Merz' Vorstoß im Faktencheck Ausbürgerung von Deutschen - geht das überhaupt?
07.01.2025, 19:22 Uhr Artikel anhören
Friedrich Merz hat sich mit seinen Äußerungen viel Kritik eingehandelt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat im Interview mit der "Welt" gefordert, Straftätern mit doppelter Staatsbürgerschaft in bestimmten Fällen die deutsche Staatsangehörigkeit wieder abzuerkennen. Nach der Neuregelung durch die Ampel sei die "doppelte Staatsangehörigkeit zum Regelfall geworden". Merz kritisiert das und fordert, ein Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft müsse möglich sein, "wenn wir erkennen, dass wir bei straffällig werdenden Personen einen Fehler gemacht haben".
Wie soll das gehen, wer wäre potenziell betroffen, und bekommt Merz bald Ärger mit dem Verfassungsschutz? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele Menschen mit zwei Pässen gibt es in Deutschland?
2023 gaben gegenüber dem Mikrozensus rund 2,9 Millionen Menschen an, neben der deutschen eine zweite Staatsbürgerschaft zu besitzen. Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass einige Befragte fälschlicherweise annehmen, dass sie ihre ausländische Staatsangehörigkeit bei der Einbürgerung verloren haben. Es dürften also mehr Menschen mit zwei Pässen in Deutschland leben, als der Mikrozensus erfasst.
Die meisten dieser Doppelstaatler haben neben der deutschen Staatsangehörigkeit noch die polnische, auf Platz zwei liegt die türkische, auf drei die russische Staatsangehörigkeit.
Wie viele werden straffällig?
Deutsche werden in Deutschland als Deutsche registriert, selbst dann, wenn sie noch einen zweiten Pass besitzen. Das gilt auch für Kriminalstatistiken. Deshalb lässt sich nicht sagen, wie viele Doppelstaatler straffällig werden.
Wie ist die Mehrstaatlichkeit aktuell geregelt?
Die Ampel-Koalition hat das Staatsangehörigkeitsrecht vergangenes Jahr neu geregelt. Zuvor galt der Grundsatz: im Normalfall nur ein Pass. Dieser Grundsatz wurde mit der Neuregelung aufgegeben, auch wenn er zuvor schon stark aufgeweicht worden war.
In ihrer Gesetzesbegründung schrieb die Bundesregierung, der Anteil von "Mehrstaatern" an den Eingebürgerten sei seit dem Jahr 2000 kontinuierlich gestiegen und habe im Jahr 2022 einen Anteil von 74,1 Prozent erreicht, ohne dass es dadurch zu "erkennbaren Problemlagen" gekommen sei.
Wie wurde die Neuregelung begründet?
Der zweite Pass soll Eingebürgerten ermöglichen, ihrer Identität als Menschen mit Migrationsgeschichte gerecht zu werden. Sie sollen ihre Verbindung zum Herkunftsland nicht aufgeben müssen, um Deutsche zu werden, so die Bundesregierung. Viele Menschen in Deutschland erfüllten die Kriterien für eine Einbürgerung, schreckten aber davor zurück; aus Angst, ihren bisherigen Pass dann abgeben zu müssen. Die deutsche Einbürgerungsrate liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Die meisten EU-Staaten erlauben doppelte Staatsbürgerschaft - Ausnahmen bilden die Niederlande, Österreich, Spanien, Bulgarien und die baltischen Staaten.
Für SPD-Innenministerin Nancy Faeser war die vorherige Regelung ein Standortnachteil, den es zu beheben galt: "Im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe müssen wir Fachkräften die Perspektive geben, in absehbarer Zeit voll und ganz Teil unserer Gesellschaft werden zu können."
In der Begründung des Gesetzes schrieb die Bundesregierung außerdem, Sprachkenntnisse, Bildung, berufliche Eingliederung, Lebensunterhaltssicherung oder gesellschaftliche Teilhabe seien für die Einbürgerung "weitaus wichtiger" als die Frage, "ob jemand eine oder mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt".
Was müsste passieren, wollte die Union tatsächlich Deutschen den Pass entziehen?
Im Artikel 16 des Grundgesetzes steht: "Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden." Das gilt nur mit wenigen Ausnahmen. Eine Änderung bedürfte einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag. Linke, Grüne, SPD und FDP haben aber bereits signalisiert, nicht zur Verfügung zu stehen. AfD und BSW haben auf Merz' Vorschlag bisher nicht reagiert. Selbst mit der AfD könnte Merz das Vorhaben sehr wahrscheinlich nicht umsetzen.
Außerdem müsste festgelegt werden, welche Straftaten zur Aberkennung der Staatsangehörigkeit führen sollen. Bisher kann der deutsche Pass nur in sehr speziellen Ausnahmefällen Menschen weggenommen werden, die einen zweiten besitzen. Zusätzlich dazu muss die Person:
- in die Streitkräfte eines ausländischen Staates eintreten, dessen Pass er oder sie besitzt
- oder sich an "Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland" konkret beteiligen
- oder sich die Einbürgerung rechtswidrig erschlichen haben
Was könnte Merz' Vorschlag im Weg stehen?
Die Union will prüfen, ob die oben aufgeführte Liste sich erweitern lässt. Eine solche Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes ist prinzipiell mit einer einfachen Mehrheit möglich, würde in diesem Fall aber sehr wahrscheinlich vom Bundesverfassungsgericht kassiert, weil Merz Straftaten mit dem Staatsangehörigkeitsrecht bekämpfen will (und nicht mit dem Strafrecht). Die Gefahr, die manche darin auch für Merz und seine Partei sehen: Das Ansinnen könnte zwei Arten der deutschen Staatsangehörigkeit schaffen - eine auf Probe (die mit dem doppelten Pass) und eine sichere (die mit nur einem Pass).
Der Präzedenzfall: Das Bundesverfassungsgericht warf der NPD in seinem Urteil zum Verbotsverfahren 2017 vor, "Eingebürgerte mit Migrationshintergrund" rechtlich abzuwerten - unter anderem mit ihrer strikten Ablehnung einer angeblichen "Überfremdung Deutschlands, ob mit oder ohne Einbürgerung". Die Partei missachte damit die Grundprinzipien des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaats, argumentierten die Richter.
Das würde die Union sicher weit von sich weisen. Aber eine solche rechtliche Abwertung könnte auch eine widerrufbare Einbürgerung bedeuten, wie sie Merz in Aussicht gestellt hat. Das zumindest legt die juristische Nachrichtenseite "Legal Tribune Online" nahe: Merz könne deshalb "theoretisch Ärger mit dem Verfassungsschutz bekommen". Die AfD habe sich in diesem Punkt gemäßigt - wohl auch wegen des NPD-Urteils.
Das Bundesinnenministerium hält einen Entzug des deutschen Passes "allein aufgrund des Verstoßes gegen Strafvorschriften" ohnehin für verfassungswidrig, wie eine Sprecherin auf ntv.de-Anfrage sagte. Eine solche Regelung würde demnach auch gegen das 1997 geschlossene Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit verstoßen. Verlöre die ausgebürgerte Person mit der deutschen auch die EU-Bürgerschaft, würde sogar EU-Recht verletzt.
Wurde in Deutschland schon mal Menschen die Staatsangehörigkeit entzogen?
In der Bundesrepublik ist das gegen den Willen der Betroffenen nur in den beschriebenen Ausnahmefällen möglich. Wie oft solche Ausnahmen vorkommen, dazu hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben keine Zahlen.
In der DDR gab es eine gesetzliche Grundlage für Ausbürgerungen "wegen grober Verletzung der staatsbürgerlichen Pflichten". Auf dieser Grundlage wurde beispielsweise der Liedermacher Wolf Biermann ausgebürgert, aber auch einige politische Gefangene.
1933 hatten die Nationalsozialisten ein "Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen" verabschiedet. Es zielte auf Einbürgerungen in einem bestimmten Zeitraum und betraf vor allem jüdische Bürger und politische Gegner des Regimes. Rund 70.000 Personen verloren auf diese Weise ihre Staatsangehörigkeit. 1941 kam eine Verordnung hinzu, in deren Folge jüdische Deportierte automatisch ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, sobald sie das Land verließen.
Gab es in der Bundesrepublik bereits ähnliche Vorstöße?
2023 forderte der bayerische Innenminister Joachim Hermann, Menschen mit zwei Pässen die deutsche Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wenn diese schwere Straftaten begangen haben. Als Beispiele nannte er schwere antisemitische Gewalttaten, Mord oder Vergewaltigung. Bayern habe gemeinsam mit den anderen Bundesländern das Innenministerium aufgefordert, "neue Verlustgründe bei antisemitischer, rassistischer oder sonstiger menschenverachtender Einstellung zu prüfen". Das gab die bayerische Landesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der AfD an.
Was sagt die CDU?
Ein CDU-Sprecher sagte ntv.de, schon jetzt sehe das Staatsangehörigkeitsgesetz den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit in bestimmten Fällen vor. Die Partei wolle prüfen, ob diese Tatbestände ausgeweitet werden könnten. Es gehe der Partei um Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit, "die mehrfach schwer straffällig geworden sind und damit eine Gefahr für die Sicherheit in unserem Land darstellen". Welche Straftaten das sein könnten und wie der deutsche Staat genau mit solchen Straftätern verfahren würde, wollte die CDU nicht sagen.
Was sagen andere Politikerinnen und Politiker?
SPD-Chefin Saskia Esken sagte dem "Stern": "Friedrich Merz spielt bewusst mit dem rechtspopulistischen Feuer und ist als Kanzler aller Deutschen nicht geeignet." Seine Forderungen würden aus Eingebürgerten "Bürger zweiter Klasse machen". Der Linken-Vorsitzende Jan van Aken ging noch weiter: "Was Friedrich Merz hier gesagt hat, ist nichts anderes als widerlicher Rassismus", Merz spalte das Land. Der Grünen-Chef Felix Banaszak sagte: "Eine Staatsbürgerschaft auf Abruf darf es für niemanden geben." Die Union solle auch im Wahlkampf nicht den Eindruck erwecken, "dass sie an so grundlegenden Säulen unseres Rechts sägen will".
Quelle: ntv.de, lwe