Politik

Streit um deutsche Hilfspakete Der "Doppelwumms" birgt auch Gutes für Italien

Mitglieder der Gewerkschaft USB verbrennen in der Nähe des Wirtschaftsministeriums in Rom Rechnungen, um gegen die Inflation zu protestieren.

Mitglieder der Gewerkschaft USB verbrennen in der Nähe des Wirtschaftsministeriums in Rom Rechnungen, um gegen die Inflation zu protestieren.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Im Rest Europas gibt es eine gewisse Aufregung über die deutschen Hilfspakete gegen die Energiekrise. Aus italienischer Sicht haben die deutschen Alleingänge aber auch ihr Gutes. Gefährlich ist eher die Ansicht der Parteien, die das Land in Kürze regieren werden.

Deutschlands 200 Milliarden Euro schwerer "Doppelwumms" ist in Italien nicht gut aufgenommen worden. Sogar der sonst in seinen Stellungnahmen ausgewogene Premierminister Mario Draghi zeigte sich irritiert und mahnte: "Angesichts der Herausforderung, vor denen wir [Europäer] gemeinsam stehen, ist es falsch, aufgrund unserer unterschiedlichen Haushaltsspielräume getrennte Wege zu gehen." Die EU müsse genauso wie bei der Unterstützung der Ukraine geschlossen, entschlossen und solidarisch agieren.

Tatsächlich scheint das Vorgehen der Bundesregierung nicht zur Absage an einen deutschen "Sonderweg" zu passen, den Bundeskanzler Olaf Scholz bei jeder Gelegenheit wiederholt. Draghi etwa fordert seit Monaten einen europäischen Preisdeckel für Gas. Ende September schrieben 15 Staaten, darunter auch Frankreich, einen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in dem sie für eine solche Preisdeckelung plädierten. Doch beim informellen Treffen der EU Staats- und Regierungschef in Prag schienen die Aussichten, den "Price Cap" durchzusetzen, endgültig vom Tisch zu sein.

Wenn Deutschland seine Interessen verteidigt, kann Italien das auch…

Aber zurück zum Doppelwumms. Irritierte Reaktionen gab es in Italien in allen Parteien. Natürlich auch in denen des Rechts-Mitte-Bündnisses, das in Kürze die neue Regierung bilden wird und Deutschland nie besonders gewogen war. In den deutschen Entlastungspaketen sehen sie aber auch eine Chance, diese zu ihren Gunsten zu nutzen.

So lautete die Stellungnahme von Giorgia Meloni, wahrscheinliche nächste Regierungschefin und Vorsitzende der Rechtspartei Fratelli d’Italia: "Als wir darauf hinwiesen, dass jeder Staat zuerst seine Interessen verteidigt und wir deshalb in Zukunft in der EU vor allem Italiens Interessen verteidigen werden, wurden wir kritisiert." Deutschland habe aber einen handfesten Beweis geliefert, dass diese Einstellung sehr wohl berechtigt sei. Auch der nationalpopulistische Lega-Chef Matteo Salvini sieht sich in seiner Forderung bestätigt: "Wenn Deutschland 200 Milliarden Euro auf den Tisch legt, muss auch Italien neue Schulden aufnehmen." Eine Forderung, die von Meloni (noch) nicht geteilt wird, denn das würde die Spekulationen auf dem Gasmarkt noch mehr antreiben, meint sie. Fazit: Deutschland sorgt auch im italienischen Rechtsbündnis für Zoff.

Auch viele Politologen zeigten sich entrüstet. Mario Giro bezeichnet in der linksliberalen Tageszeitung "Domani" Deutschland als egozentrisch: "Merkel hätte das nie gemacht. Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine Entscheidung getroffen, die Europa töten könnte, wenn man nicht sofort Gegenmaßnahmen ergreift." Die von Scholz am 29. August an der Prager Karls-Universität vielgepriesene europäische Solidarität hört sich mittlerweile wie ein abgenutztes Lippenbekenntnis an.

