Politik

Zu wenig Power gegen B.1.1.7 Der neue Gegner verlangt mehr

Nach 15 Stunden Verhandlungen auch erschöpft: Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Regierungschef Markus Söder.

Nach 15 Stunden Verhandlungen auch erschöpft: Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Regierungschef Markus Söder.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa/Pool)

Die Bund-Länder-Schalte wird zur Mammut-Konferenz, doch die Beschlüsse, die Kanzlerin und Länderchefs treffen, sind eher kleinteilig. Und quasi nichts wirkt ab sofort. Soll das die aggressive Mutante in die Knie zwingen?

"So können wir vor der Öffentlichkeit nicht bestehen" - als gegen 18 Uhr, nach etwa drei Stunden Verhandlung, aus Teilnehmerkreisen der Bund-Länder-Runde dieser Merkel-Satz durchgereicht wird, ist klar: Eigentlich geht es jetzt erst los. Die große Schalte zwischen den 16 MinisterpräsidentInnen und der Bundeskanzlerin wird unterbrochen. Die Diskussion um den "kontaktfreien Urlaub" über die Osterfeiertage habe sich festgefahren, heißt es.

In der Wahrnehmung vieler Deutscher standen sich in den vergangenen Tagen zwei Haltungen der deutschen Corona-Politik auf das Absurdeste gegenüber: Auf der einen Seite ein bundesweites Beherbergungsverbot, das es innerhalb Deutschlands unmöglich macht, selbst im Ferienhaus ein paar Urlaubstage zu verbringen. Auf der anderen Seite die vor Kurzem eröffnete Möglichkeit, per Flugzeug nach Mallorca zu reisen - Lufthansa-Tochter Eurowings und der Reisekonzern Tui sahen Umsätze winken und legten sogleich ein umfangreiches Angebot an Flügen und Pauschalreisen auf.

Rein rechtlich sei der Mallorca-"Öffnung" nicht beizukommen, so erklärten es bereits Außenminister Heiko Maas und Justizministerin Christine Lambrecht. Die Sieben-Tage-Inzidenz auf der Baleareninsel liegt bei Mitte 20, das ist eindeutig zu wenig für ein Risikogebiet. Nun jedoch, wenn man den einen Störfall schon nicht per Verordnung aus der Welt schaffen kann, auch noch eine weitere Flanke zu öffnen, damit das Verhältnis wieder stimmt, ist mit Angela Merkel nicht zu machen. Sie stemmt sich gegen Urlaube in Deutschland. "Falscher Zeitpunkt, falsches Signal", heißt es rigoros.

Hat Merkel genug gewollt?

Man könnte meinen, dass die Länderchefs nach 20 Corona-Krisen-Schalten mit der Kanzlerin so etwas durchaus hätten kommen sehen können. Stattdessen müssen sie es am selben Tag noch mal lernen. Bis sie ihren Widerstand aufgeben, vergeht Stunde um Stunde, es ist 2:30 Uhr als die After-Show-Pressekonferenz am frühen Morgen starten kann. Trotz der ernsten Lage, die Angela Merkel im Eingangs-Statement betont, ist ihren Gesichtszügen anzusehen, dass sie sich durchgesetzt hat. Nur: Hat sie auch genug gewollt?

Urlauber, aus Mallorca oder von anderen Reisezielen im Flugzeug wiederkehrend, müssen sich nun auf eine Testpflicht vor der Rückreise nach Deutschland und bei positivem Befund auf Quarantäne einrichten. Gemeinsam mit dem negativen Testergebnis, das Spanien für die Einreise verlangt, wird das hoffentlich den Viruseintrag deutlich begrenzen.

Statt Urlaubsreisen durchs eigene Land wird es aber das Gegenteil davon geben: "#Wirbleibenzuhause" lautet das Ostermotto, und das ist sowas von wörtlich gemeint, dass am Gründonnerstag und Karsamstag wirklich alles dicht sein soll, abgesehen von den Lebensmittelläden am Samstag. Hiervon erhofft sich die Politik einen ähnlichen Effekt wie vom zurückliegenden Weihnachtsfest. Zunächst als Pandemiebooster gefürchtet, stellten sich die Feiertage im Nachhinein als Dämpfer für die Infektionsdynamik heraus - weil es so ruhig war.

Nur ist es fraglich, ob ein Effekt, der vor drei Monaten gegen den Wildtyp des Virus ganz gut funktionierte, dieselbe Wirkkraft auch gegen die deutlich aggressivere Mutante entfalten kann. Und so stellt sich in der Bilanz des Beschlusspaketes die Frage, ob den Regierenden wirklich klar ist, dass da mit B.1.1.7 ein neuer Gegner auf dem Platz steht.

