
Fraktionschef Alexander Gauland war Erstunterzeichner der "Erfurter Resolution". Damit zählt auch er künftig zur Gruppe der "Verdachtsfälle".
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Die Einstufung der AfD als Prüffall durch den Verfassungsschutz ändert nichts, versucht die Partei zu kommunizieren. Dabei dürfte die Entscheidung des Inlandsgeheimdienstes erhebliche Auswirkungen haben.
Mit zerknirschten Mienen treten die AfD-Fraktionschefs Alexander Gauland und Alice Weidel im Bundestag vor die Kameras. Ein paar Hundert Meter weiter hatte soeben Verfassungschutzchef Thomas Haldenwang in einer Pressekonferenz erklärt, dass die AfD als Partei künftig ein Prüffall für den Geheimdienst sein werde - die Jugendorganisation JA sowie den ultrarechten Parteiflügel "Der Flügel" werden gar als "Verdachtsfälle" weiter in den Fokus des Verfassungsschutzes rücken. "Ein gewisses gesellschaftliches Klima, politischer Druck" hätten diese Entscheidung erzeugt, sagt Gauland.
Weidel erklärt, mit Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen "wäre diese Entscheidung überhaupt nicht möglich gewesen. Deswegen musste er gehen, deswegen wurden Hetzjagden konstruiert". Dabei hatte Maaßen die Überprüfung doch eingeleitet. Dann soll alles gar nicht so schlimm sein und sie relativiert, ein "Prüffall" bedeute ja "eigentlich gar nichts". Der Verfassungsschutz habe mit seiner Entscheidung eingestanden, nichts in der Hand zu haben. Juristisch dagegen vorgehen will die AfD dennoch. Was denn nun?
Fest steht: Weidels Behauptung, der Verfassungsschutz habe entschieden, nicht zu entscheiden, ist nicht richtig. Viele ihrer Parteikollegen übernehmen das Narrativ, alles bleibe beim Alten. Dabei hatte Haldenwang erklärt, seiner Behörde lägen "tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD vor". Zudem wurde mit dem "Flügel" ein erheblicher Teil der Partei zum Verdachtsfall erhoben. In ihm sieht Haldenwang "sich stark verdichtende Anhaltspunkte für eine extremistische Organisation". Andersdenkende und Muslime würden ausgegrenzt, der Nationalsozialismus "immer wieder verharmlost". Im Falle eines Scheiterns der AfD würde außerdem "revolutionäre Mittel" angedeutet. "'Flügel'-Vertreter wenden sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn diese zu einer Regierungsübernahme durch die AfD führen", heißt es in der offiziellen Begründung der Behörde.
"Drastische Missachtung rechtsstaatlicher Grundprinzipien"
Die Folge dieser Entscheidung ist, dass der Verfassungsschutz die JA und den "Flügel" künftig beobachtet. Personenbezogene Daten können dabei gespeichert und ausgewertet werden, auch nachrichtendienstliche Methoden könnten zum Einsatz kommen, V-Männer allerdings nicht. Zum "Flügel" zählt der Verfassungsschutz all jene AfD-Politiker, die die Erfurter Resolution von 2015 unterzeichnet haben - darunter sind viele Bundestagsabgeordnete und der Fraktionschef Alexander Gauland selbst. Nach einer Einschätzung von AfD-Chef Jörg Meuthen steht der "Flügel" für rund 20 Prozent der Partei.
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Haldenwang betonte jedoch, dass es für die Beobachtung von Bundestagsabgeordneten besondere Regeln gebe. Sie genössen besonderen Schutz und es sei nicht ohne Weiteres möglich, Akten über sie anzulegen. "Die Rechtsprechung besagt, dass die Beobachtung von Parlamentariern nicht ausgeschlossen ist." Aber die parlamentarische Arbeit müsse davon ausgenommen bleiben. Kurzum: Was ein AfD-Abgeordneter im Bundestag sagt, darf nicht in die Bewertung einfließen. Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken oder Reden auf Parteitagen aber sehr wohl.
