Panorama

Eine für alle Wer soll es denn jetzt machen, Margot?

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Margot Friedländer - bei der Verleihung des Ernst-Lubitsch-Preises 2024 im Berliner Zoo Palast.

Margot Friedländer - bei der Verleihung des Ernst-Lubitsch-Preises 2024 im Berliner Zoo Palast.

(Foto: dpa)

Margot Friedländer ist gestorben. Und mit ihr die Mahnerin und unermüdliche Erzählerin. Nicht gestorben ist ihr Vermächtnis. Es ist jetzt an uns, ihr Werk weiterzuführen. Denn wir sind Menschen.

Noch nie habe ich auf meiner Instagram-Timeline dermaßen ähnliche Fotos vorgefunden, eine so große Übereinstimmung wie in der vergangenen Woche. Jeder, den ich kenne, jede, die was auf sich hält, postete ein Foto von Margot Friedländer, im besten Fall ein Selfie. Wenn es nach meiner Timeline ginge, dann kann Margot Friedländer in den letzten Jahren eigentlich kaum etwas anderes gemacht haben, als Selfies mit Bürgern. Und Fans. Mit Menschen, wie sie sagen würde. Mit Menschen, die es als Ehre ansahen, sie kennenlernen zu dürfen. Ich habe sie kennengelernt, dreimal hatte ich das Vergnügen, die Ehre, ihr zuhören zu dürfen, sie zu sehen, weiter in ihre Geschichte einzutauchen. Und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass sie mehr gemacht hat als Selfies.

Vor ein paar Jahren war ich zu einem privaten Event in Potsdam eingeladen, Igor Levit spielte Klavier, Max Raabe tummelte sich unter den Gästen. Auf dem Bootssteg unterhielt ich mich stundenlang mit den Preußens. Ich vermisste meine Tochter, die ich Stunden zuvor Richtung Südafrika in ein Flugzeug gesetzt hatte, um dort zur Schule zu gehen. Ich muss sagen, ich war nicht ganz bei mir. Die Sonne ging dramatisch langsam unter, Musik schallte über den See, und während ich an meinem eiskalten Rosé nippte, fragte ich mich, wer die Frau war, um die alle Männer herumgestanden hatten. Ich hatte sie nicht sehen können, so groß war der Andrang. Ich entschloss mich, zurück ins Haus zu gehen.

Wir werden sie vermissen.

Wir werden sie vermissen.

(Foto: dpa)

Die kleine Frau, winzig fast, mit großen, gütigen Augen und einem wirklich süßen Lächeln, saß noch immer im Wohnzimmer der Villa, noch immer standen eine Menge Männer - und auch Frauen - um sie herum, aber inzwischen konnte ich zumindest einen Blick auf sie erhaschen. Wer hält denn da Hof, fragte ich mich, ohne Brille auf der Nase, und ging näher an die Menschentraube heran. Alle Augen waren auf sie gerichtet, sie strahlte, ob der Aufmerksamkeit, sprach leise, langsam, es herrschte eine geradezu feierliche Stille. Sie beherrschte die Szene, ganz eindeutig: Margot.

Nicht oft genug?

Sie erzählte eine Geschichte aus ihrem wahrlich unglaublichen Leben. Ich konnte sie nicht verstehen, ich stand zu weit weg, aber ich sollte sie noch zu hören bekommen, die Geschichten. Immer und immer wieder. Und dennoch scheint es, als hätte sie sie nicht oft genug erzählt.

Margot Friedländers Geschichte muss ich an dieser Stelle nicht wiederholen, die kennen Sie, wenn Sie auf diesen Text geklickt haben. Die Frage, die sich mir stellt, ist nun, nach ihrem Tod, vor allem: Wie wird es weitergehen? Ich hatte diese Woche die Gelegenheit, mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, zu sprechen, und natürlich wird es später eine Straße oder einen Platz mit ihrem Namen in der Hauptstadt geben. Was ihm jedoch viel wichtiger war, und das betonte er glaubhaft: "Wie führen wir die Arbeit, die sie selbst in ihrem hohen Alter noch voller Freude ausgeführt hat, fort?"

Natürlich wird es weiterhin die Stiftung geben, die sich in den besten Händen von Karsten Dreinhöfer, dem Vorstandsvorsitzenden der Margot-Friedländer-Stiftung, befindet. Aber eine Frau mit so viel Charisma, mit ihrem Schatz an Erfahrungen, mit ihrem unbedingten Willen, diesen an die folgenden Generationen weiterzugeben, so eine wird man nicht mehr finden.

