Politik

Drei Jahre nach dem Terror "Charlie Hebdo" droht der Ruin

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In Deutschland fand "Charlie Hebdo" nicht genügend Leser - und auch in Frankreich sinkt die Auflage.

(Foto: REUTERS)

Am 7. Januar 2015 stürmen zwei Islamisten die Redaktion der Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" - und ermorden zwölf Menschen. Bis heute leben die Zeichner und Journalisten in Angst, Morddrohungen sind ihr Alltag. Doch der Verlag hat ein noch größeres Problem.

Lachen im Hochsicherheitstrakt: So sehen die Zeichner und Journalisten der französischen Satirezeitung "Charlie Hebdo" ihre Arbeit. Zum dritten Jahrestag des Anschlags mit zwölf Toten schildern sie ihre schwierigen Arbeitsbedingungen in einer Gedenkausgabe, bei der dem Leser das Lachen im Halse stecken bleibt. Unter dem Titel "Immer noch Charlie" erinnert die Ausgabe an die Anschlagsopfer - auch wenn der "Geist von Charlie" längst nicht mehr alle Franzosen eint.

"Der 7. Januar 2015 hat uns in eine neue Welt katapultiert, die aus Polizisten und Waffen besteht, aus Durchgangsschleusen, gepanzerten Türen, aus Angst und Tod." So beschreibt es Fabrice Nicolino, der bei dem Anschlag schwer verletzt wurde. Zu den Überlebenden zählt auch Zeitungschef Laurent Sourisseau alias Riss, der während der Attacke der beiden Islamisten Chérif und Said Kouachi von einer Kugel getroffen wurde und sich tot stellte.

Sourisseau hat das bitterböse Titelbild der neuen Ausgabe gezeichnet: Ein Mitarbeiter der Zeitung öffnet das Guckloch einer Panzertür und sagt - frei übersetzt: "Eine Spende für den Islamischen Staat? Wir haben schon gezahlt." Dafür gibt es bei Facebook reichlich Lob: "Hervorragend, diese Selbstironie", schreibt ein Nutzer. Eine Frau bekennt: "Ich bin immer noch Charlie" - in Anspielung auf die Solidaritätskampagne nach dem Anschlag, die der Zeitung hohe Spenden und einen Rekordumsatz von mehr als 60 Millionen Euro brachte.

Ein Leben in einer Konservendose

Für ihren schonungslosen Humor bezahlen die Zeichner und Journalisten aber tatsächlich bis heute: Sie arbeiten an einem geheimen Ort in Paris, der besser gesichert ist als manch eine Bank: mit Panzertüren, Panikraum und privatem Sicherheitsdienst. Immer wieder gibt es Drohungen, vor allem im Internet - und das nicht nur nach Mohammed-Karikaturen. "Das nächste Mal schneiden wir euch die Kehle durch", heißt es zum Beispiel.

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Laurent Sourisseau appelliert an die französische Regierung, den Personenschutz für die Mitarbeiter zu zahlen.

(Foto: dpa)

"Wie viel kostet die Pressefreiheit?", fragt Riss in seinem Leitartikel und gibt die Antwort gleich selbst: Bis zu 1,5 Millionen Euro jährlich müsse "Charlie Hebdo" für den privaten Sicherheitsdienst aufbringen. Der französische Staat stellt nur Polizisten für einige wenige Mitarbeiter ab, die als besonders bedroht gelten. Nicolino gehört dazu. Er schreibt in seinem Artikel, dass er sich ohne Personenschutz nicht einmal mit Freunden in einer Bar treffen kann. "Die Spontaneität ist aus unserem Leben verschwunden", so Nicolino. "Es ist ein Leben wie in einer Konservendose."

Charlie steht vor unsicherer Zukunft

Und während der Schutz der Mitarbeiter zum finanziellen Kraftakt wird, sinken gleichzeitig die Erlöse. Zum Dezember stellte das Satireblatt seine deutsche Ausgabe ein, weil die Leser ausblieben. Aber auch die französische Zeitung findet seit dem Anschlag immer weniger Abnehmer, Zahlen veröffentlicht der Verlag nicht. "Bis wann kann 'Charlie Hebdo' diese finanzielle Last tragen?", fragt Riss in der Gedenkausgabe. "Niemand weiß es."

Während vor drei Jahren noch Millionen Franzosen aller Glaubensrichtungen unter dem Motto "Je suis Charlie" auf die Straße gingen, polarisiert die Zeitung heute wieder stärker. Die "nationale Einheit" sei durch die Serie von Anschlägen mit 241 Toten dahin, sagt der Politologe Thomas Guénolé. Als "Charlie Hebdo" vor Kurzem die Karikatur eines umstrittenen Islamwissenschaftlers veröffentlichte, warf der Chef der linken Internetzeitung Mediapart, Edwy Plenel, den Machern einen "Krieg gegen Muslime" vor.

Redaktion wirbt um Spendengelder

Am Gedenktag drei Jahre nach dem Anschlag ist die Solidarität der Franzosen nun wiedererwacht - doch für wie lange? Vor dem früheren Redaktionsgebäude der Satirezeitung im 11. Stadtbezirk und zwei weiteren Anschlagsorten legten Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo Blumengestecke nieder. Auf Wunsch der Hinterbliebenen fielen die Trauerzeremonien sehr nüchtern aus.

An Macron hat die Redaktion aber einen eindringlichen Appell gerichtet: Er soll den Schutz für alle Mitarbeiter auf Staatskosten gewährleisten. Zugleich ruft "Charlie Hebdo" seine Leser zu Spenden auf. Die Meinungsfreiheit sei dabei, ein "Luxusgut" zu werden, "das in Zukunft nur vermögende Medien werden genießen können", erklärte Sourisseau bei der Gedenkfeier. Im Blatt selbst heißt es. "Wir lachen noch. Aber wir brauchen Unterstützung."

Quelle: ntv.de, jug/AFP/dpa

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