Politik

Angriff auf Jelena Milaschina "Das ist Wahnsinn, wie viele Schläge sie abbekommen hat"

Die russische Investigativ-Reporterin Jelena Milaschina wurde am Dienstag in der russischen Kaukasus-Republik Tschetschenien zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Angreifer rasierten ihr die Haare ab und übergossen sie mit grünem Färbemittel.

Die russische Investigativ-Reporterin Jelena Milaschina wurde am Dienstag in der russischen Kaukasus-Republik Tschetschenien zusammengeschlagen und schwer verletzt. Die Angreifer rasierten ihr die Haare ab und übergossen sie mit grünem Färbemittel.

(Foto: dpa)

Ekaterina Vanslova ist gerade aus Tschetschenien zurück in ihrem Büro in der Stadt Pjatigorsk in der Region Stawropol. Sie leitet dort die Filiale der Nichtregierungsorganisation "Team gegen Folter" und beschäftigt sich auch mit dem brutalen Überfall auf die Journalistin Jelena Milaschina und Alexander Nemow, den Anwalt der Organisation, Anfang dieser Woche auf dem Weg in die tschetschenische Hauptstadt Grosny, wo die Situation für Menschenrechtler und Journalisten noch schlimmer ist als im übrigen Russland.

Vanslova deckt immer wieder Fälle von Folter auf und versucht diese aufzuklären. Doch die brutale Entführung und Misshandlung von Milaschina und Nemow habe eine neue Qualität, sagt sie. Ähnliche Fälle gibt es leider immer wieder. So wurde sie selbst im Jahr 2016 von einer Gruppe Männern mit Holzbalken zusammengeschlagen.

Ekaterina Vanslova in ihrem Büro im Nordkaukasus.

Ekaterina Vanslova in ihrem Büro im Nordkaukasus.

(Foto: Team gegen Folter, pytkam.net)

ntv.de: Frau Vanslova, was haben Sie in dem Moment gedacht, als Sie vom Überfall und der Misshandlung der Investigativ-Reporterin Jelena Milaschina und dem Anwalt Alexander Nemow erfahren haben?

Ekaterina Vanslova: Es ist wieder passiert, schon wieder ein brutaler Überfall! Solche Fälle gibt es regelmäßig, wenn auch nicht jeden Tag. Auf Jelena gab es den letzten Angriff im Jahr 2020. Der Anwalt, der mit ihr dabei war, Alexander Nemow, gehört zu unserer Organisation, somit war das auch ein Angriff auf uns. Natürlich macht uns das hier auch Angst. Wir fahren immer wieder nach Tschetschenien, prüfen Fälle von Folter. Natürlich macht uns dieser brutale Angriff die Arbeit jetzt noch schwerer, es ist eine Bedrohung unserer Arbeit. Unsere Organisation ist die einzige, die im Nordkaukasus noch arbeitet, alle anderen sind mittlerweile rausgegangen.

Jelena Milaschina war für die mittlerweile in Russland geschlossene Zeitung "Nowaja Gaseta" in Grosny. Was hat sie dort gemacht?

Sie war in Tschetschenien, um bei der Urteilsverkündung im Prozess gegen Sarema Musajewa dabei zu sein. Frau Musajewa wurde aus Russland nach Tschetschenien entführt. Ihr wurde Betrug vorgeworfen und dass sie angeblich einen Polizisten angegriffen haben soll. Jelena hat schon früher über die Familie geschrieben, denn da gab es immer wieder Menschenrechtsverletzungen. Ich vermute, Jelena wollte eine größere Geschichte über den ganzen Prozess schreiben.

Haben die Männer gesagt, warum sie die Journalistin und den Anwalt angegriffen haben?

Die maskierten Angreifer sagten Jelena, "du schreibst hier zu viel", dem Anwalt Nemow sagten sie, "du verteidigst hier zu viele Leute, hier muss keiner verteidigt werden, das kannst du bei dir zu Hause machen". Somit haben die Angreifer wieder mal gezeigt, dass hier weder Menschenrechtsaktivisten noch unabhängige Journalisten geduldet werden. Und dass ihre tschetschenischen Gerichtsprozesse in Tschetschenien bleiben und die Informationen darüber nirgendwo verbreitet werden sollen.

Jelena Milaschina hat 14 gebrochene Knochen, Hämatome und Prellungen - wie geht es ihr aktuell?

