Politik

Nazis ermordeten Regina JonasBerlin entdeckt die weltweit erste Rabbinerin

24.12.2025, 12:06 Uhr
imageVon Markus Frenzel
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Kleine Geste, große Wirkung: Die lange vergessene Regina Jonas gehört nun wieder zum Stadtbild der deutschen Hauptstadt.

Berlin ehrt eine bemerkenswerte Frau mit einer eigenen Straße: Von der Welt vergessen, war Regina Jonas die erste Frau im Rabbiner-Amt. Jahrzehnte früher als lange gedacht. Nahe der Regina-Jonas-Straße soll noch mehr dem Zerstörungswerk der Nazis entrissen werden.

An einem sonnigen Nachmittag im Dezember bildet sich eine Menschenmenge an einer Straße, die zu dem Zeitpunkt noch nach einer Stadt in Polen benannt ist. Über die Pflastersteine hallen freudige Gespräche, Lachen. So leicht und beschwingt ging es in der Nachbarschaft am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg nicht immer zu. Denn ganz in der Nähe stand einstmals eine der größten Synagogen der deutschen Hauptstadt. Bis diese am 9. November 1938 angezündet und einige Jahre später durch Fliegerbomben endgültig zerstört wurde.

Der Grund für die neue Freude hängt in der Luft. Von dem Pfahl mit dem Straßenschild baumelt ein Seil, an dessen Ende ein Tuch befestigt ist. Dann kommt es zu dem Moment, auf den alle hier warten. Lokalpolitiker und Vertreter der jüdischen Gemeinde ziehen gemeinsam an dem Strick und anderthalb Meter höher wird der neue Straßenname sichtbar: Regina-Jonas-Straße. "Mit dieser Straße setzen wir ein deutliches Zeichen gegen Antisemitismus und für starke Frauen", sagt die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Kreuzberg, Clara Herrmann von den Grünen. Aber wer ist diese Regina Jonas?

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Hetty Berg, die Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, bei der Einweihung der umbenannten Straße.

Regina Jonas blieb über viele Jahrzehnte ein Phantom. Die jüdische Geistliche wirkte in den 1930er Jahren in Berlin, auch in der Kreuzberger Synagoge, gleich um die Ecke. Wäre ihr Nachlass nicht kurz nach dem Fall der Mauer in einem Archiv in Ostdeutschland aufgetaucht, vielleicht wäre die Frau völlig in Vergessenheit geblieben. "Nach 1945 herrschte staatlicherseits weder in der BRD noch in der DDR ein ausreichend großes Interesse, die deutsch-jüdische Geschichte und den Holocaust umfassend zu erforschen, um auch auf das Thema 'Frauen als Rabbinerinnen' zu stoßen", sagt Hetty Berg, die Direktorin des Jüdischen Museum Berlin, ntv.de. "Erst als nach der Wende die Archive der DDR zugänglich wurden, konnte eine Historikerin Regina Jonas wieder zu der Bekanntheit verhelfen, die ihr zukommt."

Dabei zählte die junge Berlinerin vor knapp hundert Jahren zu einer der wichtigsten weiblichen Persönlichkeiten weltweit. Denn Jonas wurde als erste Frau überhaupt zur Rabbinerin ordiniert. Damit hatte sie Signalwirkung für Generationen von Jüdinnen nach ihr, von Jerusalem bis Buenos Aires. Nur war das lange Zeit sogar unter ihren Nachfolgerinnen im Rabbineramt kaum bekannt. Denn bis zur Entdeckung ihrer schriftlichen Zeugnisse galt die Amerikanerin Sally Priesand, die 1972 in der US-Industriemetropole Cincinatti ordiniert worden war, als erstes weibliches Oberhaupt einer jüdischen Gemeinde. Zu Unrecht, wie sich mit der Entdeckung des Regina Jonas-Nachlasses viele Jahre später zeigen sollte.

"Viele heutige Rabbinerinnen können sich in ihrem Kampf wiederfinden", sagt Elisa Klapheck, die eine von vier jüdischen Geistlichen ist, die bei der Umbenennung der Straße dabei sind. Klapheck steht in einer Traditionslinie mit Regina Jonas, sie lehrt als Professorin an der Universität Potsdam, wirkt als Rabbinerin in der großen jüdischen Gemeinde in Frankfurt am Main, steht sogar der Allgemeinen Rabbinerkonferenz in Deutschland vor. Vor einigen Jahren hat Klapheck eine Biografie über das erste jüdische Gemeindeoberhaupt überhaupt geschrieben. "Regina Jonas hat ja nicht nur dafür gekämpft, dass Frauen Rabbinerin werden können", sagt sie ntv.de. "Sie hat auch religionsgesetzlich begründet, warum es möglich ist, und gesellschaftlich, warum es notwendig ist."

Eine globale Erfolgsgeschichte

Dennoch gibt es kaum biografische Spuren der gebürtigen Berlinerin. Von Regina Jonas existiert nur ein einziges Foto. Darauf sieht man eine ernst blickende Frau, die Haare streng gescheitelt, den schwarzen Talar bis ans Kinn zugeknöpft. In der Hand hält sie ein Buch. Irgendwie erinnert das Bild an Darstellungen Martin Luthers, der von Malern seiner Zeit oft genauso ernst und schwarz verhüllt gemalt wurde. Aber vielleicht gibt es zwischen den beiden Geistlichen, religionsübergreifend, eben einige Parallelen. Auch Regina Jonas erreichte für das Judentum seinerzeit geradezu Unerhörtes. Dominierte doch vor allem unter den Orthodoxen die Ansicht, dass eine Frau unmöglich Rabbinerin werden könne. Zudem lebte sie auch als Rabbinerin in einer, wohl eher platonischen, Liebesbeziehung zu einem befreundeten Rabbiner. Hunderte Briefe, welche die beiden einander geschrieben haben, geben darüber noch immer Auskunft.

Auf jeden Fall kann die Bedeutung der deutschen Jüdin für die Welt nicht hoch genug eingeschätzt werden. 1935 wurde Jonas in Offenbach ordiniert, was ein Fanal in die jüdische Welt sandte, als Beginn eines tiefgreifenden Emanzipationsprozesses angesehen werden kann und zu einer großen globalen Erfolgsgeschichte, mit Startpunkt in Berlin wurde. Das Ergebnis ist beeindruckend: Heute ist, zumindest unter liberalen Juden, jeder vierte Rabbiner eine Frau.

Dass die Geschichte von Regina Jonas nicht immer so präsent war, könnte auch mit der Konkurrenz der Geschlechter zusammenhängen. "Der Trend war, sie nach ihrem Tod zu vergessen", sagt die Rabbinerin Klapheck. "Die Männer wurden in die Geschichtsbücher aufgenommen. Die Frauen wurden als eine Peinlichkeit behandelt." Dass die Erinnerung an die bedeutende Frau lange Zeit jedoch nahezu ausgelöscht war, geht ganz sicher auf die NS-Terrorherrschaft zurück. "Die Nationalsozialisten haben nicht nur Menschen ermordet, sondern auch versucht, die Erinnerung an sie auszulöschen", sagt Museumsdirektorin Berg. Fast wäre den Nazis das gelungen.

"Die Ehrung zeigt einen Quantensprung"

Nur wenige Jahre nach ihrem Amtsantritt als jüdische Geistliche wurde Regina Jonas von den Nazis verhaftet und ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Doch sogar an diesem düsteren Ort wirkte die mutige Frau weiter und spendete Trost. Als Mitarbeiterin im "Referat für psychische Hygiene" betreute sie - so zeigen es Recherchen der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem - traumatisierte Neuankömmlinge, die soeben den Zügen entstiegen waren. Daneben wirkte sie sogar im Konzentrationslager als Rabbinerin und Seelsorgerin. "Von Gott 'gesegnet' sein, heißt, wohin man tritt, in jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden", waren Regina Jonas letzte Worte, bevor sie am 12. Oktober 1944 in den Zug nach Auschwitz stieg, wo sie wenig später ermordet wurde.

Umso erfreuter sind die Vertreter des jüdischen Lebens in Deutschland heute, dass die erste Rabbinerin aus dem Vergessen gerissen wird. "Die Ehrung zeigt einen Quantensprung", freut sich Rabbinerin Klapheck. Einige hundert Meter Kopfsteinpflaster könnten einen Beitrag dazu leisten, dass die Nationalsozialisten ihr Ziel doch nicht erreicht haben. Bis vor wenigen Tagen hieß die Straße in der Nähe des Kreuzberger Landwehrkanals noch Kohlfurter Straße, nach einem Ort in Schlesien, der als Ergebnis des von den Nationalsozialisten angezettelten Zweiten Weltkriegs polnisch wurde.

Die Botschaft, die mit dem Namen Regina Jonas verbunden ist, zielt jedoch längst nicht nur in die Vergangenheit. Ihr Wirken weist in die Zukunft. "Halte an Deinem Ziel fest, wenn Du davon überzeugt bist", nennt Hetty Berg eine der Grundüberzeugungen der ersten Rabbinerin. "Steh zu Deinen Werten und suche das Gespräch mit anderen darüber. Nichts, was heute gilt, muss für immer gelten. Du kannst die Welt verändern!"

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Die Ehrung zeigt einen Quantensprung", freut sich Rabbinerin Elisa Klapheck.

Die Regina-Jonas-Straße verläuft nun vorbei an einem verwilderten Parkgrundstück, auf dem ein Projekt immer konkretere Formen annimmt, das bereits heute auch international aufmerksam verfolgt wird: das "Jüdische Zentrum Synagoge Fraenkelufer". In wenigen Jahren soll das Gebäude stehen, in dem sich dann ein jüdisches Kulturzentrum mit Ausstellungsräumen und Ateliers, ein Café und eine jüdische Kita befinden werden.

Hier, inmitten des multikulturellen, multireligiösen Kreuzberg, entsteht ein zentraler Ort für jüdisches Leben und den Austausch der Religionen und Kulturen. "Jüdinnen und Juden gehören zur deutschen Geschichte und Gegenwart und das jüdische Leben entwickelt sich weiter", freut sich Museumsdirektorin Klapheck. Ein guter Ort für das Gedenken, findet auch Rabbinerin Klapheck: "Regina Jonas kann nicht mehr vergessen werden."

Quelle: ntv.de

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