Politik

Palmer tritt gegen Grüne an Der Trotz-Bürgermeister triumphiert - oder tritt ab

Palmer tritt gegen die Grünen an, will aber weiter grüne Politik machen.

Palmer tritt gegen die Grünen an, will aber weiter grüne Politik machen.

(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)

Am Sonntag könnte eine der spannendsten politischen Karrieren ein abruptes Ende nehmen. Der von seiner Partei geschasste Grünen-Politiker Boris Palmer will nach 16 Jahren als Tübinger Oberbürgermeister eine weitere Amtsperiode erringen oder sich ganz zurückziehen.

Boris Palmer ist auf den ersten Blick noch immer ein Vorzeige-Grüner. Immer mit dem Rad unterwegs, immer noch bewegt vom Klimawandel und tief drinnen im Thema Erneuerbare Energien. Gewissermaßen ist er auch immer noch ein Pionier der Partei. Denn der Triumphzug der Grünen im einst tiefschwarzen Baden-Württemberg begann ja nicht mit Winfried Kretschmanns Einzug ins Amt des Ministerpräsidenten oder den sieben Jahren, in denen ab 2013 Stuttgarts Bürgermeister Fritz Kuhn hieß, und auch nicht mit dem Direktmandat für den heutigen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Der Durchbruch gelang, als der damals 34-jährige Boris Palmer im Jahr 2006 mit 50,4 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister der altehrwürdigen Universitätsstadt Tübingen gewählt wurde, wo man noch heute junge Männer in den merkwürdigen Kostümen konservativer Studentenverbindungen archaisch anmutende Rituale feiern sehen kann.

Palmer war es damals, der den Beweis antrat, dass Grüne die bürgerliche Mitte erreichen und mit solider Politik bei der Stange halten können. Acht Jahre später wurde Palmer mit mehr als 64 Prozent im Amt bestätigt. Da war er schon längst ein Medienstar - einer, den Redaktionen wegen seiner knackig-provokanten Aussagen gerne für Interviews und Talkshows anfragten. Eloquent, eigensinnig und auch gierig nach öffentlicher Aufmerksamkeit war Palmer ein dankbarer Gesprächspartner. In seiner Partei aber galt er schnell als unkontrollierbarer Quertreiber. Loose Cannon nennt man solche Politiker im englischsprachigen Raum, die mal tickende Zeitbomben, mal unberechenbar, aber in jedem Fall für die eigenen Reihen gefährlich sind.

Bekannt, provokant

Am kommenden Sonntag will Palmer das Votum für acht weitere Jahre im Tübinger Rathaus erringen. Diesmal hat er allerdings die Grünen gegen sich. Die schicken Ulrike Baumgärtner ins Rennen, während Palmers Mitgliedschaft noch bis Ende 2023 ruht. Palmer hatte im vergangenen Frühjahr einen entsprechenden Schlichtungsvorschlag angenommen, als ihm wegen diverser umstrittener Äußerungen der Parteiausschluss drohte. Palmer dagegen tritt mit der Unterstützung der "Wahlinitiative für Boris Palmer" an. Der Wahlkampfapparat einer großen Partei steht ihm damit nicht zur Verfügung. Aber in wohl nur wenigen größeren Städten kennen derart viele Menschen den Namen ihres Oberbürgermeisters. Wer ihn nicht durch die Stadt radeln sieht, trifft ihn regelmäßig im Fernsehen an, nicht zuletzt bei "Lanz". Gemessen an seiner Bekanntheit ist Palmer der größte unter den vielen kleinen und größeren Kommunalpolitikern.

Das Fass zum Überlaufen gebracht hatte Palmer, als er im Frühjahr 2021 im Zusammenhang mit dem deutschen Fußballnationalspieler, dessen Vater aus Nigeria kommt, auf Facebook das N-Wort benutzte. Auch wenn Palmer sich in seiner Ironie missverstanden fühlte, kann er nach diversen Entgleisungen - gerade in dem sozialen Netzwerk Facebook - über die öffentliche Empörung nicht überrascht gewesen sein. Schon vorher hatte Palmer mit Ressentiments gespielt, etwa als er in Bezug auf ein Kampagnenbild der Deutschen Bahn fragte: "Welche Gesellschaft soll das abbilden?" Auf dem Foto waren Bahnreisende unterschiedlicher Hautfarbe zu sehen.

