Politik

Bürgermeister zu Flüchtlingen "Deswegen sage ich: Wir schaffen das!"

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Auch für Rottenburg am Neckar sind die Flüchtlinge eine Herausforderung - doch laut Bürgermeister Neher kommt die Stadt gut damit zurecht.

Auch für Rottenburg am Neckar sind die Flüchtlinge eine Herausforderung - doch laut Bürgermeister Neher kommt die Stadt gut damit zurecht.

(Foto: IMAGO/Kickner)

Gefühlt klagt gerade ganz Deutschland über die hohe Belastung durch Flüchtlinge. Doch die Wahrheit ist differenzierter. Nach wie vor gibt es Städte und Gemeinden, die gut mit der Lage zurechtkommen. Der Bürgermeister von Rottenburg am Neckar, Neher, erzählt im ntv.de-Interview, wie seine Stadt mit ihren gut 40.000 Einwohnern das schafft. Kritik übt aber auch er.

ntv.de: Herr Neher, Landräte und Bürgermeister klagen über die große Belastung durch Geflüchtete. Wie ist die Lage bei Ihnen?

Der CDU-Politiker Stephan Neher ist seit 2008 Bürgermeister von Rottenburg am Neckar.

Der CDU-Politiker Stephan Neher ist seit 2008 Bürgermeister von Rottenburg am Neckar.

(Foto: picture alliance / Pressebildagentur ULMER)

Stephan Neher: Wir hatten schon 2015 eine Herausforderung, aber auch damals alles gut gemeistert. Wir haben eine sehr hohe Zuweisungsquote aus dem Landkreis auch von Ukrainern, allein von dort sind es rund 700. Insgesamt haben wir etwa 1700 Flüchtlinge in der Stadt. Wir haben aber 117 Wohnungen angeboten bekommen. Das ist schon eine beachtliche Zahl für die Größe unserer Stadt. Bis zum heutigen Zeitpunkt gibt es auch noch freie Kapazitäten. Wir haben sehr viele Ehrenamtliche, die sich einbringen, etwa bei Sprachkursen. Das geht also noch über das Angebot der Volkshochschule hinaus, die Deutsch- und Integrationskurse anbietet. Insgesamt ist bei uns die Lage weiterhin entspannt.

Warum ist das so? Warum haben Sie nicht die gleichen Probleme wie andere Kommunen?

Ich habe zwei Erklärungen. Zum einen sind wir Bischofsstadt. Ich kenne viele Leute, für die Einwanderung zwar nicht unbedingt höchste Priorität hat. Die sagen aber trotzdem, dass die Hilfsbereitschaft da sein muss. Neuankömmlinge müssen menschenwürdig untergebracht und rechtstaatliche Verfahren gewährleistet sein. Wenn keine Anerkennungsgründe da sind, muss natürlich eine Rückführung das Ergebnis sein. Die zweite Erklärung ist unsere große Geschlossenheit. Vom Landrat über meine Person bis zum Gemeinderat ziehen alle an einem Strang. Der Gemeinderat hat alle Beschlüsse einstimmig gefasst. Das signalisiert der Bevölkerung, dass wir nicht überfordert sind. Wenn ein Landrat oder ein Bürgermeister das Problem groß beklagt, warum sollen dann die Bürger glauben, die Lage sei im Griff? Dann wird auch die Stimmung schlechter.

Haben Sie das Gefühl, eine Insel der Glückseligen zu sein?

Das würde ich nicht behaupten. Wir sehen schon die Herausforderung. Ich habe aber eine wahnsinnig motivierte Truppe im Rathaus und freie Hand vom Gemeinderat. Wir haben letztes Jahr innerhalb kürzester Zeit eine eigene Schule und einen Kindergarten für ukrainische Geflüchtete eröffnet. Die haben wir bis zu den Sommerferien betrieben und die Schüler dann in die regulären Klassen integriert. Geld vom Bund oder Land haben wir für diese Interimsschule nicht bekommen. Das wurde alles über Spenden finanziert. Die Bereitschaft der Leute, mitzuziehen, ist groß. Es ist aber dennoch eine Herausforderung.

