Politik

Erstaunen bei US-Demokraten Bidens Herz schlägt plötzlich links

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Starker Auftritt: Joe Biden

(Foto: REUTERS)

Bislang war es im Vorwahlkampf der US-Demokraten so: Bernie Sanders forderte forsch, Joe Biden bremste. Bei der Fernsehdebatte der beiden Konkurrenten ändert sich das nun.

Bernie Sanders tritt an diesem Abend nicht auf, um das Ruder bei den Vorwahlen der US-Demokraten noch herumzureißen, sondern unter den Augen der US-Fernsehzuschauer so zu tun. "Alles gut und schön. Aber nicht genug!", wirft er seinem Konkurrenten Joe Biden vor, als der gerade seine geplanten Maßnahmen gegen die Klimaerwärmungsfolgen heruntergerattert hat. Nach diesem Prinzip attackiert er Biden immer wieder in den zwei Stunden. Den Mann, der wahrscheinlich Präsidentschaftskandidat der Demokraten wird und der den Amtsinhaber besiegen soll, weil er bislang die meisten Delegiertenstimmen für sich gewinnen konnte.

Wie hat sich die Wählerschaft in den vergangenen vier Jahren verändert und wohin rückt die progressive große US-Partei, um die Wahl im November zu gewinnen? Nach links, so viel ist klar, aber wie weit? Sanders hatte am so wichtigen Super Tuesday vor rund zwei Wochen schlechter abgeschnitten als von seinen Anhängern erhofft und schaffte es nicht, am vergangenen Dienstag zurückzuschlagen. Danach war die Frage: Würde er hinschmeißen? Nur noch die TV-Debatte für einen Abschied nutzen? Sanders war kurz in sich gegangen und kündigte an, weiterzumachen.

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Hat nur noch geringe Chancen auf die Kandidatur: Bernie Sanders

(Foto: REUTERS)

Der linke Senator wollte bei der Diskussion vom gemäßigten Biden Zugeständnisse an seinen linken Parteiflügel erhalten. Er bekam sie. Wegen des Coronavirus wurde die Diskussion mit Biden verlegt, nicht in Arizona fand sie statt, sondern in der seltsam klinischen Studioatmosphäre ohne Publikum in Washington D.C.. Ein Moderator wurde zudem sicherheitshalber ausgetauscht, weil er in Kontakt mit einem Erkrankten gewesen war.

Aussicht auf Historisches

Das Coronavirus ist trotz aller Maßnahmen präsent, Sanders und Biden begrüßen sich nur per Ellbogenkontakt und gehen danach auf Distanz. Dem großen Rahmen dieses Vorwahlkampfes, der Diskussion um die Gesundheitsversorgung im Land, gibt die derzeitige Lage zudem eine riesige Dosis Dringlichkeit. Während Biden auf seine praktische Erfahrung als Vize von Ex-Präsident Barack Obama hinweist, sich als Ärmelhochkrempler darstellt, der rigoros gegen die Verbreitung des Virus vorgeht, pocht Sanders auf seine Krankenversicherung für alle, da das aktuelle Gesundheitssystem offensichtlich nicht funktioniere. Der bissige Biden entgegnet, das eine habe nichts mit dem anderen zu tun. "In Italien hat es nicht funktioniert."

Die US-Amerikaner bekommen im Verlauf der Debatte zudem eineinhalb Versprechen, die sich als historisch herausstellen könnten. Eines von Biden, der ankündigt, auf jeden Fall eine Vizepräsidentschaftskandidatin auszuwählen, und ein halbes von Sanders, es ihm gleichzutun. Erst zwei Mal in der Geschichte der USA hat es eine potenzielle Vizepräsidentin gegeben, 1984 bei den Demokraten und 2008 bei den Republikanern. Beide Male verlor ihr Kandidat.

*Datenschutz

Die Ankündigung ist ein Signal Bidens an Sanders' Basis: Seht her, mein Herz schlägt auch links, ich schrecke vor Veränderungen nicht zurück. Den Klimawandel bezeichnet er leidenschaftlich als die größte Gefahr für die Nationale Sicherheit des Landes. Auch will er plötzlich für Familien bis zu einem Jahreseinkommen von 125.000 Dollar die Studiengebühren abschaffen. Sanders wird sich nach der Debatte erstaunt über den plötzlichen Meinungsschwenk zeigen.

Diese Hinweisschilder hält Biden womöglich für nötig, da es vor vier Jahren Hillary Clinton die Präsidentschaft kostete, dass Sanders' Anhänger sie nicht ausreichend unterstützten. Sanders versucht, die verbleibenden Unterschiede zwischen ihm und seinem Konkurrenten herauszustellen; verspricht etwa, er werde Fracking verbieten und Ölkonzerne wie Exxon Mobil wegen ihrer Verantwortung verklagen. Sie hätten, wie früher die Tabakindustrie, von den Folgen ihres Tuns gewusst, aber wegen der Profite gelogen. Er weist zudem auf den gigantischen Green New Deal hin, der die US-Wirtschaft grün machen soll.

Staatsbürgerschaft für Millionen Menschen

Als die Sprache auf Einwanderungspolitik kommt, überbieten sich die beiden Konkurrenten. Biden verspricht, allen 11 Millionen Menschen in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ebnen und Richter an die Südgrenze zu schicken, die dort über Asylanträge entscheiden sollen. Die meisten Menschen in den USA ohne Aufenthaltsgenehmigung sind Latinos. Hispanische Wähler werden im November die größte nichtweiße Wählergruppe sein. Sanders reagiert überrascht. Das habe er doch schon den kompletten Wahlkampf gefordert und kündigt mehrfach ein sofortiges Ende der Razzien durch die Einwanderungsbehörde ICE an. Biden verspricht, kein Asylsuchender an der Grenze müsse mehr ins Gefängnis, es werde auch keine Abschiebungen mehr geben, außer von verurteilten Kriminellen.

Biden signalisiert mehrfach, dass er glaubt, diese Kandidatur schon so gut wie sicher zu haben. So amüsiert er sich sichtlich überheblich, wenn er von Sanders angegriffen wird. Einmal tönt er mit aufgerissenen Augen in die Kamera: "70 Prozent mehr Wahlbeteiligung bei den Vorwahlen in Virginia, und sie haben für mich gestimmt. Für mich! Und ich hatte noch nicht einmal Geld!"

Bis zum vergangenen Dienstag hatten Sanders und sein Wahlkampfteam gesagt: Wir werden das Rennen um die Kandidatur und gegen Trump gewinnen, weil wir die schweigende Mehrheit vertreten. Doch die Ergebnisse zeigen bislang: Biden ist für sie attraktiver. Nach der Debatte, als ein Moderator diese Schwäche anspricht, antwortet Sanders: Die anderen Unterstützer, die kämen eben erst zur Präsidentschaftswahl im November hervor.

Quelle: ntv.de

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