Karten, Orte, strategische Ziele Wo die Brennpunkte im Ukraine-Krieg liegen
25.07.2023, 16:03 Uhr Artikel anhören
Feuer aus allen Rohren: Hier eine russische Panzerhaubitze vom Typ Msta-S.
(Foto: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry)
Die ukrainische Offensive läuft, doch nicht überall liegt die Initiative bei den Ukrainern. An mehreren Stellen der Front treiben russische Truppen eigene Angriffsoperationen voran. Wo wird gerade gekämpft? Ein Blick auf aktuelle Lagekarten zeigt die wichtigsten Brennpunkte.
Seit sieben Wochen rücken die ukrainischen Streitkräfte gegen die russischen Stellungen in der Ukraine vor: Die groß angekündigte Gegenoffensive zur Befreiung des Landes stößt an der Front im Süden auf hartnäckigen Widerstand. Die russische Invasionsarmee hat sich in gut ausgebauten Stellungen verschanzt, bleibt hinter weitläufigen Minenfeldern in Deckung und feuert aus allen Rohren auf ukrainische Angriffstrupps. Bisher finden die Gefechte größtenteils noch vor der vorderen Linie der russischen Sperranlagen statt.
An der Saporischschja-Front im Süden der Ukraine sind bisher drei größere ukrainische Stoßrichtungen erkennbar: Bei Kamjanske am Ostufer des entleerten Kachowka-Staubeckens zielt ein Vorstoß auf Melitopol und die Eingänge zur Krim. Hier sind die Ukrainer bisher jedoch nur wenige Kilometer bis zum Dorf Pyatychatky südöstlich von Kamjanske vorgedrungen. Gekämpft wird hier seit Wochen um einzelne Heckenstreifen und die russischen Feldbefestigungen am Ortsrand von Scherebjanky.
Eine zweite Stoßrichtung zeichnet sich etwa 30 Kilometer weiter östlich bei Orichiw ab. Zwischen der Kleinstadt Orichiw und dem Dorf Mala Tokmatschka verläuft die Front durch eine sanft gewellte Ackerlandschaft. Das Gebiet ist seit Wochen Schauplatz heftiger Artillerieduelle: Mit Drohnen und elektronischer Ortung versuchen beide Seiten, die Stellungen gegnerischer Geschütze aufzuklären und zu beschießen. Die Ukrainer sind hier seit Beginn der Offensive bereits tief ins russisch kontrollierte Vorfeld eingedrungen.
Zwölf Kilometer südlich von Orichiw befindet sich das Dorf Robotyne, das seit den ersten Gefechten der Offensive überregionalen Bekanntheitsgrad erlangt hat. In den Minensperren nördlich des Dorfes blieben Anfang Juni die ersten Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 aus deutscher Produktion in russischen Minensperren liegen. In unablässigen Angriffen wagen sich die ukrainischen Stoßtrupps dort im Feuer der russischen Artillerie von einem Feldrand zum nächsten vor.
Beide Schlachtfelder - Pyatychatky und Robotyne - befinden sich im sogenannten Zentralraum in der Region Saporischschja. Der von den Ukrainern erhoffte Durchbruch durch die russischen Linien blieb auch hier bislang aus. Die Russen halten die Ukrainer hier unter anderem auch mit Kampfhubschraubern, häufigen Gegenstößen sowie mit immer neuen Minensperren in Schach. Bei Robotyne sind die Ukrainer mittlerweile bis zum Ortsrand vorgedrungen, wie aktuelle Videoaufnahmen belegen.
Die militärische Zielsetzung der ukrainischen Offensive ist kein Geheimnis: Die Angriffe an der Front in der Region Saporischschja zielen allem Anschein nach darauf ab, den russisch besetzten Landkorridor zur Krim zu unterbrechen. Bis nach Tokmak, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt hinter den russischen Linien, sind es von Roboytne aus noch rund 25 Kilometer. Von dort bis zur Küste müsste der ukrainische Angriffskeil noch mindestens weitere 65 Kilometer überwinden. Bis zur Hafenstadt Berdjansk am Asowschen Meer sind es sogar noch gut 100 Kilometer.
Die dritte Stoßrichtung der laufenden ukrainische Offensive befindet sich im Osten der Region Saporischschja an der Grenze zur ukrainischen Verwaltungsregion Donezk. Der Vorstoß zielt in Richtung der russisch besetzten Hafenstadt Mariupol. Südlich der Kleinstadt Welyka Nowsilka haben die Ukrainer die russischen Linien auf breiter Front eingedrückt und binnen weniger Wochen ein halbes Dutzend Ortschaften wie Neskutschne, Blahodatne, Makariwka und Riwnopol befreit. Auch hier hat sich das Tempo der ukrainischen Fortschritte verlangsamt.
Gekämpft wird hier seit Tagen unter anderem um die Ortschaft Staromaiorske am Fluss Mokri Jaly sowie um die Siedlung Priyutne, die jeweils den vorderen Rand der russischen Hauptkampflinie markieren. Ziel der ukrainischen Operationen zwischen Huljapole und Wuhledar ist auch hier offenbar der Durchbruch durch die russischen Linien bis zur Küste. Bis Berdjansk oder gar Mariupol ist es jedoch noch ein weiter Weg: Rund 100 Kilometer hügeliges Terrain liegt zwischen Staromaiorske und dem Asowschen Meer.