So hat es damals auch angefangen

Und wie unglaublich traurig ist es, dass eine 103-jährige Holocaust-Überlebende mit dem Gedanken sterben musste: "So hat es damals auch angefangen." Wie konnten wir das zulassen? Wie können wir noch immer die Augen verschließen vor der Tatsache, dass große Anteile der deutschen Menschen glauben, eine Partei wie die AfD könne gut sein für unser Land? Wie ist es dazu gekommen, dass wir das rechte Gedankengut, das große Teile der deutschen Menschen bewegt, nicht ausmerzen konnten? Sie bemerken es vielleicht - ich schreibe mich an dieser Stelle in Rage, und deswegen hebe ich mir diese Bemerkungen für ein anderes Mal auf und fahre lieber mit meinen Begegnungen mit Margot Friedländer fort. Denn das ist es, was für mich zählt.

Ich sah sie dann wieder auf der "Cinema for Peace"-Gala 2024: Sie wurde auf die Bühne begleitet, erstaunlich gut lief sie da noch, stand aufrecht vor dem Rednerpult und holte ihr Papier heraus, von dem sie kaum ablas, dass ihr vielleicht aber ein wenig Sicherheit gab. Nach ein paar Minuten bat sie darum, den Licht-Spot nicht so direkt auf ihr Papier zu richten, das würde sie blenden, sagte sie. Als niemand reagierte, wurde sie ein wenig ungehalten und ich musste schmunzeln, denn ich dachte, "Gott sei Dank, sie ist auch nur ein Mensch, der manchmal von Kleinigkeiten genervt ist."

Ihr wurde geholfen und sie fuhr fort: Erzählte von dem Tag, als ihr Bruder von der Gestapo abgeholt wurde. Wie ihre Mutter ihrem Bruder folgte, wie sie den Brief ihrer Mutter fand, in dem stand, dass sie "ihr Leben machen" soll, die Bernsteinkette, das einzige Andenken, und wie allein sie sich fühlte. Wie sie diese beiden Menschen nie wieder gesehen hat. Erzählte von ihrer Deportation nach Theresienstadt, ihrer Rettung. Der Emigration in die USA. Ihrer Rückkehr nach Berlin im hohen Alter. Ihrer Form des Verzeihens. Und des Mahnens. Zum ersten Mal bei dieser Veranstaltung war es ruhig im Saal. Denn normalerweise lassen sich essende und trinkende Prominente und andere Menschen mit teuren Eintrittskarten ungern von dem ablenken, was da vorn auf der Bühne passiert, zu wichtig erscheint oftmals das eigene Tischgespräch. Bei Margot Friedländer war das anders.

Unermüdliche Mahnerin, Erzählerin, Vorleserin: Margot Friedländer in ihrem Element.

Unermüdliche Mahnerin, Erzählerin, Vorleserin: Margot Friedländer in ihrem Element.

(Foto: dpa)

Wärme, Nahbarkeit und Mitgefühl

Ich sah Margot Friedländer noch einmal bei der Verleihung des Ernst-Lubitsch-Preises 2024 im Spätsommer. Eine kleine, alte Dame, die jede Veranstaltung geadelt und veredelt hat. Eine Frau, die mit klarem Verstand sah, was in Deutschland und auf der Welt vor sich ging.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, erinnerte bei der Trauerfeier am 15. Mai auf dem Friedhof Weißensee noch einmal daran, dass die Nazis Margot Friedländers Mutter, Vater und Bruder ermordeten und sie selbst inhaftierten. "Aber aus dieser Vergangenheit heraus ist sie jemand geworden, der nicht hassen wollte, sondern erinnern, nicht anklagen, sondern erzählen", so Joffe. Friedländer symbolisiere das, was einen Menschen ausmache: Wärme, Nahbarkeit und Mitgefühl.

Friedländers Worte "Seid Menschen!" hätten Generationen erreicht, sagte dann Leeor Engländer, ein enger Freund der Holocaust-Überlebenden. Es habe Friedländer immense Anstrengung gekostet, sich gegen Desinteresse und Verdruss einzusetzen. Das Trauma des Erlebten habe sie nie wieder losgelassen, auch wenn sie nach außen stets positiv aufgetreten sei. Immer wieder habe sie der Gedanke geplagt, was aus all den Kindern geworden wäre, die ins Gas geschickt wurden. Es habe kein Gespräch mit Friedländer gegeben, in dem sie ihm nicht anvertraut habe, wie sehr die Dämonen der Vergangenheit sie bedrückten, so Engländer.

Der Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Chabad Berlin, Yehuda Teichtal, sagte: "Margot, deine Geschichte ist eine Geschichte der Stärke und der unzerbrechlichen Menschlichkeit." Das Vermächtnis Friedländers sei es gewesen, immer zu versuchen, die Welt zu einem menschlicheren und besseren Ort zu machen.

Max Raabe sang schließlich das Lied "Irgendwo auf der Welt". Dort heißt es unter anderem: "Irgendwo auf der Welt gibt's ein kleines bisschen Glück, und ich träum' davon in jedem Augenblick." Margot, wir wollen nicht nur mit dir träumen, sondern aktiv daran arbeiten, dass deine Arbeit nicht vergebens war.

Wenn wir alle ein kleines bisschen Margot sind, dann wird es weitergehen.

Quelle: ntv.de

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