Statt "homöopathischer Dosen" Union und FDP fordern radikalen Kurswechsel beim Bürgergeld
29.07.2024, 14:03 Uhr Artikel anhören
Hält das Bürgergeld vom Arbeiten ab? Darüber wird zurzeit intensiv gestritten.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
CSU-Politikerin Andrea Lindholz will nicht weniger als ein neues Grundsicherungssystem - wer die Solidarität der Allgemeinheit ausnutze, soll nur noch ein Minimum an Unterstützung erhalten. Ähnliche Töne sind aus der FDP zu hören.
Um die Ausgaben für das Bürgergeld halbwegs im Rahmen zu halten, braucht es aus Sicht der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion, Andrea Lindholz, einen radikalen Kurswechsel. "Änderungen am Bürgergeld in homöopathischen Dosen reichen nicht", sagte die CSU-Politikerin. Das sei auch eine Frage der Gerechtigkeit. Notwendig sei vielmehr "ein neues System der Grundsicherung, das den tatsächlich Bedürftigen hilft, aber Leistungen an die auf ein Minimum zurückfährt, die die Solidarität der Allgemeinheit grundlos ausnutzen".
Die FDP pocht ebenfalls auf grundlegende Reformen. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte mit Blick auf die geplanten Verschärfungen, die die Ampel-Koalition bereits anpeilt: "Das reicht nicht. Wir wollen weitere Reformen beim Bürgergeld." Leistung solle sich erstens wieder mehr lohnen. Zweitens sollten sich die Sozialausgaben des Staates wieder mehr auf die konzentrieren, "die tatsächlich Unterstützung benötigen". Als Einigkeit mit der Union soll das aber nicht verstanden werden: Die CDU sei bei dem Thema unentschlossen und habe keine klare Linie.
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe gesagt: "Wenn jemand grundsätzlich nicht bereit ist, Arbeit anzunehmen, muss der Staat davon ausgehen, dass derjenige nicht bedürftig ist. Leistungskürzungen um 10, 20 oder 30 Prozent reichen da nicht. Dann muss die Grundsicherung komplett gestrichen werden." Umgehende Kritik an Linnemanns Forderung kam vom Vize-Vorsitzenden der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler: "Wer für die Jobcenter nicht erreichbar ist, hat häufig psychische Probleme." Menschen in Deutschland dem Hunger auszusetzen, sei mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar, sagte der CDU-Sozialpolitiker.
Schärfere Regeln bereits geplant
Kritik an Linnemanns Äußerung kam auch aus der SPD. Den arbeitenden Menschen in Deutschland helfe ganz sicher nicht, "Bürgergeld-Empfänger in einer willkürlich gegriffenen Größenordnung als faul zu diffamieren - und mit einer verfassungswidrigen kompletten Streichung der Leistung zu drohen", sagte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, am Wochenende den Funke-Zeitungen. Lindholz sagte dazu: "Die Attacken gegen Herrn Linnemann und die Union gehen völlig fehl und sollen vom eigentlichen Problem ablenken."
Vor dem Hintergrund stark gestiegener Ausgaben für das Bürgergeld kündigte die Bundesregierung bereits Regelverschärfungen an. Diese sollen mehr Bezieher zur Aufnahme einer Arbeit bewegen. So soll künftig ein längerer Weg zur Arbeit zumutbar sein, das Ablehnen einer zumutbaren Arbeit mit erhöhten Leistungskürzungen geahndet werden und auch Schwarzarbeit zu Kürzungen führen. Wann darüber im Parlament entschieden wird, steht noch nicht fest.
"Ich vermute, dass der Betrag, den die Ampel-Koalition in ihrem Haushalt für 2025 für das Bürgergeld eingeplant hat, zu niedrig angesetzt ist", sagte Lindholz. Die Bundesregierung wolle nun mit strengeren Bürgergeld-Sanktionen mehr Menschen in Arbeit bringen, obgleich sie diese erst unlängst abgeschafft habe. Allerdings brauche es dafür erst eine Gesetzesänderung, und ob die so schnell kommen werde, sei fraglich. Sie könne sich nicht vorstellen, dass dies im Jahr 2025 schon Wirkung zeigen werde. Auch der Ansatz, mehr Flüchtlinge in Arbeit bringen zu wollen und gleichzeitig im Haushalt für 2025 Leistungen für Integrationskurse zu kürzen, sei nicht überzeugend.
Regierung erwartet für 2025 keine Erhöhung
Die Frage, wer, weshalb und wie viel staatliche Leistungen beziehe, treibe viele Menschen um, sagte Lindholz. Das Bürgergeld sei nach der irregulären Migration das zweite Thema, auf das sie in ihrem Wahlkreis Aschaffenburg besonders häufig angesprochen werde.
Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld müssen sich unabhängig von der Debatte auf eine mögliche Nullrunde im kommenden Jahr einstellen. Anfang 2024 seien die Regelbedarfssätze im Vergleich zu den Vorjahren stark gestiegen, sagte eine Sprecherin des Arbeitsministeriums. Dies habe an der vorhergegangenen hohen Inflation gelegen. "Wir rechnen im Moment damit, dass angesichts der jetzt rückläufigen Preissteigerungsraten wahrscheinlich nach jetziger Lage zum 1. Januar 2025 es auch sein kann, dass es keine Erhöhung geben wird."
Berechnung gesetzlich festgelegt
Die Berechnungen dazu liefen derzeit nach einem festgelegten gesetzlichen Rechenweg, sagte die Sprecherin. Preis- und Lohnsteigerungen flössen in die Berechnung ein. Im Frühherbst würden die neuen Regelsätze bekannt gegeben. Insofern brauche es keine Forderungen nach einer Nullrunde.
Anfang 2024 waren die Beträge, die die Beziehenden von Grundsicherung erhalten, spürbar nach oben gegangenen - für Alleinstehende etwa um 61 auf 563 Euro im Monat. Insgesamt bekamen Bürgergeld-Empfängerinnen und -Empfänger zwölf Prozent mehr Geld vom Staat als 2023. Erwachsene, die mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben, kommen auf 506 Euro. Für Kinder und Jugendliche liegen die Sätze je nach Alter zwischen 357 und 471 Euro. Parallel zur Bürgergeld-Erhöhung waren auch die Regelsätze in der Sozialhilfe sowie die Beträge für den persönlichen Schulbedarf um zwölf Prozent gestiegen.
Quelle: ntv.de, chl/dpa