Im Verhältnis zum BIP hilft Italien stärker

Anders als Politiker und Kolumnisten empfinden viele Wirtschaftsexperten die Kritik an Deutschland, zum Teil zumindest, als unberechtigt. Immerhin hängt Italiens Wirtschaft, in erster Linie die norditalienische, maßgeblich von der deutschen ab: Wenn die deutsche Wirtschaft kollabiert, dann kollabiert auch die italienische. "Freilich, die Kommunikation hätte besser sein können", sagt Veronica De Romanis ntv.de. Die Kritik finde sie aber unberechtigt. De Romanis ist Wirtschaftsexpertin und Autorin - unter anderem hat sie eine Merkel-Biographie geschrieben. "Haben nicht alle Staaten so gehandelt? Natürlich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten."

De Romanis weist auf Daten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel hin. Denen zufolge hat Italien bis Ende September an die 60 Milliarden Euro Hilfsgelder, was 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht, zur Abfederung der Energiepreise beigesteuert. Deutschland im selben Zeitraum 100,2 Milliarden Euro, was 2,8 Prozent des deutschen BIP sind. "Hätte Italien einen größeren Spielraum, würden die Entlastungspakete auch bei uns höher ausfallen", sagt sie.

Deutschland mache nichts anderes als das, was Brüssel erwartet: Hier und jetzt die Wirtschaft zu stützen. Natürlich dürfe es bei diesen kurzfristigen Maßnahmen nicht bleiben. Mittel- und langfristig müssen gemeinsame Lösungen gefunden werden. Es ist die Rede von einem Instrument, das dem EU-Hilfsfonds SURE ähnelt. Mit SURE wurden während der Pandemie Arbeitsplätze und Erwerbstätige geschützt. Jetzt bräuchte es so einen Topf, aus dem die bilanzschwächeren Staaten schnell und zu bezahlbaren Zinsen schöpfen können, um Wirtschaft und Familien zu unterstützen.

"Für Italien ist das eine gute Nachricht"

Auch Davide Tabarelli, Vorsitzender des italienischen Forschungsinstituts Nomisma Energia und einer der führenden Experten in diesem Bereich, findet die Kritik an Deutschland übertrieben. "Der Krieg sorgt natürlich für große politische Unordnung in Europa", sagt er ntv.de. "Der Ernst der Lage rechtfertigt aber Deutschlands Entschluss." Außerdem müsse man abwarten, wie die 200 Milliarden Euro eingesetzt werden. Bei allem, zum Teil auch berechtigten Unmut, solle man nicht die Kehrseite dieser Entscheidung übersehen, fügt Tabarelli hinzu: "Anders als in der Finanz- und Wirtschaftskrise lässt Deutschland Neuverschuldung zu. Und das ist für Italien eine gute Nachricht."

Zur politischen Unordnung, die der Krieg in der Ukraine verursacht hat, kommt eine chaotische, für die Bürger oft widersprüchliche und gegenüber anderen Ländern Unmut anstachelnde Kommunikation. So versuchte der amtierende Minister für die Energiewende, Roberto Cingolani, die Italiener zu beruhigen, indem er darauf hinwies, dass die Gasspeicher hierzulande schon zu 90 Prozent aufgefüllt sind. Und fügte gleich danach hinzu, dass Deutschland mit seinem200 Milliarden Euro die Spekulation fördere, es könnte im Winter zu einer Gasknappheit kommen. "Es stimmt, die Speicher sind zu 90 Prozent gefüllt", sagt Tabarelli dazu. "Nehmen wir Italien. An manchen Wintertagen verbrauchen wir 400 Millionen Kubikmeter am Tag. Normalerweise kommen davon 200 Millionen aus den Reserven und 200 Millionen aus Importen. Wovon 100 aus Russland kommen. Die wird es aber diesen Winter nicht geben. Und danach richtet sich der Gaspreis."

Für Tabarelli muss jedes Land aus den bei sich zu Hause verfügbaren Ressourcen, etwa Gas, Kohle und Kernkraftwerke, soviel wie möglich schöpfen. Das heiße nicht, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu stoppen. Diese könnten aber im Moment die Lücken nicht füllen. Die EU müsse wiederum geschlossen den Verkäufern signalisiert, auch bereit zu sein, den Konsum zu rationalisieren, sollten die Preise weiter steigen. "Und in diesem Sinne ist das deutsche Entlastungspaket in der Tat nicht hilfreich." Denn wenn der Staat einen Teil der Energiekosten übernimmt, ist der Verbraucher nicht wirklich angeregt, mehr auf seinen Energiekonsum zu achten. Das allerdings würde auch für einen europäischen Gaspreisdeckel gelten.

Quelle: ntv.de

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