Auch die "Junge Alternative", die Jugendorganisation der AfD, steht ab nun offiziell im Verdacht, verfassungsfeindlich zu sein. Die Begründung klingt drastischer. Die JA vertrete "viele die Menschenwürde missachtende Positionen". Sie richte sich "gegen das Demokratieprinzip", ihr politisches Konzept stehe "im Gegensatz zum Rechtsstaatsprinzip", so Haldenwang. In der offiziellen Begründung heißt es: "In der Gesamtschau stellen sich diese als absolute Verächtlichmachung des Parlamentarismus dar, ohne dass von Seiten der JA eine (…) entsprechende Alternative benannt wird." Die JA-Programmatik zeichne sich "durch die drastische Missachtung rechtsstaatlicher Grundprinzipien, insbesondere des Gewaltmonopols des Staates" aus.
"Gewisser Schaden beim bürgerlichen Klientel"
Auch wenn Gauland und Weidel sich Mühe gaben, einigermaßen schockiert zu wirken, hieß es am Nachmittag aus Kreisen der Fraktion, das Ergebnis sei "keine große Überraschung". Die Auffassung, der Verfassungsschutz sei ein politisches Instrument, um die AfD mundtot zu machen, ist unter den Abgeordneten offenbar mehrheitsfähig und dürfte von nun an nach außen kommuniziert werden. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hatte kürzlich noch davor gewarnt, dass "jede Aufforderung, die AfD zu beobachten", die "Opferrolle" der AfD verstärken würde. Genau das dürfte jetzt passieren. Fraglich ist, ob das verstärkte Engagement des Verfassungsschutzes der AfD tatsächlich nutzt oder ihr schadet.
"Beim bürgerlichen Klientel dürfte ein gewisser Schaden entstehen", heißt es aus Fraktionskreisen. Beamte etwa, die die Partei wählen, würden sich angesichts der neuen Situation sicherlich die Frage stellen, ob sie das auch weiterhin tun können. Auf der anderen Seite rechne die Partei bei den kommenden Wahlen mit einer Mobilisierung des Protestwähler-Potenzials. "Bei Landtagswahlen im Westen wären die Konsequenzen sicherlich deutlich spürbarer." Ob eine verstärkte Beobachtung der Akteure im völkisch-nationalistischen Lager möglicherweise gar positive Auswirkungen für die AfD haben könnten, darüber hüllt man sich bei der Partei in Schweigen.
Mehrfach betonte Haldenwang, die AfD befinde sich an einem "Scheideweg". Die Versuche der Partei in der jüngeren Vergangenheit, sich von verfassungsfeindlichen Kräften zu trennen, seien nicht unbemerkt geblieben. "Auf der Positivseite sind das Aspekte, die wir berücksichtigen." Schlage die Partei einen Weg ein, sich von "besonders extremen Kräften zu distanzieren, dann wird das sicherlich sehr positiv aufgenommen", sagt er. Haldenwang übernahm im November Maaßens Posten. Der hatte unter anderem damit von sich reden gemacht, dass er die Ex-AfD-Chefin Frauke Petry beraten haben soll, wie eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz vermieden werden könnte. Wie oft eine ganze Partei vom Verfassungsschutz überprüft worden sei, wurde er in der Pressekonferenz gefragt. Seine Antwort: "Das hatten wir zuletzt bei der NPD."
Haldenwang setzt jedoch auch noch einen anderen Fokus. "Eines ist mir wichtig", sagt er: "Das vorgelegte Ergebnis heißt nicht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht auch Aktionen gegen die AfD untersucht." Die Partei sei zum "politischen Gegner der ersten Klasse" für linksextremistische Organisationen geworden, die Zahl der Übergriffe und Angriffe auf Einrichtungen und Persönlichkeiten der AfD nehme zu. "Lassen Sie mich Artikel 1 des Grundgesetzes zitieren", führt Haldenwang schließlich aus. "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Dieser Pflicht bin ich heute nachgekommen."
Quelle: ntv.de