Politik

Rede zum Kapitol-Sturm 2021 Biden wagt die große Trump-Anklage

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Seit Monaten verharmlosen die Republikaner den Sturm auf das Kapitol in Washington vor einem Jahr - und versuchen damit auch Ex-Präsident Trump reinzuwaschen. In einer kämpferischen Rede greift Präsident Biden seinen Vorgänger hart an.

Vor einem Jahr endete der Kampf um das Kapitol in Washington mit mehreren Toten und Verletzten - am Ende gelang es dem von Ex-Präsident Donald Trump aufgestachelten Mob nicht, die Zertifizierung der Präsidentschaftswahlen vom November 2020 zu verhindern. Doch der Kampf um die Demokratie in den USA ist noch nicht vorbei. Seit den Ereignissen tobt ein Kampf um deren Deutung und, wie manche fürchten, auch um die amerikanische Demokratie selbst. Am Jahrestag des Sturms auf den Sitz des amerikanischen Kongresses hat sich nun Präsident Joe Biden mit einer flammenden Rede an seine Landsleute gewandt und dabei Donald Trump ungewöhnlich scharf attackiert. Das erwartete Fernduell mit seinem Vorgänger fiel aber aus - Trump sagte einen für den Abend geplanten Auftritt kurzfristig ab und verschob diesen auf den 16. Januar.

"Der ehemalige Präsident hat ein Netz aus Lügen über die Wahlen von 2020 erschaffen", sagte Biden ohne Trump beim Namen zu nennen. Dieser habe nicht akzeptieren können, dass er verloren habe, obwohl 93 US-Senatoren, sein eigener Vizepräsident, sein eigener Generalstaatsanwalt und etliche teils vom ihm selbst ernannte Richter die Wahl anerkannten. "Wir müssen entscheiden, was für eine Nation wir sein wollen", sagte Biden, der in der National Statuary Hall im Kapitol sprach, wo vor einem Jahr die Randalierer gewütet hatten. "Werden wir eine Nation sein, die im Lichte der Wahrheit oder im Schatten der Lüge lebt?" Der ehemalige Präsident und viele Republikaner würden die Lüge verbreiten, dass der eigentliche Aufstand am Wahltag stattgefunden habe. "Haben Sie das gedacht, als Sie wählen gingen?", fragte Biden. Der ehemalige Präsident versuche, die Geschichte umzuschreiben.

In den Tagen nach dem Kapitol-Sturm hatte es zunächst so ausgesehen, als habe Trump den Bogen endgültig überspannt. Mehrere hochrangige Republikaner wie die Mehrheitsführer in Repräsentantenhaus und Senat, Kevin McCarthy und Mitch McConnell, rückten von ihm ab. Sie sahen es als erwiesen an, dass Trump den Mob angestachelt hatte. Einige Wochen später, als das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen den früheren Präsidenten lief, sah das schon wieder anders aus. McCarthy schwenkte auf Trumps Linie zurück und mit ihm etliche Republikaner, die fast geschlossen gegen eine Verurteilung in dem Impeachment stimmten. Sie begannen die Ereignisse zu verharmlosen, die Randalierer als Patrioten darzustellen und weiter zu behaupten, bei dem Wahlsieg Bidens sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Mit Erfolg: Längst hat Trump die Kontrolle über die Republikaner wiedergewonnen und verfügt über beste Chancen, noch einmal für sie zu kandidieren.

83 Prozent sorgen sich um Demokratie

Zugleich erließen die Republikaner in mehreren Bundesstaaten Reformen, die es schwieriger machen zu wählen - angeblich um Betrug zu erschweren. Doch für die Demokraten ist klar, dass so ihre ärmeren, oftmals schwarzen Wähler von den Urnen ferngehalten werden sollen. Den Kampf um das Wahlrecht führen die Demokraten auch in Washington, er ist eine der großen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, nicht erst seit der Wahl. Biden sagte nun an die Amerikaner gerichtet: "Mehr als 150 Millionen von Ihnen sind wählen gegangen, mehr als jemals zuvor in der amerikanischen Geschichte, während einer Pandemie, manche riskierten dafür ihr Leben. Das hat Applaus verdient." Doch statt nun bei der nächsten Wahl die besseren Ideen vorzulegen, sagten die Republikaner, "der einzige Weg ist es, die Stimmabgabe zu unterdrücken. Das ist falsch, das ist unamerikanisch", so Biden.

