Politik

Tories bekommen ihren Brexiteer Der Spalter Johnson will versöhnen

JohnsonRede.jpg

Mit großer Mehrheit wählen die Tories Boris Johnson zum neuen Parteichef. Ausgerechnet der Mann, der die Spaltung seiner Partei und des Landes vorangetrieben hat, will nun plötzlich für einen anderen Kurs stehen: den der Versöhnung.

Kurz bevor der neue Tory-Chef benannt wird, spuckt Charles Walkers den versammelten Parteimitgliedern noch einmal in die Suppe. Er habe eine Bitte, sagt er: "Können wir zum nächsten Premierminister freundlicher sein als zur derzeitigen?" Und als habe es die Intrigen und Ränkespiele der vergangenen Jahre nicht gegeben, schlägt ihm ein freundlicher Applaus von den notorisch zerstrittenen Mitgliedern der Partei entgegen. Kurz darauf wird das Ergebnis der Urwahl unter den 160.000 Tory-Mitgliedern verlesen: Der ehemalige Außenminister und einstige Londoner Bürgermeister Boris Johnson wird ihr neuer Parteichef und ab Mittwoch Premierminister. Die glücklose Ära von Theresa May, die am Brexit gescheitert ist, gehört der Vergangenheit an.

Doch wird Johnson mehr Erfolg vergönnt sein? Als er für die kurze Dankesrede auf die Bühne stürmt, versprüht er auf die gewohnte Johnson-Art Optimismus. Er dankt seinem Mitbewerber, Außenminister Jeremy Hunt, lobt ihn als großartigen Wahlkämpfer. Und greift wieder tief auf die Historie zurück, so wie diese ihm gerade passt: Die 200-jährige Geschichte der Tories habe bewiesen, dass die Konservativen stets die "besten Einsichten in die menschliche Natur" gehabt hätten. Es sei eine Partei, die am besten verstanden habe, wie es sich "in Harmonie zusammenarbeiten lasse".

Damit kann Johnson allerdings nicht die vergangenen Monate gemeint haben. Zerrissen zwischen EU-Befürwortern und Hardcore-Brexiteers lieferte die Partei ein desaströses Bild und bekämpfte sich bis aufs Blut. Ihrer eigenen Premierministerin versagten die Unterhaus-Abgeordneten beim Brexit-Deal dreimal die Gefolgschaft und stützten sie lediglich, als die Labour-Abgeordneten sie stürzen wollten. Vereint waren sie nur, wenn sie etwas bekämpften, auf ein gemeinsames positives Ziel konnten sie sich nicht einigen. Und einer, der ganz vorne dabei war, wenn es darum ging, die Regierung mit beißender Kritik zu überschütten, war Boris Johnson.

"Entscheidender Moment in der Geschichte"

Nun allerdings bemüht er sich, schon ganz staatsmännisch und mit halbwegs geglätteter Frisur, um eine neue Rolle: die des großen Versöhners in geschichtsträchtiger Zeit. So spricht er vom "entscheidenden Moment in der Geschichte", in dem das Land hin- und hergerissen sei zwischen dem "tiefen Wunsch" für Freundschaft mit Europa und dem Bedürfnis, das Land demokratisch selbst zu regieren. Manche sagten, das sei unvereinbar, so Johnson weiter, wobei er sich kurz am Kopf kratzt.

Die "Times" schreibe gar von "beängstigenden Umständen", sagt Johnson, um sogleich seiner Partei Mut zuzusprechen. "Ich weiß, wir können das hinkriegen", ruft er in die Menge. "Wir wissen, wir werden es schaffen." Und dann kommt er zu seiner eigentlichen Aussage, als er über seine künftigen Aufgaben spricht: "Den Brexit liefern, das Land vereinen und Jeremy Corbyn schlagen."

Dabei ist der Labour-Chef Corbyn derzeit gar nicht die größte Herausforderung der Tories. Dessen Partei ist laut einer YouGov-Umfrage inzwischen auf 18 Prozent abgerutscht und liegt damit auf Platz vier. Ein deutlich größeres Problem für die Konservativen ist vielmehr die neu gegründete Brexit-Partei von Nigel Farage, die bei der Europawahl aus dem Stand stärkste Kraft wurde. Ihr Aufstieg hat zuletzt auch die Tories immer weiter unter Druck gesetzt, den Brexit zu liefern - und damit Johnson, dem Gesicht der Brexit-Kampagne von 2016, zum jüngsten Erfolg verholfen. Wenn einer Nigel Farage in die Schranken weisen könne, so der Glaube vieler Tory-Anhänger, dann Johnson.

Dass er zugleich aber viele gemäßigtere Tories in die Arme der Liberaldemokraten treibt, ist die andere Seite der Medaille, wovor auch Justizminister David Gauke gerade erst warnte. Schon am Wochenende spekulierte die "Times", dass mehrere Tory-Unterhausabgeordnete zu den Liberaldemokraten überlaufen und damit die hauchdünne Regierungsmehrheit von drei Stimmen gefährden würden. Auch etliche Minister kündigten an, bei einem Premierminister Johnson zurückzutreten. Selbst ein Misstrauensvotum wollte der bisherige Finanzminister Philip Hammond in der vergangenen Woche nicht ausschließen - zu riskant erscheint ihm Johnsons Brexit-Kurs.

"Richtige Energie" für Brexit-Deal nötig

Dabei ist genau dieser Kurs der Grund dafür, dass die überwiegend EU-kritische Tory-Basis Johnson mit großer Mehrheit zum neuen Chef gewählt hat. Seit Langem schon präsentiert dieser sich als Ultra-Brexiteer, der unter allen Umständen das Land ausgerechnet an Halloween aus der EU führen wird. Man müsse nur richtig mit der EU verhandeln, so seine Botschaft, mit der "richtigen Energie und dem richtigen Einsatz", um einen für Großbritannien vorteilhaften Brexit-Deal durchzubekommen, versprach der ehemalige Außenminister immer wieder.

Wie dies allerdings im Detail aussehen soll, wie Johnson das bisher ungelöste Problem an der irischen Grenze lösen will, konnte er weder in der Vergangenheit noch an diesem Dienstag bei seinem Auftritt vor den Tories erklären. Die EU selbst hat bislang wenig Begeisterung dafür gezeigt, den mit May ausgehandelten Brexit-Deal noch einmal aufzuschnüren. Was Johnson nicht anficht: Auch ein No Deal, vor dem die Wirtschaft eindringlich warnt, ist für ihn kein Schreckgespenst. "Komme, was wolle", am 31. Oktober sei Schluss mit der EU-Mitgliedschaft. Und vor einem harten Brexit müsse man sich nicht fürchten, so Johnsons Botschaft.

An diesem Dienstag klingt er ähnlich und zeigt sich wieder mal als Meister des großen Bildes, der sich nicht mit Details abplagt. Er verspricht mehr Polizei, mehr Breitbandausbau, bessere Erziehung und mehr zu "energetisieren". Sein größtes Versprechen macht er ganz am Ende seiner Rede: "Wir werden dieses erstaunliche Land zusammenführen." Für einen Mann, der mit populistischen Sprüchen bisher vor allem als Spalter aufgefallen war, dürfte dies eine gigantische Aufgabe sein.

Mehr zu der Wahl von Johnson können Sie auch hier im Ticker nachlesen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen