Nahost-Talk bei Anne Will Armeesprecher kennt Hass der Hamas auch aus dem Wedding


Arye Sharuz Shalicar ist in Berlin aufgewachsen.
(Foto: NDR, Wolfgang Borrs)
Seit zwei Wochen führt Israel einen Krieg gegen den Terror der Hamas. In der ARD-Talkshow Anne Will diskutieren am Sonntagabend die Gäste unter anderem über die Frage, ob und wie ein Frieden in der Region erreicht werden könnte. Doch dafür scheint es noch zu früh.
Vor mehr als drei Wochen greift die palästinensische Terrororganisation Hamas Israel an. Seit mehr als einer Woche wartet die Welt auf den Einmarsch israelischer Bodentruppen in den Gazastreifen, um die Terrorzellen der Hamas zu zerstören. Aber Israel lässt sich Zeit. Warum, erklärt Verteidigungsexpertin Florence Gaub am Abend in der ARD-Sendung "Anne Will". Dort diskutieren die Gäste einmal mehr über die aktuelle Situation im Nahen Osten.
Die Hamas und Israel seien asymmetrische Gegner. Die israelische Armee sei ungleich stärker als die Hamas. Aber die Hamas könne sich in der Bevölkerung verstecken. "Wenn die israelische Armee in den Gazastreifen geht, muss sie mit Tunnels, Minen und booby Traps (Sprengfallen) rechnen. Das wird ein kompliziertes, langwieriges und blutiges Unterfangen, auch wenn man eine starke Armee ist. Je länger sich Israel Zeit lässt, diese Offensive umzusetzen, desto größer ist die Erfolgschance, denn dann kann man sich besser vorbereiten. Dass bisher nichts passiert ist, ist für mich ein gutes Zeichen, dass sich die israelische Armee dieser Risiken voll bewusst ist, dass sie eben nicht aus dieser Wut heraus agiert, sondern dass sie kalkuliert, was da passieren kann."
"Das habe ich im Wedding gesehen"
Wut empfindet Arye Sharuz Shalicar. Der Sprecher des israelischen Militärs ist in Berlin-Wedding aufgewachsen. Er erkenne im Nahostkonflikt Ähnlichkeiten zu dem, was er in seiner Jugend erlebt habe, sagt er bei Anne Will. "Es gibt unter den Moslems die, die Frieden wollen und nicht mit Judenhass indoktriniert aufgewachsen sind. Mit denen hat Israel in den letzten Jahren Frieden geschlossen: Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko. Aber es gibt auch Freundschaft mit den Kurden, den Aseris und den Menschen im Kosovo."
"Doch dann gibt es auch die andere Seite der Medaille, und die habe ich in meiner Jugend im Wedding kennengelernt", führt der Militärsprecher aus. "Diese Menschen werden von Anfang an indoktriniert mit ganz schlimmen Ideen über Juden und über Israel. Da werden schon in ganz jungen Jahren Hass und Aggressionen gesät. Das habe ich im Wedding gesehen, und das sehe ich hier. Wenn Menschen mit 20 oder 25 Jahren aus dem Gazastreifen in Israel eindringen, Familien exekutieren, Babys verbrennen - das kannst du nicht machen, wenn du nicht ganz jung darauf vorbereitet wurdest."
"Mehr Feuerkraft als manche NATO-Staaten"
Verärgert ist auch der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor. Er kritisiert das angeblich zu positive Bild, das in Deutschland über die Terrororganisation Hamas gezeichnet wird. Einige Medien hätten "die Barbaren der Hamas" als Freiheitskämpfer bezeichnet, so Prosor. "Ich glaube, dass hier nicht nur Israel aufwachen sollte, sondern auch Sie in Deutschland. Die Verharmlosung der Hamas, die Juden auslöschen und ins Meer werfen will, hat dazu geführt, dass die Terrororganisationen Hamas und Hisbollah mehr Feuerkraft haben als manche NATO-Staaten. Und wir haben alle ein Auge zugedrückt."
Doch ganz so leicht scheint es nicht zu sein, glaubt man dem "Zeit"-Journalisten Yassar Musharbash, der gerade aus der Region nach Deutschland zurückgekommen ist. Er habe eine klare antiisraelische Stimmung in Palästina beobachtet, sagt er. Jedoch stünden Entsetzen und Trauer über die zivilen Opfer im Vordergrund. "Die Stimmung kann kippen und sich gegen die Machthaber in der Region richten", sagt Musharbash. "Ich sehe momentan kein realistisches Szenario, wie das von heute auf morgen wieder eingefangen werden kann."
Menschen denken anders als Staaten
Überhaupt gibt es nach Ansicht der Gäste, die sich in der Region auskennen, einen deutlichen Unterschied zwischen der offiziellen Ansicht innerhalb der arabischen Staaten und der Meinung der Menschen "von der Straße". Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen erklärt es so: "Ich glaube, die arabischen Staaten haben einen Wunsch nach Frieden. Aber sie haben einen wahnsinnigen Druck in der Bevölkerung." So bestehe die jordanische Bevölkerung zur Hälfte aus Palästinensern, die sehr empfänglich für Falschmeldungen seien. Hier eine Balance zu halten, sei für die Regierungen der Region ein Riesenproblem.
Es ist dann die Militärexpertin Florence Gaub, die die wirklich spannende Frage stellt: "Man muss die Beziehung brechen, die die Zivilbevölkerung Palästinas mit der Hamas hat. Dazu braucht man aber Zeit. Das braucht Jahre. Deswegen ist es wichtig, das politische Endziel zu planen. Militärisch ist das klar: Man kann die Hamas zu 75 Prozent vernichten. Aber was ist das politische Ziel?"
"Das ist in die Hose gegangen"
In diesem Punkt herrscht Ratlosigkeit bei den Gästen. Für Musharbash ist klar, dass die Hamas ihre Macht über die Bevölkerung verlieren muss. Dafür gibt es nach Ansicht des Journalisten zwei mögliche Lösungen: Einen Friedensvertrag oder intensive Polizeiarbeit.
Botschafter Prosor hat eine sehr ehrliche und pragmatische Antwort: "Wir sind jetzt seit zwei Wochen im Krieg. Wir haben jahrelang versucht, den Konflikt einzudämmen. Das ist in die Hose gegangen. Jetzt ist unsere Priorität, die Führung und das Militär der Hamas zu zerstören. Das ist jetzt unsere wichtigste Priorität. Aber eins ist jetzt schon klar: Israel wird nie wieder so aussehen wie vor dem 7. Oktober."
Quelle: ntv.de