Politik

Wege zum Corona-Prozess "China hat Epidemie-Regeln zugestimmt"

In Brasilien nehmen Demonstranten die US-Vorwürfe gerne auf: "China hat gelogen, Menschen sind gestorben", steht auf ihrem Banner.

In Brasilien nehmen Demonstranten die US-Vorwürfe gerne auf: "China hat gelogen, Menschen sind gestorben", steht auf ihrem Banner.

(Foto: REUTERS)

Der US-Bundesstaat Missouri hat vor einem amerikanischen Bundesgericht Klage gegen China eingereicht. Generalstaatsanwalt Eric Schmitt behauptet, China habe die Welt belogen und zu wenig zur Eindämmung des Virus unternommen. Anne Peters, Direktorin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, räumt dem Verfahren im Gespräch mit ntv.de aber nur geringe Chancen ein. Selbst, wenn sich die US-Regierung einschaltet, wäre fraglich, vor welchen Gericht es stattfinden soll. Sollte es allen Hindernissen zum Trotz dazu kommen, liefert das Umweltrecht einen Ausblick, welche Konsequenzen die Corona-Pandemie haben könnte.

ntv.de: Welche Erfolgsaussichten räumen Sie der Klage von Missouri ein?

Anne Peters: Solche Klagen werden normalerweise abgewiesen werden, weil staatliche Gerichte den völkerrechtlichen Grundsatz der Immunität beachten müssen. Die Staatenimmunität verbietet es US-amerikanischen Gerichten, über Chinas Verhalten inhaltlich zu urteilen. Der Grundsatz schützt die internationalen Beziehungen und den unabhängigen gleichgeordneten Status, aber auch die Zusammenarbeit der Staaten untereinander. Die Klage kann deshalb höchstens als Symbol verstanden werden oder als Aufforderung an die US-Regierung, diplomatisch gegen China vorzugehen.

Anne Peters hat in Würzburg, Lausanne, Freiburg und Harvard studiert.

Anne Peters hat in Würzburg, Lausanne, Freiburg und Harvard studiert.

Die US-Regierung müsste China vor einer internationalen Instanz wie dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen?

Das wäre der normale Weg - auf dem internationalen Parkett agiert primär der Staat. Das Problem ist allerdings, dass internationale Gerichtsinstanzen nicht automatisch zuständig sind. Das ist der große Unterschied zwischen der völkerrechtlichen Ebene und den Abläufen, die wir im Staat gewohnt sind. Es gibt keine obligatorische Gerichtsbarkeit. Ein Staat kann vor einem internationalen Gericht nur dann verklagt werden, wenn er zugestimmt, sich also der Gerichtsbarkeit unterworfen hat. Die Staaten könnten sich aber auch auf ein Schiedsgericht einigen.

Einem Schiedsverfahren müsste China aber vorab zustimmen, richtig?

Genau. Beispielsweise hatte der internationale Schiedshof in Den Haag 2016 über Chinas Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer entschieden und diese abgelehnt. Peking hat die Zuständigkeit dieses Schiedsgerichts für gewisse Rechtsfragen aber nie anerkannt. Deswegen hat China diesen Schiedsspruch auch nicht akzeptiert.

Gab es schon mal einen Fall, der mit dem Coronavirus vergleichbar wäre?

Der Fall, auf den sich Missouri beruft, ist ein Schiedsverfahren, das im Jahr 1941 endete. Damals haben Schwefeldioxid-Abgase einer Zink- und Bleischmelze in Kanada schwere Schäden auf den Feldern amerikanischer Bauern verursacht. Ein Schiedsgericht sprach den Bauern 75.000 Dollar zu. Viel wichtiger als die Höhe der Entschädigung war aber die rechtliche Feststellung, die das Schiedsgericht getroffen hat. Seitdem gilt als Grundsatz, dass ein Staat darauf achten muss, dass von seinem Staatsgebiet keine Auswirkungen ausgehen, die nachweislich schwere Schäden für das Gebiet oder die Einwohner anderer Staaten verursachen. Das ist einer der wichtigsten Grundsätze des internationalen Umweltrechts. Diesen könnte man sehr gut auch auf Gesundheitsrisiken und Gesundheitsschäden übertragen.