Weitgehend unabhängig von den drei Angriffskeilen der ukrainischen Offensive im Süden gibt es bei Bachmut am Eingang zum Donbass im Osten der Ukraine ebenfalls intensive Gefechte. Im Norden und Süden der zerstörten Stadt setzen die Ukrainer die dort verbliebenen russischen Truppen seit Wochen unter Druck. Die Geländegewinne der ukrainischen Angriffe bringen die russischen Einheiten massiv in Bedrängnis.
In einer Art Zangenbewegung schieben sich ukrainische Einheiten Schritt für Schritt vor. Die russischen Positionen in und um Kurdjumiwka am Donbass-Kanal stehen unter ständigem Beschuss. Bei Klischtschijiwka kontrollieren die Ukrainer bereits wichtige Höhenzüge und stehen am Ortsrand. Auch die Vororte Jahidne und Berchiwka am nordwestlichen Ortsrand von Bachmut können die Russen nur noch unter großem Aufwand halten.
Ukrainische Quellen sprechen längst von einer zweiten Schlacht um Bachmut. Russische Wagner-Söldner hatten die Stadt erst im Frühjahr unter enormen Verlusten erobert. Bis zur Befreiung oder bis zur Einkesselung der weitgehend zerstörten Stadt ist es zwar noch ein weiter Weg. Doch das ukrainische Vorrücken bei Bachmut bringt die russischen Truppen dennoch in Zugzwang: Die Befreiung von Bachmut wäre für die russische Propaganda eine schmähliche Niederlage.
Für die Ukraine geht es beim Kampf um die Ruinenstadt Bachmut jedoch um mehr: Die russischen Militärs können die Vorstöße dort nicht ignorieren. Zugleich erfordert die Abwehr der ukrainischen Attacken dort große Mengen an Soldaten und Material. Die Ukrainer zwingen den Russen eine verlustreiche Abwehrschlacht in einem für die Besatzer ungünstigem Gelände auf. Die Versorgungsrouten über den Fluss Bachmutka stehen unter Beschuss. Der Kampf um Bachmut bindet in großem Umfang russische Kräfte, die andernorts fehlen.
Doch längst nicht überall befinden sich die russischen Truppen in der Defensive. Seit Mitte Juli mehren sich die Anzeichen für umfangreichere russische Angriffe an der Front im Osten der Ukraine. Bekannt und gut belegt sind dort zum Beispiel Vorstöße westlich und südwestlich von Kreminna.
Die Russen rennen dort seit Wochen gegen gut ausgebaute ukrainische Schützengräben im Serebrjanskyj-Wald bei Dibrowa an. In russischen Quellen ist in diesem Zusammenhang meist von Angriffen "Richtung Lyman" die Rede. Größere Bewegungen lassen sich hier allerdings kaum erkennen. Bisher kamen alle russischen Sturmangriffe noch vor Torske zum Erliegen.
In den Lageberichten des Generalstabs in Kiew ist zudem seit Wochen schon von unablässigen russischen Angriffen bei Awdiwjika und Marjinka die Rede. Die beiden Orte liegen im einstigen Speckgürtel der Donbass-Metropole Donezk nahe der alten Kontaktlinie zwischen der freien Ukraine und den russisch kontrollierten "Separatisten"-Gebieten.
Daneben gab es in den vergangenen Tagen auch russische Angriffe bei Krasnohoriwka 20 Kilometer westlich von Donezk: Im Netz tauchten binnen weniger Tage zahlreiche Videoaufnahmen auf, die die Vorstöße russischer Kampf- und Schützenpanzer über offenes Gelände sowohl aus Sicht der Angreifer als auch aus Sicht der Verteidiger zeigen. Die russischen Stoßtrupps konnten demnach nur wenige Hundert Meter übers bisherige Niemandsland vordringen. An einer verfallenen Schachtanlage stoppten ukrainische Artillerieschläge den Vorstoß.
Insgesamt jedoch zeigt sich beim Blick auf die Lage in der Ukraine ein durchmischtes Bild: Mehrere Wochen nach dem Beginn der ukrainischen Offensive hat sich die Lage im Süden aus russischer Sicht offenbar so weit stabilisiert, dass Reserven für weitere eigene Angriffsoperationen zur Verfügung stehen. Weitab von den ukrainischen Bemühungen im Süden kann die russische Armee im großen Stil Entlastungsangriffe ansetzen.
Daraus ergeben sich für die ukrainischen Pläne neue Risiken: An der Front zwischen Kreminna und Swatowe konnten russische Kräfte zuletzt eine Schwachstelle in den ukrainischen Linien ausnutzen. Fünfzehn Kilometer südwestlich von Swatowe scheint den Russen zwischen den Orten Kowaliwka und Karmasynіwka ein größerer Vorstoß über den Fluss Scherebez gelungen zu sein. Hier müssen nun die Ukrainer reagieren und Verstärkung heranholen. Das Ausmaß des Vorstoßes ist noch unklar, die Kämpfe in der Region halten weiter an.
Quelle: ntv.de