Echte Erfolge

Dass Palmer fremdenfeindlich ist, würden ihm vermutlich nicht einmal die eigenen Kritiker unterstellen. Sehr wohl aber, dass er den eigenen Alltagsrassismus nicht reflektiert und gerne mit Ressentiments provoziert. Ähnlich war es auch in der Corona-Krise, als Palmer mal fragte, ob hier nicht Menschen gerettet würden, "die in einem halben Jahr sowieso tot sind", und das von ihm gemanagte Tübingen mit besonders lebensnahen und effizienten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hervorstach. Auch seine Politik ist in vielerlei Hinsicht grün geblieben: Tübingen ist beim Ausbau der Erneuerbaren weit vorangekommen. So lautet nun Palmers Wahlversprechen, bis zum Ende seiner dann dritten Amtszeit im Jahr 2030 Tübingen klimaneutral zu gestalten.

Untypisch ist da eher schon Palmers Nähe zur Wirtschaft und sein Technik-Enthusiasmus. Palmer hält nichts davon, Verzicht zu predigen. Der Kampf gegen Klimawandel und Wirtschaftswachstum gehen bei ihm Hand in Hand. Tübingen ist nach 16 Jahren unter Palmer tatsächlich auch wirtschaftlich gut aufgestellt, der Haushalt der Universitätsstadt im grünen Bereich. Palmers Wahlkampagne ist geprägt von allerlei beeindruckenden Zahlen zur Zahl neuer Unternehmen und Arbeitsplätze. Das Versprechen, Umwelt und Wirtschaft zusammenzubringen, ist auch das Rezept, mit dem die Grünen bald in ganz Baden-Württemberg und darüber hinaus erfolgreich waren.

"Politische Figur Palmer am Ende"

Dieses Erbe wird er seiner Partei hinterlassen, wenn er am Sonntag hinter Baumgärtner oder der SPD-Kandidatin Sofie Geisel landen sollte. Der Ausgang des ersten Wahlgangs ist offen. Baumgärtner und Geisel unterscheiden sich von Palmer vor allem in dem Versprechen, wieder mehr Ruhe ins Rathaus zu bringen, nicht so polarisieren zu wollen, wie der Amtsinhaber. Der aber hat seit Monaten keinen Skandal mehr losgetreten, sogar Fehler auf Wahlkampfdiskussionen eingeräumt. Ob aus Kalkül oder echter Einsicht, ist unklar, aber dass ihn der Beinahe-Ausschluss von den Grünen beeindruckt hat, ist offensichtlich. Er will dort unbedingt Mitglied bleiben.

"Wenn ich diese Wahl nicht für mich entscheiden kann, ist die politische Figur Boris Palmer am Ende", sagt der 50-Jährige im Gespräch mit der "Pforzheimer Zeitung". Er wolle gerne weitermachen, wenn er eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich habe. Sei das aber nicht der Fall, wolle er schon nach dem ersten Wahlgang aufhören, sagt Palmer. "Dann bin ich Pensionär, habe drei Kinder und setze mich bei schönem Wetter aufs Fahrrad."

Als Privatmensch werde er sich auch in der Partei mit Wortmeldungen zurückhalten, wenn er aufs Altenteil geht, sagt Palmer. Dass er als Vater und Fahrradfahrer auch glücklich sein kann, mag man sich vorstellen können. Dass er sich aber auch auf Facebook Zurückhaltung auferlegt und nach wohl Tausenden Wortmeldungen dort zu schweigen beginnt, wäre dann doch eine Überraschung. Aber auch für Überraschungen war Palmer stets zu haben.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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