Können Sie sich im Fall des Coronavirus vorstellen, dass China gegen diesen Grundsatz verstoßen hat?

Was tatsächlich passiert ist, muss erst einmal ermittelt werden. Staaten, die Mitglied der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind, sind im Falle einer Situation, die internationale Auswirkungen haben könnte, verpflichtet, die WHO zu informieren. Das hat China auch getan, es wird aber bezweifelt, ob das rechtzeitig war. Um das aufzuklären, müsste ein neutrales Team gebildet werden, das unter internationaler Aufsicht steht.

Wie konkret sieht diese Informationspflicht aus?

Diese Pflicht ergibt sich aus den Gesundheitsregularien von 2005. Damals hat sich die WHO nach dem Sars-Ausbruch in China 2002 neue Epidemie-Regeln gegeben. Denen haben alle Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation zugestimmt, auch China. Diese Regeln sind verbindliches Recht und enthalten vor allem Pflichten zur Information und Transparenz und zum Aufbau von Vorsorge- und Vorbeugungskapazitäten.

Die WHO hat jüngst eine erste Untersuchung des Coronavirus-Ausbruchs beschlossen. Angenommen, es stellt sich heraus, dass China gegen diese Informationspflicht verstoßen hat und angenommen, es kommt zu einem Schiedsverfahren. Mit welchem Urteil wäre zu rechnen?

Wieder was gelernt

Das Interview mit Anne Peters ist für unseren "Wieder was gelernt"-Podcast entstanden und gibt es auch zum Anhören. Die Ausgabe Schuldet China der Welt Schadenersatz?" finden Sie in der ntv-App, bei Audio NowApple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden. Kopieren Sie die Feed-URL und fügen Sie "Wieder was gelernt" zu Ihren Podcast-Abos hinzu.

Entschädigungen und Schadenersatz sind bei internationalen Gerichtsverfahren oder Schiedsverfahren eher selten. Oft wird nur festgestellt, ob ein Staat sich völkerrechtswidrig verhalten hat. In solch einer Feststellung liegt aber ein Gewinn an Rechtssicherheit. Sie kann auch unangenehme Folgen für den verurteilten Staat haben, insbesondere einen Reputationsschaden. Deswegen versuchen Staaten auch, solche Feststellungen zu vermeiden. Mit der Feststellung könnte schließlich eine gewisse Genugtuung geschaffen werden. Zusätzlich kann ein Gericht anordnen, dass ein Staat Maßnahmen treffen muss, damit sich dieser Vorfall nicht wiederholt.

Könnte solch auch Schiedsspruch auch Grundlage für zukünftige Verfahren sein?

Ja, die Rechtsprechung kann als Präzedenzfall in anderen Fällen herangezogen werden. Streng genommen gilt ein Schiedsspruch aber nur für die Parteien, zwischen denen der Streit stattfand.

Was würden Sie sich von einem solchen Verfahren erhoffen?

Ich glaube, es könnte zu mehr Transparenz führen. Auch in diesem Fall gibt es eine Parallele zum Umweltrecht: Die allgemeine Intransparenz von Staaten und Regierungen ist als erstes im Bereich von Umweltschäden geknackt worden. Auch in Europa waren die Staaten, insbesondere die Verwaltungen, eher undurchsichtig gegenüber ihren Bürgern. Aber wenn es um Schäden geht, welche die Menschen am eigenen Leib spüren, hat sich die Forderung durchgesetzt, dass der Staat Informationen freigeben muss. Das könnte bei weltweiten Krankheiten auch passieren.

Mit Anne Peters sprach Christian Herrmann

Quelle: ntv.de

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