Zwar machte Merkel im Laufe der Bund-Länder-Schalte deutlich, dass sie auf keinen Fall nur beschließen wolle, "dass wir das einhalten, was wir das letzte Mal beschlossen haben". Aber unterm Strich ist es sieben Stunden später nicht wesentlich mehr. Weder gibt es eine generelle abendliche Ausgangssperre, die helfen würde, sicherzustellen, dass die Menschen tatsächlich auf private Treffen verzichten, und die in Großbritannien zur Hochphase der Pandemie Anfang Januar recht schnell einen deutlichen Rückgang der Ansteckungen bewirkte. Noch werden verpflichtende Tests am Arbeitsplatz eingeführt. Beide Bereiche - die Arbeitswelt und das Privatleben - sind jedoch inzwischen ziemlich zweifelsfrei als pandemietreibend identifiziert.

Umfangreiche Tests - nach Ostern

Mit der Testpflicht bei Flugreisenden und der Absage an den "kontaktfreien Urlaub" werden stattdessen zwei Themen angegangen, die es in den vergangenen Wochen noch gar nicht gab. Die bringen also keine Verbesserung, sondern verhindern allenfalls eine noch drastischere Verschlechterung. Den deutlichen Infektionsanstieg, den Deutschland gerade sieht, können sie nicht stoppen.

Für die Zeit nach Ostern kündigt die Kanzlerin umfangreiche Testungen auf "drei Säulen" an - für Freiwillige in den Zentren, in Unternehmen sowie in Schulen und Kitas. Doch bis dahin sieht es auf dem Gebiet mau aus. Tests für Schüler starten langsam, von Tests an Kitas ist kaum etwas zu hören. Die aggressive Mutante wird es zu nutzen wissen, wenn in Kindergärten auch noch in den nächsten zwei Wochen ungetestete Kinder aus bis zu 20 Haushalten ohne Schutz und ohne Abstand miteinander spielen.

Unterm Strich ist tatsächlich nur die verlängerte Ruhephase zu Ostern eine echte Zusatzmaßnahme gegen B.1.1.7. Und wann kommt die nochmal? Ostern ist in zehn Tagen, sie kann also auch erst in zehn Tagen greifen und in etwa 20 Tagen einen Effekt zeigen, vorausgesetzt, dass sie einen Effekt hat. Und was macht bis dahin die Mutante? Sie wird sich mit mindestens derselben Dynamik wie in der vergangenen Woche weiterverbreiten. Weil in der vergangenen Nacht keine einzige Maßnahme beschlossen wurde, die sie daran hindert.

Aber kommt jetzt nicht die Notbremse? Hoffentlich ja, wobei es nach dem Grabenkampf der gestrigen Schalte keineswegs sicher erscheint, dass sich hierbei nun alle Länder an die gemeinsamen Beschlüsse halten. Doch selbst im besten Fall, wenn sie das tun, nimmt dieser Beschluss nur die Öffnungen zurück, die in den vergangenen etwa zwei Wochen umgesetzt wurden. Öffnungen, die von einem breiten Testregime abgesichert werden sollten, so hieß es nach der letzten Bund-Länder-Runde. Doch die Teststrategie startete so holprig, dass von Absicherung keine Rede sein konnte. Die Fallzahlen bewegten sich seitdem deutlich nach oben.

Wenn nun also die Notbremse gezogen wird, dann vor allem, weil man seinerzeit geöffnet hat, obwohl dieses Sicherheitsnetz noch gar nicht geknüpft war. Zu jenem Zeitpunkt hatte aber der geltende Lockdown bereits seine Kraft deutlich eingebüßt. Die Infektionszahlen fielen nicht mehr, sie stagnierten nur noch. Auf diesen Lockdown, der bis Anfang März galt, müsste Deutschland jetzt eine Schippe drauf legen, um wieder vor die Welle zu kommen. Doch dazu hat die Runde nichts beschlossen. Die Politik lässt nun zehn Tage verstreichen, bis die erste wirkliche Zusatzmaßnahme greift. Eine Zeitspanne von zehn Tagen kann in einer Pandemie richtungsentscheidend sein.

Deutschland steckt mitten in der dritten Welle, B.1.1.7 verbreitet sich exponentiell. Das erwähnten Merkel und die Länderchefs Markus Söder und Michael Müller bei der Präsentation ihrer Beschlüsse immer wieder. Doch das Maßnahmenpaket, auf das sich die Bund-Länder-Runde in ihrer Mammut-Konferenz geeinigt hat, erscheint nicht als das scharfe Schwert, das das Land nun bräuchte, um sehr schnell einen Rückgang der Infektionen zu erreichen. Eher ist zu befürchten, dass bei der nächsten Schalte zwischen Länderchefs und Kanzlerin die Zeichen erst richtig auf Alarm stehen.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen