Vorm Flüchtlingsgipfel Länder haben vier Forderungen an den Bund
09.05.2023, 05:28 Uhr Artikel anhören
Temporäre Flüchtlingsunterkunft in Berlin. Die Länder fordern vom Bund Pro-Kopf-Pauschalen für die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten.
(Foto: IMAGO/Rolf Kremming)
Bei der Finanzierung der Flüchtlingskosten streiten die Länder und Kommunen mit dem Bund. In den Flüchtlingsgipfel gehen sie mit konkreten Forderungen. Gehör finden sie in der Bundesregierung aber nur bei einer Partei.
Die Länder gehen mit großer Einigkeit in Gespräche mit dem Bund über die strittige Flüchtlingsfinanzierung. Am Montagabend übermittelten die Staatskanzleichefs dem Bundeskanzleramt eine gemeinsame Beratungsgrundlage. Das neue Länderpapier umfasst vor allem vier konkrete Forderungen: Die Länder verlangen eine vollständige Kostenerstattung für Unterkunft und Heizung für Geflüchtete sowie eine allgemeine monatliche Pro-Kopf-Pauschale für die Unterbringung und Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem wollen die Ministerpräsidenten bei den Beratungen mit Bundeskanzler Olaf Scholz eine verlässliche Lösung für Integrationskosten sowie die Kosten für unbegleitete Flüchtlinge.
"Es bedarf eines Finanzierungsmodells, das der Höhe nach angemessen ist und sich verändernden Flüchtlingszahlen anpasst (atmendes System)", heißt es im Länderpapier. Die vom Bund zugesagten 1,5 Milliarden Euro für Geflüchtete aus der Ukraine sowie 1,25 Milliarden Euro für Migranten aus anderen Staaten - bei Weiterzahlung lediglich des letzteren Postens ab 2024 - würden den steigenden Flüchtlingszahlen nicht gerecht. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres hätten die Asyl-Erstanträge um fast 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zugenommen.
Teil des Papiers sind unter anderem auch Vorschläge zum Eindämmen irregulärer Migration, zur besseren Kooperation mit den Herkunftsländern, zum wirksameren Schutz der Binnengrenzen sowie zu konsequenten Rückführungen. Diese Passagen sind allerdings noch unter Vorbehalt.
Länder solidarisieren sich mit den Kommunen
Städte, Gemeinden und Landkreise sitzen am Mittwoch nicht mit am Tisch. Sie sind aber konkret mit der Unterbringung, Versorgung und Integration von Flüchtlingen vor Ort befasst. Viele Kommunen klagen, sie seien an die Grenze der Belastbarkeit angelangt. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil machte im ZDF-"heute journal" deutlich, dass die Länder in erster Linie als Sachwalter für die Kommunen agieren. "Die haben's wirklich schwer", sagte der SPD-Politiker. Seine Parteigenossin, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer machte ebenfalls deutlich: "Bei der Unterbringung der Geflüchteten stehen Kommunen und Länder Seite an Seite."
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe forderte vor dem Treffen, Bund und Länder müssten sich auf eine dauerhafte Regelung verständigen, die sich automatisch an die jeweils aktuelle Zahl der Schutzsuchenden anpasst. "Es muss ein Ende haben, dass jedes Mal erneut über Verantwortung und Geld diskutiert wird, wenn sich das Fluchtgeschehen ändert. So verschwenden wir unnütz Zeit und Vertrauen", warnte der CDU-Politiker.
Bei der Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen gehe es um mehr als ein Bett und Essen, betonte der Oberbürgermeister von Münster. "Es geht um Wohnungen, Kita- und Schulplätze. Uns fehlt vor Ort auch das Personal." Der Bund sollte den Ländern deshalb dauerhaft Umsatzsteueranteile für die Kosten der Integration und die Schaffung der dafür notwendigen sozialen Infrastruktur bereitstellen. Der Bund müsse zudem die Kosten der Unterkunft wieder vollständig übernehmen und bei den Belastungen durch das Asylbewerberleistungsgesetz und den Aufwendungen für unbegleitet eingereiste Minderjährige unterstützen.
Bundesregierung ohne einheitliche Linie
Die Ampel-Koalition tritt in der Frage nicht ganz einheitlich auf. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte, der Bund trage bereits einen erheblichen Teil der Kosten für die Aufnahme von Flüchtlingen. Direkte Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen seien rechtlich nicht vorgesehen. Die FDP, die im Bund mit Christian Lindner den Finanzminister stellt, stemmt sich dagegen, mehr Geld vom Bund bereitzustellen. Der Bund leiste bereits Milliardenbeträge zur Unterstützung der Kommunen, sagte Parteichef Lindner dem TV-Sender Welt. Es brauche nicht immer mehr Geld, sondern eine andere Flüchtlingspolitik mit weniger irregulärer Migration. Auch müssten Menschen ohne Aufenthaltsrecht das Land wieder verlassen.
FDP-Fraktionschef Christian Dürr warnte überdies in der "Stuttgarter Zeitung": "Noch mehr Mittel vom Bund für die Versorgung von Geflüchteten würde zudem bedeuten, dass weniger Geld für andere Projekte da ist, über die wir gerade beraten - etwa für die Kindergrundsicherung." "Das kann nicht unser Ziel sein." In der "Augsburger Allgemeinen" rief Dürr die Länder auf, bei Asylbewerbern von Direktzahlungen auf Sachleistungen umzustellen, um weniger Zuwanderungsanreize für Menschen ohne Bleibeperspektive zu bieten.
Die Grünen unterstützen dagegen die Städte und Gemeinden bei ihren Appellen nach mehr Hilfen. "Was die Kommunen benötigen, ist eine vernünftige Finanzierung und Unterstützung bei der Unterbringung", sagte der Grünen-Innenpolitiker Julian Pahlke. Der Bundestagsabgeordnete warf Bundesinnenministerin Nancy Faeser vor, sie suggeriere, "dass auf europäischer Ebene Entscheidungen getroffen werden, die Flucht nach Deutschland begrenzen und die Kommunen entlasten". Angesichts der Forderungen der Kommunen, jetzt über "neue EU-Verordnungen zu reden, die völlig unplanbar erst in den nächsten Jahren in Kraft treten würden", bedeute, "leere und wirkungslose Versprechungen" zu machen.
Im Bund ist die Union zwar Opposition, CDU und CSU sind aber an 9 der 16 Landesregierungen beteiligt und sitzen somit am Mittwoch mit am Tisch. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann argumentierte in der "Augsburger Allgemeinen", der Bundesanteil an den Kosten für Asyl und Integration sei auf unter 20 Prozent gesunken. "Es ist deswegen absolut gerechtfertigt, dass alle Bundesländer und die kommunalen Spitzenverbände unisono fordern, nicht mit den viel zu niedrigen Pauschalbeträgen abgespeist zu werden." Unionsfraktionschef Friedrich Merz warnte: "Wir sollten auf die Hilferufe der Kommunen hören." Der CDU-Chef sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Geflüchtete bei uns gut zu integrieren, hat auch etwas mit der Anzahl von Menschen zu tun, die hier bei uns leben." Merz sieht Kanzler Scholz in der Pflicht, die "Migration nach Deutschland nachhaltig zu steuern".
Quelle: ntv.de, Bettina Grönewald, Anne-Béatrice Clasmann und Stefan Heinemeyer, dpa