Einer Umfrage der Zeitung "USA Today" zufolge machen sich 83 Prozent der Amerikaner Sorgen um die Demokratie im Land, 51 Prozent sogar sehr starke - und das über die Parteigrenzen hinweg. Demnach glauben 58 Prozent der Republikaner, dass Biden nicht auf legitime Weise gewählt wurde. Zum Kapitol-Sturm meinen zwei Drittel der Anhänger der Trump-Partei, dass die Randalierer zwar zu weit gegangen seien, aber ein richtiges Anliegen verfolgt hätten. Bei einer für den Radiosender NPR durchgeführten Umfrage kam heraus, dass weniger als die Hälfte der Republikaner Bidens Wahlsieg akzeptiert. Der ließ nun keinen Zweifel daran, wie ernst ihm die Lage erscheint. Auch seine Vizepräsidentin Kamala Harris hatte vor ihm vor Untätigkeit gewarnt: "Wir können nicht nur an der Seitenlinie sitzen, wir müssen unsere Demokratie verteidigen", sagte sie.

Der Präsident führte noch einmal eindringlich die Argumente an, warum die Wahl sauber war. So sei diese so genau überprüft worden wie keine andere zuvor, allein in Georgia habe es drei Neuauszählungen gegeben. "Es gibt null Beweise, dass das Wahlergebnis inkorrekt war", rief Biden. "Der ehemalige Präsident hat nie erklärt, warum er die anderen Wahlergebnisse des Tages nicht angefochten hat." Parallel wählten die Bürger auch neue Gouverneure, Abgeordnete und Senatoren - wobei die Republikaner viele Erfolge feierten. "Irgendwie sollen diese Ergebnisse gestimmt haben, Stimmen auf den gleichen Wahlzetteln, am gleichen Tag, von denselben Wählern", so Biden, dessen Rede stellenweise einer Anklage gleichkam.

Chance für Biden

Es war nicht unerwartet, aber doch bemerkenswert, dass Biden Trump so scharf angriff. Er ließ zwar nie einen Zweifel an seiner Meinung zu Trump und seiner Rolle vor einem Jahr, hielt sich aber öffentlich eher zurück. Er hatte die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, die Menschen wieder zusammenzuführen. Lange wirkte es so, als ob er vor allem nach vorn schauen wollte. So äußerte er sich beispielsweise kaum zum zweiten Amtsenthebungsverfahren.

Dass er nun so klare Worte fand, war zwar dem Anlass angemessen - Biden könnte darin aber auch eine Chance gesehen haben. Denn in den vergangenen sechs Monaten hat sein Ansehen gelitten. Da waren erst der verkorkste Abzug aus Afghanistan und neue Corona-Wellen sowie dann das ewige Gezerre um ein großes Infrastrukturpaket. Die Demokraten gaben dabei ein zerstrittenes Bild ab, Biden wirkte schwach, seine Umfragewerte rauschten abwärts. Eine große Enttäuschung war, dass die Gouverneurswahlen in Virginia verloren gingen - in einem Bundesstaat, den Biden bei der Präsidentschaftswahl noch klar gewonnen hatte. Trump als Schreckgespenst könnte die eigenen Wähler wieder mobilisieren, könnte seine fragile Koalition aus Bernie-Sanders-Linken und konservativen Demokraten noch einmal zusammenschweißen. Wenn es dabei bleibt, dass die große Mehrheit der Amerikaner Trump nicht noch einmal im Weißen Haus sehen will.

Quelle: ntv.de

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