Politik

Kampfpilotin hungert sich zu Tode Der quälende Kampf der Nadja Sawtschenko

Sawtschenko am 10. Februar in einem Moskauer Gericht

Sawtschenko am 10. Februar in einem Moskauer Gericht

(Foto: REUTERS)

Seit Juli 2014 sitzt sie in russischer Untersuchungshaft. Im Dezember trat die ukrainische Kampfpilotin Nadja Sawtschenko in den Hungerstreik. Doch Moskau macht keine Anstalten, sie freizulassen.

450 Personen sitzen in der Werchowna Rada. Eine Frau hat das ukrainische Parlament jedoch seit ihrer Wahl im Oktober noch nicht ein einziges Mal von innen gesehen. Nadja Sawtschenko. Die 33-Jährige sitzt seit acht Monaten im Gefängnis in Russland.

In der Ukraine ist Sawtschenko längst eine Volksheldin. Bei den Gedenkmärschen für den ermordeten Kreml-Kritiker Boris Nemzow hielten zahlreiche Demonstranten in Moskau und Kiew am Wochenende Schilder mit Bildern der Pilotin und dem Hashtag #FreeSavchenko. In Kiew lief auch Sawtschenkos weinende Mutter mit. Die Sorge ist groß. Denn Sawtschenko protestiert inzwischen seit mehr als 70 Tagen mit einem Hungerstreik gegen ihre Haft.

Die Offizierin, die zwischen 2004 und 2008 als einzige Frau an der ukrainischen Irak-Mission beteiligt war, kämpfte im Sommer 2014 für das Freiwilligenbattaillon "Aidar" in der Ostukraine. Am 17. oder 18. Juni wurde sie von Separatisten der so genannten "Volksrepublik Luhansk" gefangen genommen. Seit Juli sitzt sie in einem russischen Gefängnis in Untersuchungshaft.

"Mordmaschine im Rock"

Der 33-Jährigen soll der Prozess gemacht werden. Die Anklage beschuldigt sie der Beihilfe zum Mord an zwei russischen Journalisten. Deren Aufenthaltsort soll sie den Schützen durchgegeben haben. Kurz darauf starben die Männer demnach bei einem Granatenangriff. Zusätzlich wird Sawtschenko wegen illegalen Grenzübertritts angeklagt. Die Verteidigung weist die Vorwürfe zurück. Sawtschenko habe sich zum Todeszeitpunkt der Journalisten schon in Gefangenschaft befunden. Sie habe die Grenze nicht freiwillig übertreten, sondern sei gefangen genommen und an Russland übergeben worden.

In der Ukraine gilt Sawtschenko als Nationalheldin.

In der Ukraine gilt Sawtschenko als Nationalheldin.

(Foto: imago/Eastnews)

In Zeiten des Ukraine-Konflikts ist Sawtschenko längst zum Spielball der Propaganda geworden. Russische Medien schmähten sie als "Satans Tochter" und "Mordmaschine im Rock". In der Ukraine wird sie als Märtyrerin verehrt. Aus diesem Grund nahm die Partei von Julia Timoschenko sie bei der Wahl im Herbst auf den ersten Listenplatz. Als sie gewählt wurde, saß Sawtschenko längst im Gefängnis. In einem Brief aus der Haft schrieb sie: "Ich kämpfe nicht nur für mich, sondern gegen das System, und dieses tötet diejenigen, die Angst vor ihm haben", weiche aber vor denjenigen zurück, "die sich nicht einschüchtern lassen".

Seit Monaten fordern Politiker Sawtschenkos Freilassung. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko klagte bei der Münchener Sicherheitskonferenz: "Sie wurde von unserem Territorium verschleppt, als sie versuchte, unser Land zu verteidigen." Anfang Februar machten EU-Minister ein Gruppenfoto, auf dem sie Schilder trugen mit der Forderung: "Wir rufen Russland dazu auf, die illegal festgehaltene ukrainische Pilotin frei zu lassen." Außenminister Frank-Walter Steinmeier erreichte nach seinem Gespräch mit Russlands Präsident Wladimir Putin, dass deutsche Ärzte Sawtschenko untersuchen durften.

Wie lange hält sie noch durch?

Die wiederum protestiert seit Dezember auf ihre Weise gegen die Haft. Ihren Hungerstreik will sie fortsetzen, bis sie in die Ukraine gebracht wird oder in Russland stirbt. Anfang Februar hatte sie bereits 20 Kilo Gewicht verloren. "Die Kleidung hängt an ihr herunter wie ein Sack", sagte Anwalt Nikolaj Polozow. Sawtschenko nimmt nur Wasser und Medikamente zu sich. Angeblich hat sie bereits Probleme mit Herz, Nieren und Magen.

Wie lange hält sie noch durch? "Adipöse können Monate lang hungern, bei schlanken Menschen ist es ohne künstliche Ernährung schwierig. Sie haben weniger Reserven", sagt der Ernährungsmediziner Andreas Pfeiffer von der Berliner Charité. "Kritisch wird es ab 30 Kilogramm. Der Stoffwechsel wird runter gefahren. Erst verliert ein Mensch seine Muskulatur, dann baut er seine Organe ab und verhungert."

Sämtliche Bemühungen für eine Freilassung scheiterten. Vergeblich beriefen sich westliche Politiker auf den Austausch von Gefangenen und Geiseln, der im Minsker Abkommen vereinbart worden war. Die Begründung: Sawtschenko sei Angeklagte und somit davon ausgenommen. Das von einem Studienfreund Putins geleitete Ermittlungskomitee verlängerte die Untersuchungshaft erneut, auf den 13. Mai. Regierungssprecher Dmitry Peskov verwies auf die Gewaltenteilung und erklärte: "Über Schuld oder Unschuld entscheidet das Gericht."

Dabei ist nicht nur die Unabhängigkeit der russischen Justiz fragwürdig. Als ukrainische Vertreterin in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats genießt Sawtschenko innerhalb der Hoheitsgebiete der Mitgliedsländer völkerrechtliche Immunität und ist von Haft und Strafverfolgung befreit - auch für Taten, die vor ihrer Amtszeit liegen. Nicht mal eine Behandlung als Kriegsgefangene erkennt das Gericht an. Als solche dürfte Sawtschenko nach dem Genfer Abkommen nur dann in Haft gehalten werden, wenn dies bei gleichen Vergehen auch für die bewaffneten Kräfte des Gewahrsamsstaates vorgesehen wäre. Nur: Russland bestreitet ja nach wie vor hartnäckig Konfliktpartei zu sein.

Quelle: ntv.de

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