
Biden appelliert an den Zusammenhalt der US-Amerikaner.
(Foto: AP)
Die Vereinigten Staaten werden ihre Impfanstrengungen noch einmal verstärken, kündigt Präsident Biden an. Er bittet die Bevölkerung bei seiner ersten großen Ansprache um Unterstützung. Und zeigt dabei, wie sehr er sich von seinem Vorgänger unterscheidet.
Am Jahrestag der ersten Lockdown-Maßnahmen in den USA hat Joe Biden die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Einschränkungen geweckt. Bereits ab dem 1. Mai könnten sich alle Erwachsenen in den Vereinigten Staaten für eine Impfung registrieren, sagte der US-Präsident in einer Ansprache an die Bevölkerung, bis Ende des Monats könne jeder eine erste Impfdosis erhalten. Unter anderem werde der Impfstoff in 10.000 Apotheken des Landes verabreicht.
Biden sitzt seit 50 Tagen im Weißen Haus, es ist die erste große Ansprache seiner Amtszeit. Sie verweist auf Charakterzüge und Eigenschaften, die seinem Vorgänger größtenteils abgingen. Die ganze Rede und ihre Informationen sind klar strukturiert. Sie dauert rund 20 Minuten und ist damit erfrischend knapp gehalten. Biden verzichtet auf direkte Verbalangriffe in Richtung politischer Konkurrenten. Stattdessen zeigt der US-Präsident viel Empathie und betont immer wieder, dass diese Krise nur von allen gemeinsam durchzustehen sei.
Der vielleicht eindrucksvollste Moment: Biden holt in einem der gefühlvolleren Abschnitte einen Notizzettel aus der Jackett-Innentasche hervor. Dies sei sein täglicher Stundenplan, erklärt er, und auf der Rückseite werde immer die aktuelle Zahl der Opfer aufgeführt. Ein ausgedruckter Todesticker.
Am Donnerstag waren es 530.320 verlorene Menschenleben. "Das sind mehr als im Ersten und Zweiten Weltkrieg, dem Koreakrieg, dem Vietnamkrieg und 9/11 zusammen", macht Biden noch einmal die Ausmaße der Pandemie allein in den USA bewusst. Die Aussage ist nicht korrekt, die Zahl liegt noch darunter, aber es könnte noch so weit kommen. Das Land befinde sich wie im Kriegszustand, sagt Biden. Das Wichtigste sei nun, das Virus zu besiegen; "der einzige Weg, unser Leben zurückzubekommen, die Wirtschaft wieder in die Spur zu bringen".
"Ich brauche euch"
Der Demokrat appelliert mehrfach an das US-amerikanische Selbstverständnis: Das Virus habe die Menschen auseinandergehalten, aber die Bevölkerung müsse in harten Zeiten zusammenstehen. Jeder Einzelne werde gebraucht. Als positives Beispiel führt er zwei konkurrierende US-Unternehmen an, die nun bei der Produktion von Impfstoffen zusammenarbeiten. Deshalb habe das Land 100 Millionen Dosen mehr kaufen können. Statt der von ihm versprochenen 100 Millionen Impfungen in den ersten hundert Tagen seiner Amtszeit, würden die Vereinigten Staaten diese Marke schon nach 60 Tagen erreichen.
Während Trump sich mit positiven Nachrichten meist selbst beweihräucherte, bleibt Biden vergleichsweise bescheiden. Für den Erfolg sind tatsächlich Trump und Biden zusammen verantwortlich, denn der Ex-Präsident hatte für die Impfstoffentwicklung eine Taskforce eingesetzt und die Pharmaunternehmen mit Milliarden Dollar gefördert. Biden wird dieses Projekt zu Ende führen. "Ich werde nicht nachlassen, bis wir dieses Virus geschlagen haben", versichert er. "Aber ich brauche euch. Jeder Amerikaner muss seinen Teil beitragen."
Biden kündigt eine Website für die Impfmöglichkeiten im ganzen Land an, wo Menschen die nächste Impfeinrichtung finden können; die nationale Regierung werde zudem klare Anweisungen dazu herausgeben, was Geimpfte tun können und was nicht, um niemanden zu gefährden.
Biden warnt trotz der hoffnungsvollen Signale davor, unvorsichtig zu werden. Auch wenn die täglichen Todeszahlen wegen der voranschreitenden Impfungen rückläufig sind und auch immer weniger Menschen in Krankenhäusern behandelt werden, verbreiten sich die neuen, aggressiveren Virusvarianten im Land. Wie auch andere Staaten auf der Welt befinden sich die USA mit ihren Impfungen im Wettrennen gegen das Virus.
Der Präsident sendet auch ein Signal gegen Rassismus. Asiaten und Amerikaner asiatischer Abstammung würden für die Pandemie verantwortlich gemacht, offen angefeindet und Opfer von Hassverbrechen: "Sie müssen um ihr Leben fürchten, nur weil sie die Straße herunterlaufen. Das ist falsch, es ist unamerikanisch und es muss aufhören", fordert er. Trump hatte wiederholt vom "China-Virus" gesprochen und das Land für die Pandemie verantwortlich gemacht.
Vermenschlichte Nachrichten
Der "temporäre Moment, den wir als Land und als Welt überstehen werden", wie Trump es genau ein Jahr zuvor sagte, als er weitreichende Reisebeschränkungen ausrief und die Weltgesundheitsorganisation den Pandemie-Fall bestätigte, ist noch immer nicht vorbei. Kurz vor der Rede unterzeichnete Biden das 1,9-Billionen-Hilfepaket zur Abfederung der Pandemiefolgen. In einer Umfrage von CNN/SRSS zeigten sich zuletzt 60 Prozent der Menschen zufrieden mit dem Krisenmanagement des US-Präsidenten, 34 Prozent äußerten sich hingegen unzufrieden.
Mehrfach äußert Biden bei seiner Ansprache eindringlich sein Mitgefühl für das Leid in der Bevölkerung. Er vermenschlicht damit die technischen Nachrichten über Ansteckungs- und Todeszahlen. Attacken oder politische Winkelzüge aus Washington lässt er außen vor, stattdessen verkündet er Ergebnisse und die nächsten praktischen Schritte. Dazu gehört auch, der Wissenschaft im Allgemeinen und vor allem Corona-Chefberater Anthony Fauci zu vertrauen. "Es könnte wieder schlimmer werden", warnt er.
Als er um nationale Einheit bittet, hält er sichtbar einen Mund-Nasen-Schutz in den Händen, den er sekundenlang mit seinen Fingern bearbeitet. Auch wegen der beabsichtigten Versöhnung der politischen Lager ist Biden ins Amt gewählt worden. Die Pandemie bezeichnet er als "eines der dunkelsten Kapitel unserer Geschichte". Aber: "Nach einem dunklen Jahr gibt es Hoffnung." Der Startschuss für eine neu gewonnene Freiheit könne der 4. Juli sein. Der US-amerikanische Unabhängigkeitstag.
Quelle: ntv.de