Sie befindet sich in einem Krankenhaus in Moskau. Ihr Gesundheitszustand normalisiert sich wieder, sie spricht jetzt auch mit ihren Rechtsanwälten. Auch Leute von unserer Organisation treffen sich mit ihr. Aber viele haben es wahrscheinlich gesehen, wie der Rücken von Jelena aussieht, mit zahlreichen Hämatomen. Ich beschäftige mich seit mehr als zehn Jahren mit Folterfällen, aber ehrlich gesagt habe ich solche Verletzungen schon lange nicht mehr gesehen. Das ist Wahnsinn, wie viele Schläge sie abbekommen hat. Ich kann mir vorstellen, wie sehr das wehtut, denn 2016 wurde ich mit ähnlichen Stangen geschlagen. Sie hat so viele Schläge abbekommen, dass sie hätte sterben können. Und die Schläger haben sich überhaupt keine Gedanken darum gemacht, dass das passieren kann. Das ist eine neue Qualität, beim nächsten Mal werden sie jemanden ermorden.

Im Krankenhaus zeigt Jelena Milaschina die Verletzungen auf ihrem Rücken.

Im Krankenhaus zeigt Jelena Milaschina die Verletzungen auf ihrem Rücken.

(Foto: dpa)

Sie haben Ähnliches erlebt?

Im Jahr 2016 habe ich zusammen mit einem Kollegen eine Pressetour für Journalisten organisiert. Wir wollten mit Verwandten von Gefolterten sprechen und so mehr über die Umstände erfahren. Am dritten Tag der Reise wurde unser Bus angegriffen. Es war nach dem gleichen Schema wie auch bei Jelena Milaschina. Ein Auto hat dem Bus den Weg versperrt, der Bus musste anhalten und dann haben etwa 15 Leute mit Holzstangen alle Fenster eingeschlagen. Wir mussten alle aussteigen und wurden zusammengeschlagen. Der Bus wurde angezündet und ist komplett ausgebrannt. Alle Smartphones und Speicherkarten wurden uns abgenommen. Während des Angriffs haben sie gesagt: Verschwindet aus Tschetschenien, hier will euch keiner sehen, ihr verteidigt Terroristen! Das klingt eindeutig nach Menschen, die uns einschüchtern wollten, und nicht nach Raub von Technik, was auch als Theorie mal im Raum stand. Diese Übergriffe laufen so ab, dass man auch versteht, warum man angegriffen wird. Es wird ja nicht geschwiegen währenddessen.

Wie ist die Situation in Tschetschenien aktuell, wie frei können Sie dort arbeiten?

Das ist hier eine ziemlich gefährliche Arbeit für Menschenrechtler, aber auch für Journalisten. Jahr 2009 wurde Natalja Estemirowa getötet, sie lebte und arbeitete in der Hauptstadt Grosny. Danach gab es viele Überfälle auf Jelena Milaschina und auf Mitarbeiter unserer Organisation. Unser Büro wurde dreimal zerstört und angezündet. Außerdem gibt es bei uns immer wieder Durchsuchungen, wie in diesem Jahr in den Büros im Nordkaukasus und im Kreis Krasnodar. Diese Durchsuchungen werden dann immer mit sehr abenteuerlichen Begründungen durchgeführt. Das ist einfach Druck, der auf unsere Organisation ausgeübt wird. Wenn man hier in der Region also persönlich vor Ort ist, dann ist das ziemlich gefährlich.

Gibt es noch unabhängige Journalisten, die vor Ort in Tschetschenien arbeiten?

Es gibt Journalisten, die über den Kaukasus und auch über Tschetschenien schreiben, die machen das aber aus der Ferne. Ich kenne keinen Journalisten, der in Tschetschenien lebt und dort unabhängige, kritische Texte schreibt, das ist eigentlich unmöglich.

Wie ist die Lage allgemein in Tschetschenien?

Mit dem Präsidenten Ramsan Kadyrow gab es auch eine neue Ordnung in der Republik Tschetschenien, das bedeutet: Die einheimische Bevölkerung wird terrorisiert und das mit viel Gewalt. Seitdem es unser Office im Nordkaukasus gibt, haben wir in 50 Fällen explizit Folter festgestellt. Das sind nur die Fälle, in denen wir genug Beweise gesammelt haben, um dies auch wirklich zu belegen. Auf unsere Erkenntnisse folgten genau null Urteile. Hier gibt es keine Ermittlungsarbeit, das ist eben das Spezielle an dieser Region. Es gibt massenhafte Verstöße. Allein im ersten Halbjahr 2023 haben wir neun Beschwerden dazu bekommen, dass Menschen in Kellern festgehalten werden. In Tschetschenien existieren auch weiterhin geheime Gefängnisse. Dort werden Menschen lange festgehalten, unter unerträglichen Umständen. Sie machen das auch, damit Menschen freigekauft werden. Die Tschetschenische Republik ist zwar ein Teil von Russland, allerdings scheinen die Gesetze Russlands dort nicht zu gelten. Denn nachdem wir den Behörden unsere Informationen übermitteln, gibt es keine Ermittlungen. Auch der Kreml könnte sich mit diesen Fällen beschäftigen und eigene Ermittler in die Region schicken, aber auch das passiert nicht. Es scheint eine Vereinbarung der Verantwortlichen zu geben. Ich glaube nicht, dass Überfälle und Misshandlungen ohne Absprachen passieren.

Wurde der Überfall auf Jelena staatlich angeordnet?

Es gilt die Unschuldsvermutung. Aber wenn man alle Informationen zusammenfasst, die wir haben, dann kann man davon ausgehen, dass Agenten der regionalen Regierung an dem Überfall beteiligt waren. Aber das festzustellen, ist Aufgabe der Ermittler. Leider erwarte ich keine Ergebnisse, weil ich ähnliche Fälle kenne.

Sowohl Tschetscheniens Präsident Kadyrow als auch der russische Präsident Putin haben angekündigt, den Fall aufklären zu wollen. Das Ermittlungskomitee hat sogar ein Strafverfahren eingeleitet. Ist das nur ein Schauspiel, was hier aufgeführt wird?

Wir kennen natürlich nicht alle Diskussionen innerhalb der mächtigen Kreise, aber ich war ehrlich gesagt erstaunt über die Ankündigung von Ramsan Kadyrow, dass er den Fall aufklären möchte. Bei früheren Überfällen dieser Art gab es von ihm solche Töne überhaupt nicht. Möglicherweise bedeutet dies, dass das Regime Kadyrow Druck aus dem Kreml bekommen hat. Nun ist es möglich, dass irgendwelche Leute die Schuld auf sich nehmen und sagen, sie hätten das alles selbst organisiert. Dann werden sie zur Rechenschaft gezogen. Dass eine Person, die nichts damit zu tun hat, ihre "Schuld" eingesteht, das gibt es manchmal auch. Die wirklich dafür verantwortlichen Leute entkommen dann einem Prozess. Ich glaube aber nicht, dass sie diese Strategie hier anwenden werden, denn einfach nicht zu ermitteln ist doch viel einfacher.

Das Regime versucht, unabhängige Journalisten einzuschüchtern - haben sie das im Fall von Jelena Milaschina geschafft?

Jelena ist eine unglaublich starke Person, mit einem unbeugsamen Willen. Trotz dieses entsetzlichen Überfalls will sie wieder nach Tschetschenien reisen und über den Gerichtsprozess berichten. Sie ist ein Prinzipienmensch und ich denke, dass den tschetschenischen Behörden klar sein dürfte, dass keine solche Aktion sie brechen wird. Ich vermute, was da passiert ist, war keine Warnung, sondern eine Strafe für ihre Texte, die sie schon früher veröffentlicht hatte.

Im Krankenhaus in Moskau wurde festgestellt, dass einige von Jelenas Fingern gebrochen sind. Wenn man bedenkt, dass die Journalistin mit diesen Fingern kritische Texte schreibt über die tschetschenische Politik, denke ich, dass das kein Zufall ist. Das sind brutale, mittelalterliche Methoden, mit dem Hinweis: Du wirst nicht mehr schreiben über Tschetschenien. Außerdem wurden die beiden mit dem Tode bedroht.

Welche Zukunft sehen Sie für den unabhängigen Journalisten in Russland allgemein?

Leider sehe ich für den Journalismus keine gute Zukunft. Denn hier gibt es nicht mehr nur Bedrohungen auf regionaler Ebene, sondern es geht hier schon in die höhere Ebene. Relativ lange schon werden unabhängige Journalisten aus dem Land herausgedrängt, eingeschüchtert. Das geschieht, indem man Journalisten als ausländische Agenten bezeichnet oder auch direkt ins Gefängnis steckt. Ich habe leider keine Hoffnung, dass es in nächster Zeit besser wird. Bisher wird es eher immer schlimmer.

Mit Ekaterina Vanslova sprach Dimitri Blinski

Quelle: ntv.de

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