicht mehr im nächsten Landtag vertreten.
Erstmals überhaupt ist die AfD bei einer Landtagswahl in Deutschland stärkste Kraft geworden. In Thüringen wird die Partei von Spitzenkandidat Björn Höcke im neuen Landtag über die meisten Sitze verfügen. Laut einer Hochrechnung von Infratest Dimap für die ARD (22:18 Uhr) erreichte die Partei 32,9 Prozent der Stimmen. Dahinter folgt die CDU mit 23,7 und das BSW mit 15,6 Prozent.
Die bisher regierende Koalition aus Linke, SPD und Grünen erlebte dagegen ein Debakel und wurde abgewählt. Die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow brach ein und kommt voraussichtlich nur noch auf 13,0 Prozent - ein Minus von rund 18 Prozentpunkten. Die SPD steht der Hochrechnung zufolge bei 6,1 Prozent. Die Grünen scheitern mit 3,2 Prozent an der Fünfprozenthürde. Auch die von Thomas Kemmerich geführte FDP schafft den Wiedereinzug nicht - sie kommt nur noch auf 1,1 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag bei überraschend hohen 73,5 Prozent - vor fünf Jahren waren es noch 64,9 Prozent gewesen.
Die Mandatsverteilung im künftigen Landtag dürfte laut ARD und ZDF so aussehen: AfD 32 Mandate, CDU 23, BSW 15, Linke 12, SPD 6. Die AfD dürfte allerdings nicht in der Lage sein, eine Regierung zu bilden. Alle anderen Parteien haben ausgeschlossen, mit der Höcke-Partei zu koalieren. Als wahrscheinlich galt nach ersten Hochrechnungen ein Bündnis von CDU, SPD und BSW. Dieses kommt derzeit aber auch knapp auf keine eigene Mehrheit - ein Sitz fehlt. Mit 32 von 88 Sitzen hätte die AfD aber eine Sperrminorität und könnte Verfassungsänderungen oder die Besetzung von Richterposten am Landesverfassungsgerichtshof verhindern. Dem Thüringer Verfassungsschutz zufolge ist die AfD in Thüringen "gesichert rechtsextrem".
In einer Hochrechnung des ZDF (Forschungsgruppe Wahlen, 21:58 Uhr) erreicht die AfD einen noch etwas höheren Wert. Dort kommt die Partei auf 33,1 Prozent, die CDU auf 23,6. Dahinter folgen BSW (15,6), Linke (12,9), SPD (6,0), Grüne (3,2).
Im benachbarten Sachsen wurde ebenfalls gewählt. Dort liegt die CDU laut einer ersten Hochrechnung knapp vor der AfD.
Voigt sieht Regierungsauftrag bei CDU
AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke sagte bei ntv, er wolle "selbstverständlich" Ministerpräsident werden. "Ich glaube, nach diesem historischen Ergebnis in Thüringen kann es kein Weiter so geben. Die Brandmauer-Politik ist gescheitert. Egal, ob man jetzt AfD oder BSW gewählt hat." Die Menschen wollten eine Veränderung und "politische Veränderung wird es gegen die stärkste Kraft in Thüringen nicht geben können. Und ich bin mal gespannt, wie die Alt-Parteien dann versuchen, irgendwie eine Verlierer-Koalition aufzusetzen. Das wird spannend."
Thüringens CDU-Chef Mario Voigt sieht in den Prognosen zum Ausgang der Landtagswahl den Auftrag zur Regierungsbildung bei den Christdemokraten. "Wir begreifen das als CDU auch als Chance für den politischen Wechsel unter der Führung der CDU", sagte der 47-Jährige in Erfurt. Sein erster Ansprechpartner für Gespräche sei die SPD. Deren Spitzenkandidat Georg Maier sagte bei ntv: "Wir müssen uns diesen Aufgaben stellen. Es geht um die Demokratie. Es geht um Thüringen."
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht sagte im MDR, sie hoffe sehr, dass ihre Partei mit der CDU eine gute Regierung zusammenbekommen werde. Im ZDF nannte sie das Starkmachen für eine andere Außenpolitik im Bund als Bedingung für eine Regierungsbeteiligung in Thüringen. Es müsse mehr Frieden und Diplomatie geben, sagte Wagenknecht im ZDF. "Beides ist uns sehr, sehr wichtig (...) Das werden unsere Bedingungen für eine Regierung sein." Sie hoffe, dass dies mit der CDU und den anderen Parteien, die es zur Regierungsbildung bedürfe, möglich sei.
Der Generalsekretär der Bundes-CDU, Carsten Linnemann, sieht seine Partei als die letzte verbliebene echte Volkspartei. "Wir sind das Bollwerk", sagte Linnemann in der ARD mit Blick auf das Erstarken der in Teilen rechtsextremen AfD und des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW). "Es treibt mich um, dass die AfD in Deutschland so stark ist", räumte Linnemann ein.
Die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel, wertete den Ausgang der Wahlen in Thüringen und Sachsen als historischen Erfolg für ihre Partei. Zugleich sei es eine Abstrafung der Ampel-Regierung im Bund, sagte Weidel in der ARD. "Es ist ein Requiem auf diese Koalition." SPD, Grüne und FDP müssten sich nun fragen, ob sie überhaupt weiter regieren könnten.
BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf bezeichnete das Ergebnis ihrer Partei bei der Landtagswahl als "historisch". Ihre erst zu Jahresbeginn gegründete Partei ziehe nun erstmals in den Erfurter Landtag ein, sagte Wolf nach Bekanntwerden der ersten Prognosen zum Wahlausgang. Diese sehen das BSW in Thüringen aus dem Stand bei 14,5 bis 16 Prozent. Damit liegt das BSW hinter AfD und CDU auf Platz drei. "Ich habe Gänsehaut, diesen Moment zu erleben", sagte Wolf weiter. Sie verspüre "Dankbarkeit all jenen gegenüber, die das möglich gemacht haben".
Der noch amtierende Ministerpräsident Ramelow sagte bei ntv, der Tag sei für ihn zweigeteilt. Die höchste gemeldete Wahlbeteiligung finde er "wunderbar." Aber: "Dass meine Partei kannibalisiert worden ist, hat zwei Ursachen. Einmal eine CDU, die permanent die AfD und die Linke gleichgesetzt hat, die Ausschließerietis immer in unsere Richtung gemacht hat, obwohl sie faktisch mit uns fünf Jahre das Land gestaltet hat. Und ein BSW, das angekündigt hat, der AfD 17 Prozent der Stimmen zu holen und in Wirklichkeit haben sie uns jetzt die Stimmen geholt."
Quelle: ntv.de, lme/vpe/AFP/dpa/rts