Zu langsame Booster-Impfungen Braun: "Das ist ein riesengroßer Schaden"
05.11.2021, 03:10 Uhr
Kanzleramtschef Braun dringt auf schnelle Auffrischungsimpfungen.
(Foto: imago images/Eibner)
Die Corona-Lage in Deutschland verschlechtert sich dramatisch. Darum hat das Robert-Koch-Institut seine Risikobewertung für Ungeimpfte und Geimpfte erhöht. Wie die nächsten Wochen zu bewältigen sind, bespricht Maybrit Illner mit ihren Gästen.
Seit knapp einem Jahr können sich Menschen gegen das Corona-Virus impfen lassen. Doch immer noch ist die Impfquote in Deutschland zu niedrig. Das Ergebnis: Die Infektionszahlen steigen dramatisch an. Laut Robert-Koch-Institut ist das Ansteckungsrisiko bei Ungeimpften "sehr hoch". Doch auch immer mehr Geimpfte stecken sich an. Eine Lösung: Booster- oder Auffrischungsimpfungen. Die sollen zunächst alte Menschen und "vulnerable Gruppen" bekommen. Das hat Noch-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gefordert. Im Grunde eine gute Lösung - darüber sind sich am Donnerstagabend die Gäste der ZDF-Sendung "Maybrit Illner" jedenfalls einig. Unterschiedliche Meinungen gibt es trotzdem, wenn auch nur über Kleinigkeiten.
Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend hatte sich zuletzt eine Mehrheit der Befragten für eine Impfpflicht ausgesprochen. Spahn ist da vorsichtiger. Er befürchtet, eine Impfpflicht könne zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Allerdings sprach er sich in mehreren Interviews für eine Testpflicht in Pflegeheimen aus. Im Bundestag wolle er notfalls sogar für deren Durchsetzung per Bundesgesetz werben. Aber eine Impfpflicht auch für Pflegende solle es nicht geben.
Im Moment sind besonders ältere Menschen gefährdet, sich durch Impfdurchbrüche zu infizieren. Der Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach erklärt das bei Illner so: Das Infektionsrisiko hänge von der Menge der Antikörper ab, die ein Mensch habe. Diese Zahl sinke bei älteren Menschen schneller. Außerdem seien bei ihnen die Infektionen gefährlicher, denn sie seien als Erste geimpft worden, was sich negativ auf Antikörper auswirken könne.
"Hier ist Gefahr im Verzug"
Manche Menschen brauchen eine dritte Auffrischungsimpfung, sagt auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen. "Wir sollten uns beeilen", findet er, "aber es ist nicht so, dass wir nur noch wenige Tage Zeit haben". Etwas genauer erklärt es Christine Falk, die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Im Moment seien die meisten Menschen mit Impfungen gut geschützt. 55 Millionen Menschen seien in Deutschland geimpft, aktuell habe es gerade mal 145.000 Impfdurchbrüche gegeben. Das sind knapp 0,25 Prozent der Geimpften.
Trotzdem warnt Kanzleramtsminister Helge Braun: "Dass die Booster-Impfungen jetzt so schleppend beginnen, ist ein riesengroßer Schaden." Immerhin rede man bereits seit September über deren Notwendigkeit. "Hier ist Gefahr im Verzug", so Braun.
Talkgäste gegen Impfpflicht
"Das Risiko für die Älteren kommt durch die hohe Zahl der Ungeimpften", ist sich Falk sicher. Das Robert-Koch-Institut habe schon im Juli mitgeteilt, ein Anstieg des Inzidenzwertes sei zu erwarten, wenn nicht mindestens 75 Prozent der Bevölkerung geimpft seien. In Deutschland liege die Impfquote derzeit bei etwa 70 Prozent. Dennoch spricht sie sich gegen eine allgemeine Impfpflicht aus. Sie sagt: "Mir wäre es lieber, wir würden begreifen, wie wichtig das eigene Handeln ist." Gesetzliche Regelungen dürfe es ihrer Ansicht nach nur im Notfall geben. Gassen spricht sich gegen eine Impfpflicht speziell bei Pflegenden aus. Die Gefahr sei, dass Pflegekräfte sich dann entschließen würden, lieber gar nicht zu arbeiten. Lauterbach ist der gleichen Ansicht und fordert ähnlich wie Jens Spahn, dass jeder Beschäftigte und jeder Besucher einer Pflegeeinrichtung sich testen lassen müsse, natürlich kostenlos.
Ein Gast spricht sich dann doch für eine Impfpflicht für Pflegende aus: der Landrat von Heinsberg, Stephan Pusch. Heinsberg war im vergangenen Jahr der erste Corona-Hotspot Deutschlands gewesen. "Da muss man als Politik auch mal mutig sein und das festlegen", sagt er. Immerhin hätten Pflegende täglich sehr engen Kontakt mit sehr vielen Patienten, begründet Pusch seine Forderung. Auf die Idee, die Gehälter von geimpften Altenpflegern für einen bestimmten Zeitraum zu erhöhen, kommt keiner der Gäste.
"Ärzte schaffen Booster-Impfung"
Nicht ganz einig sind sich die Gäste bei Illner darüber, wer die älteren Menschen impfen soll. Gassen möchte das den Ärzten überlassen: "Wir kriegen das hin", sagt er. Lauterbach spricht sich für eine begrenzte Öffnung von Impfzentren aus. Viel wichtiger ist laut des KV-Chefs allerdings, Ungeimpfte von der Notwendigkeit einer Impfung zu überzeugen. Er prophezeit: "Wenn sich Ungeimpfte auch weiterhin nicht impfen lassen, werden wir erleben, dass die sich bis zum Frühjahr alle infizieren." Das Risiko, dass eine Corona-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt, sei bei einem 45-jährigen Ungeimpften um das 25-fache höher als bei einem Geimpften, sagt Gassen.
Und Lauterbach fügt hinzu: "Wir sind in einer Notlage." Deswegen werde die Bundesregierung den Bundesländern gesetzlich alles zubilligen, was sie brauchten, wenn am 24. November die "epidemische nationaler Tragweite" ende. Falk bringt schließlich noch einen Punkt zur Sprache, der bei den aktuellen Diskussionen gerne übersehen wird. In Deutschland seien etwa 55 Millionen Menschen geimpft, sagt sie. "Denen möchte ich den Rücken stärken."
Quelle: ntv.de