TV-Journalistin zu Protest "Bin jetzt Feind Nummer eins"
17.03.2022, 00:51 Uhr
Nach jüngsten Medienberichtet wurde ein Strafverfahren gegen Owssjanskowa eingeleitet.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Mit ihrem Kriegsprotest in den russischen Hauptnachrichten bringt sich die Journalistin Marina Owssjannikowa in große Gefahr. Nun könne alles passieren, sagt sie in einem Interview, sie sei aber an einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gebe. Mit ihrer Meinung sei sie bei den Staatsmedien aber nicht allein, viele würden denken wie sie.
Die russische TV-Journalistin Marina Owssjannikowa, die live in den Abendnachrichten gegen den Krieg in der Ukraine protestiert hat, will Russland nicht verlassen. Sie sei jetzt der "Feind Nummer eins hier", sagte sie dem "Spiegel". Sie sei aber Patriotin, ihr 17-jähriger Sohn noch ein viel größerer. "Wir wollen auf keinen Fall weg, nirgendwohin auswandern", sagte sie in Bezug auf ein Asylangebot von Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.
Sie habe Angst, sagte sie dem Magazin. Aktuell verstecke sie sich bei Freunden, ihre beiden Kinder seien in Moskau in Sicherheit. "Es kann alles passieren, ein Autounfall, alles, was die wollen, dessen bin ich mir bewusst". Sie habe nun aber "bereits den Punkt überschritten, an dem es kein Zurück mehr gibt. Ich kann nun offen und öffentlich so sprechen."
Im Interview schildert sie, wie sie bei ihrer Protestaktion in den Abendnachrichten vorging. Sie habe ihr Protestplakat am Sonntag gemalt und einem Montag ihre Arbeit begonnen wie an jedem anderen Tag, habe im Studio beobachtet, wo genau die Kameras stehen, wie sie sich bewegen, wo sie sich hinstellen könne. "Ich hatte große Angst, am Ende könnte alles umsonst sein, wenn mich keiner zu sehen bekäme", schildert sie dem "Spiegel". Dann sei sie schnell ins Studio gelaufen: "An dem Polizisten vorbei, der immer Dienst hat bei uns." Der habe nicht mehr reagieren können.
Nach der Aktion sei sie schnell wieder zu ihrem Arbeitsplatz zurückgekehrt und habe gewartet. "Dann kamen viele Chefs zu mir - alle fragten: 'Waren Sie das?' Keiner wollte das so recht glauben." Die Beamten, die sie verhört hätten, hätten lange vermutet, dass sie sich nicht selbst zu dem Protest entschlossen habe: "Sie fragten immer wieder nach, wie ich mit dem Westen verbunden wäre, wer mich beeinflusst hätte. Dabei habe ich nur meine Position als Bürgerin zum Ausdruck gebracht."
Langsame Politisierung
Sich selbst bescheinigt Owssjannikowa eine "kognitive Dissonanz". Lange habe sie ihre zunehmende Unzufriedenheit mit der russischen Politik verdrängt, sie sei nie zu Demonstrationen gegangen. Die Schrauben seien derweil immer weiter angezogen worden. Am Anfang habe die Einschränkung von freien Wahlen gestanden, gefolgt seien die Ereignisse in der Ukraine und die Ausrufung der 'Volksrepubliken Donezk und Luhansk'", und schließlich die Vergiftung von Alexej Nawalny. Parallel dazu seien nach und nach die unabhängigen Medien ausgeschaltet worden. "Der Beginn des Krieges gegen die Ukraine war der Punkt, an dem es für mich kein Zurück mehr gab", sagt die 43-Jährige.
Die meisten Menschen, die beim Staatsfernsehen arbeiteten, verstünden sehr genau, was vor sich ginge, erklärt Owssjannikowa. "Sie ringen ständig innerlich zwischen der Arbeit und dem eigenen moralischen Kompass." Sie stünden aber unter finanziellem Druck und wüssten, dass sie derzeit keinen anderen Job finden würden. Ihr eigenes Leben werde jetzt ganz anders werden, so die Journalistin: "Ich weiß nicht, was wird. Wer weiß das schon in Kriegszeiten."
Quelle: ntv.de, ino