Ist die Beschäftigung mit den Flüchtlingen Ihre Hauptbeschäftigung?

Nein. Ich verstehe auch nicht, wenn Kollegen sagen, dass bei Ihnen alles liegen bleibt. Es kommt auch niemand zu kurz, die anderen Dinge laufen weiter. Wir haben einige Stellen neu geschaffen, die sich mit dem Anmieten und Einrichten der Wohnungen beschäftigen. So bleibt nichts anderes liegen. Stand heute ist kein anderes Projekt in finanzieller Hinsicht oder auch in der Bearbeitungszeit kürzer gekommen.

Sie haben es sicher leichter, weil Ihre Region wohlhabender ist als andere. Aber was macht die Einstellung und Herangehensweise aus?

Wenn zusätzlich eine Million Menschen ins Land kommen, muss das ja irgendwo spürbar sein. Wohnraum und Kindergartenplätze können knapp werden. Aber angesichts der Notlage der Menschen, ist es unsere Verpflichtung, einen Beitrag zu leisten. Aber die Einstellung spielt schon eine große Rolle, ob man will oder nicht will. Deswegen sage ich: Wir schaffen das!

Aber wie?

Die Aufgabe muss aber noch stärker europäisch wahrgenommen werden. Wir stellen immer wieder fest, dass Familien zusammenkommen, von denen andere Mitglieder schon in anderen Ländern untergekommen sind. Das kann nicht Sinn der Sache sein, dass dann in Deutschland alle zusammenfinden. Es wäre wichtig, dass die Sozialleistungen so angepasst werden, dass dieser innereuropäische Zuzug Richtung Deutschland nicht verstärkt wird.

Wie denn?

Man könnte zumindest beispielsweise Wertgutscheine statt Bargeld verteilen. Wir stellen fest, dass die Bereitschaft der Geflüchteten aus der Ukraine, zu arbeiten gesunken ist, seit sie Bürgergeld bekommen. Viele hatten großes Interesse, beispielsweise in der Pflege zu arbeiten. Als sie dann hörten, wie viel sie in den unteren Gehaltsstufen verdienen würden, war das Interesse wieder weg. Das ist sehr schade. Wenn ein Herkunftsland sicher ist, sollte es auch auf die Liste der sicheren Herkunftsländer aufgenommen werden. Das beschleunigt die Verfahren. Wir hören immer wieder, dass manche Geflüchtete im Urlaub wieder in ihre Heimatländer zurückreisen. Das stößt auf großes Unverständnis, wenn man sagt, dieses Land sei nicht sicher.

Was erhoffen Sie sich von dem Flüchtlingsgipfel?

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Wir fordern, dass staatliche Liegenschaften für die Kommunen schneller zugänglich gemacht werden, etwa um dort Containeranlagen aufzubauen. Zum anderen hoffe ich, dass die Kommunen weitere Erstattungen erhalten. Sonst würde die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich sinken, wenn die Menschen sehen, meine Schule oder Turnhalle kann nicht repariert werden. Solange das in überschaubarem Maße bleibt, ist die Akzeptanz da. Geht aber alles zu Lasten der Kommunen, kann sich das schnell ändern. Insbesondere anderswo als bei uns in Baden-Württemberg. Skeptisch bin ich bei der Forderung, das gesamte Asylverfahren an den Außengrenzen abzuwickeln. Die Verfahren dauern sehr lange und ich bezweifle, dass das an den Außengrenzen immer rechtstaatlich sicher abgewickelt werden kann. Wenn wir dadurch die Staaten an den Außengrenzen stärker belasten, also zum Beispiel Griechenland und Italien, wäre das auch keine europäisch-solidarische Lösung.

Mit Stephan Neher sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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