Politik

Steht sein Name auf der Liste? An Spahn kommt Merkel nicht vorbei

Bernhard Vogel (l.), Mike Mohring (M) und Jens Spahn (r.): Geballte CDU-Kompetenz in Apolda.

Bernhard Vogel (l.), Mike Mohring (M) und Jens Spahn (r.): Geballte CDU-Kompetenz in Apolda.

(Foto: picture alliance / Arifoto Ug/Mi)

Mit dosierter Kritik an der Kanzlerin ist Jens Spahn bekannt geworden. Mittlerweile hält er sich zurück, fordert lediglich eine breitere Aufstellung der CDU. Damit meint er vor allem sich selbst.

Am Ende, als Jens Spahn fertig ist, dankt der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring ihm für die "geile Rede", die er gerade in der Brauerei von Apolda gehalten hat. Das Publikum scheint der gleichen Ansicht zu sein: Es jubelt, applaudiert und steht auf.

Spahn ist der Star des Abends beim Politischen Aschermittwoch der CDU in Thüringen. Es gibt Sahnehering mit Salzkartoffeln, Bier und Blasmusik. Mehrfach betont Mohring, dies sei der größte Stammtisch Ostdeutschlands. "In Demmin gibt es heute Abend auch eine große Veranstaltung und es ist auch schön da, aber hier ist es schöner und hier ist auch die Stimmung besser", sagt er zur Begrüßung. Demmin liegt in Vorpommern, da spricht Angela Merkel.

Es bleibt die einzige Spitze gegen die Kanzlerin. Spahn und Mohring gehören beide zur Riege der Merkel-Kritiker in der CDU, doch das ist an diesem Abend nur in Zwischentönen zu spüren. Er habe Spahn schon vor einem Jahr eingeladen, sagt Mohring. Damals habe er gedacht, bis zum Aschermittwoch werde Spahn ein neues Amt haben - oder vielleicht auch nicht. Eine Anspielung: Es ist bekannt, dass Spahn schon 2013 mit einem Ministerposten gerechnet hatte und enttäuscht war, als er leer ausging. "Jetzt ist es so", witzelt Mohring, "dass er selber nicht weiß, was er wird."

Nicht auf der Liste

Eigentlich dürfte Spahn nichts werden. Zumindest sieht es so die ominöse Liste vor, die nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen kursierte. Fein säuberlich ist dort notiert, wer Minister wird, sollte die Große Koalition zustande kommen. Zwei Dinge fallen an der Liste auf: Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner ist drauf, Spahn nicht. Und Ostdeutsche ebenso wenig.

Sollte die Liste echt gewesen sein, dann gilt sie nicht mehr. Für Spahn war sie ein Glück, weil sie seinem Umfeld erlaubte, sich zu empören. Der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, forderte eine "Verjüngung" der CDU, auch Mohring äußerte sich entsprechend. Zusätzlich mahnte er wie auch andere ostdeutsche Politiker eine Berücksichtigung der jungen Bundesländer an. Die Kritik wurde so laut, dass Merkel eine "personelle Neuaufstellung" in Aussicht stellte. Mehr noch: Sie versprach, die Liste der CDU-Vertreter im künftigen Kabinett bis zum Parteitag am 26. Februar vorzulegen. Ein Sieg der Spahn-Fraktion.

Dass Spahn von vielen in der CDU als Hoffnungsträger angesehen wird, ist an diesem Abend in der Brauerei von Apolda zu spüren. An seinem Tisch bildet sich eine Traube von CDU-Mitgliedern, die ein Selfie mit ihm machen wollen. Spahn macht alles mit, lächelt in Kameras, lässt sich auf die Schulter klopfen und schulterklopft zurück. Und das, obwohl er bereits einen solchen Auftritt hinter sich hat. Am Vormittag war er beim Aschermittwoch der CDU in Fellbach nahe Stuttgart aufgetreten, knapp 400 Kilometer von Apolda entfernt. Schon im Wahlkampf war er kreuz und quer durch die Republik gefahren, um für die CDU zu werben. Und nebenbei natürlich auch für sich selbst.

Aus seinem Ehrgeiz macht Spahn kein Geheimnis. Beim Abschluss der Großen Koalition 2013 wäre er gern Gesundheitsminister geworden - tatsächlich sprach viel dafür, dass er dieses Ressort bekommen würde. Der Job ging jedoch an den bisherigen CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. "Expect the unexpected. And when it happens keep a stiff upper lip", twitterte Spahn damals. Frei übersetzt: Haltung bewahren, auch wenn's schwerfällt. 2014, im folgenden Jahr, kandidierte er gegen den Willen der Parteispitze für einen Platz im Präsidium und gewann. Gröhe zog den Kürzeren; ihn hatte Merkel eigentlich im Präsidium platzieren wollen. 2015 ging es weiter aufwärts, als der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble Spahn zum Parlamentarischen Staatssekretär machte.

Der Merkel-Kritiker muss Merkel gar nicht kritisieren

Und nun? Spahn hat sich offenbar dafür entschieden, die Füße still zu halten. Er kann sich das leisten. Obwohl er die Kanzlerin nie grundsätzlich infrage gestellt hat, ist sein Ruf als Merkel-Kritiker stark genug.

In Apolda hält er eine Rede, die Merkel über weite Strecken auch hätte vortragen können. Trotzdem ist das Publikum begeistert. Zum Beispiel, wenn er darüber spricht, wie wichtig Bildungspolitik sei, wenn "wir wirtschaftlich so erfolgreich bleiben wollen". Dazu stehe "viel Gutes im Koalitionsvertrag". Das sagt er mehrfach, auch bei anderen Themen. Nicht einmal die Preisgabe des Finanzministeriums kritisiert Spahn. Er sagt lediglich, die Schwarze Null werde der Markenkern der Union bleiben, "den werden wir verteidigen, egal gegen wen, egal, wer da ins Finanzministerium einzieht".

Ein paar Unterschiede zu Merkel gibt es dennoch. Zunächst in der Form: Spahn spricht leidenschaftlich, was die Zuhörer selbst an Stellen applaudieren lässt, die nur höchst konventionelle Floskeln sind. "Er brennt für dieses Land und deshalb sollte er Ministerpräsident von Thüringen werden bei der nächsten Wahl!", ruft Spahn gleich zu Beginn seiner Rede über Mohring. Der Jubel, der daraufhin ausbricht, ist lauter als bei Mohrings Auftritt. Sogar für den Satz, die Union sei die letzte politische Kraft, die Verantwortung für Deutschland und Europa übernehmen wolle, wird Spahn gefeiert.

Aber auch inhaltlich gibt es Unterschiede. Spahn spricht sich nicht ausdrücklich für die Obergrenze aus, macht aber deutlich, dass er keinerlei Probleme damit hätte. "Es geht offensichtlich nicht in unbegrenzter Zahl, und schon gar nicht ohne Kontrolle." In der Flüchtlingspolitik werde im Koalitionsvertrag zu 99 Prozent umgesetzt, worauf CDU und CSU sich geeinigt hatten. Als künftiger Innenminister sei Horst Seehofer ein "Garant dafür, dass das jetzt auch in Recht gegossen und umgesetzt wird".

Näher bei der CSU

Und noch etwas ist anders bei Spahn. Die meisten Politiker arbeiten in Reden mit Feindbildern - vor allem beim Politischen Aschermittwoch geht es "wir" gegen "die". So intensiv wie Spahn macht das allerdings kaum jemand in der CDU. Immer wieder greift er "die Linken" oder "Rot-Rot-Grün" an, um die CDU abzugrenzen. Etwa in der Familienpolitik: "Die denken immer nur an den Staat." Oder bei der inneren Sicherheit: "Rot-rot-grüne Innenminister zeigen immer zuerst mit dem Finger auf ihre eigenen Polizisten. Wir stehen hinter unseren Polizisten!" Als es um die Integration geht, greift er die dafür zuständige Staatsministerin Aydan Özoguz von der SPD an. Diese habe gesagt, es gebe gar keine deutsche Kultur. "Da kann ich nur sagen, Frau Özoguz, fahren Sie mal nach Eisenach, fahren Sie mal nach Weimar, dann können Sie deutsche Kultur sehen, dann können Sie sehen, was Deutschland geprägt hat!"

Dieser Angriff ist grenzwertig. Er bezieht sich auf einen Artikel von Özoguz im "Tagesspiegel", der vor einem Dreivierteljahr erschien. Sie schrieb dort, "eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar". Und weiter: "Schon historisch haben eher regionale Kulturen, haben Einwanderung und Vielfalt unsere Geschichte geprägt." Es ging in ihrem Text um die Debatte über die Leitkultur. Man kann darüber streiten, ob ihre These stimmt. Und Spahn geht nicht so weit wie AfD-Chef Alexander Gauland, der Özoguz für diesen Artikel in Anatolien "entsorgen" wollte. Aber er stellt es so dar, als habe Özoguz die deutsche Kultur verächtlich gemacht. Er wird wissen, dass das nicht ihre Absicht war.

Der dritte Unterschied zu Merkel bezieht sich auf die AfD. "Ich möchte nicht mit denen koalieren, ich möchte, dass sie überflüssig werden!", ruft Spahn. Merkel sieht das bekanntlich anders. "Ich stehe dazu, dass rechts von der Union keine Partei sein sollte", hatte sie im Oktober beim Deutschlandtag der Jungen Union gesagt. Aber Franz Josef Strauß "hätte sicherlich nicht dazu aufgefordert, unsere eigenen Prinzipien zu verraten, um das zu erreichen".

Bereits 2016 hatten Merkel und Seehofer über den Strauß-Satz gestritten, rechts von der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Damals sagte Merkel, wenn dieser Satz so verstanden werde, "dass im Ergebnis Prinzipien relativiert oder gar aufgegeben werden müssten, damit Menschen sich nicht von der Union abwenden, Prinzipien, die für unser Land wie auch die Union konstitutiv sind, die den Kern unserer Überzeugungen ausmachen, dann gilt dieser Satz für mich nicht". Seehofer soll entsetzt gewesen sein, als er das las.

Obergrenze, Feindbilder, Abgrenzung nach rechts: In einigen Punkten steht Spahn der CSU näher als seiner eigenen Parteivorsitzenden. Und dennoch wird er seinem Ruf, ein Merkel-Kritiker zu sein, in Apolda nicht wirklich gerecht. Munter wirbt er für den Koalitionsvertrag und dafür, dass die CDU sich "breiter" aufstellt - wohlgemerkt: zusammen mit Merkel. Die CDU wolle eine Volkspartei bleiben, "und dafür müssen wir uns auch in unserer ganzen Breite erkenntlich machen". Dass er sich selbst damit meint, sagt Spahn nicht. Laut "Bild"-Zeitung will Merkel am kommenden Montag im CDU-Präsidium verkünden, wer auf ihrer neuen, ihrer richtigen Liste steht. Julia Klöckner dürfte wieder dabei sein. Und dann wahrscheinlich auch Jens Spahn.

Quelle: ntv.de

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