Brandmauer-Dilemma der Union Deutschland droht schlimmstenfalls die Unregierbarkeit
02.11.2025, 08:01 Uhr
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Klingbeil und Merz sind zum Erfolg verdammt - alles andere stärkt die AfD.
(Foto: picture alliance / IPON)
Die Christdemokraten haben sich eine Sackgasse geschaffen, die zu politischem Stillstand und Frust in der Bevölkerung führt. Die Gefahr italienischer Verhältnisse lauert. Schon aus der nächsten vorgezogenen Wahl könnte die AfD als Siegerin hervorgehen. Von den ostdeutschen Ländern ganz zu schweigen.
Die Ampelkoalition war so unbeliebt, weil sie von Streit zu Streit holperte und mit Olaf Scholz einen Kanzler hatte, der Führung versprach, aber sie nie lieferte, sondern im Gegenteil so gut wie jeden Konflikt laufen ließ. Als er begann, früher einzugreifen, war sein Regierungsbündnis in der Bevölkerung schon unten durch. Friedrich Merz gelobte, es besser zu machen. Inzwischen zeichnet sich deutlich ab: Daraus wird nichts. Und dabei muss der Christdemokrat - anders als Scholz und seine Ampel - nicht einmal auf plötzliche externe Ereignisse wie den Überfall Russlands auf die Ukraine reagieren.
Merz verbreitet keine Zuversicht. Der CDU-Vorsitzende schafft es, mit einem einzigen unbedachten Satz einzureißen, was er mühevoll aufzubauen versucht. Statt dringend notwendige Reformen anzupacken, Kriminalität zu bekämpfen, der Wirtschaft auf die Sprünge zu helfen und - vor allem - gegen die düstere Gefühlslage in weiten Teilen der Bevölkerung anzugehen, entfachte er eine Debatte über den Anteil bestimmter Migranten in Städten. Es spielt dabei keine wesentliche Rolle, was der Kanzler ganz genau meinte. Ein Regierungschef sollte keine Sätze vor der Kamera sagen, die so ausdeutungsfähig sind wie Figuren beim Bleigießen.
Die Kakophonie ist unter Schwarz-Rot ebenso ohrenbetäubend, wie sie es in der Ampel war. Dabei hat der Regierungschef das Glück, dass es seine Union nur mit der SPD zu tun hat, während Scholz Grüne und FDP bändigen musste. Trotzdem hat Merz weder die Koalition noch seine Partei im Griff, wie die Diskussionen über das Bürgergeld, "das Stadtbild" und den Umgang der CDU mit der AfD zeigen.
"Links ist vorbei", versprach Merz
Die Union steckt in einer Sackgasse, die Merz nicht gebaut, aber mit Aussagen als Kanzlerkandidat zementiert hat. Denn angesichts der Prognosen für die FDP mussten sich seine Ankündigungen in jedem Fall als leeres Versprechen entpuppen. "Links ist vorbei. Es gibt keine linke Mehrheit und keine linke Politik mehr in Deutschland", sagte er beim Wahlkampfabschluss in München. Und versprach eine Politik "für die Mehrheit der Bevölkerung", für jene, "die gerade denken und alle Tassen im Schrank haben" - und nicht "für irgendwelche grünen und linken Spinner".
Darauf hofften Bürger, die die AfD ablehnen, aber einen konservativeren Kurs herbeisehnen, weg von der moralisierenden Schulmeister-Politik des linken Lagers, insbesondere der Grünen mit ihrer städtischen Arroganz, die als elitär wahrgenommen wird. Der politische Schwenk blieb nicht nur aus, sondern Merz erfüllte sogleich einen sehnlichsten Wunsch der SPD und beerdigte die Schuldenbremse. Zurecht! Allein die Begründung war abstrus: Die Kriegsgeilheit Putins, der Zustand der Bundeswehr und Infrastruktur sowie damit verbundene Milliardenkosten dürften ihm schon vor der Wahl aufgefallen sein, als die Union die Schuldenbremse noch als Nonplusultra seriöser Haushaltspolitik pries.
Der schärfere Migrationskurs der schwarz-roten Koalition und die - in der SPD schon wieder torpedierte - Reform des Bürgergelds reichen nicht aus, dass von einer Politikwende die Rede sein kann, wie sie Merz ankündigte. Das führt zu gehörigem Frust unter Unionswählern, die zur AfD wechseln. Dass die Sozialdemokraten einen - von der Mehrheit der Bevölkerung gewünschten - konservativen Umschwung unterstützen, konnte und kann der Kanzler nicht erwarten. In der Stadtbild-Debatte postete ein Berliner Lokalpolitiker der SPD: "Mit diesen A*löchern von der CDU kann man nicht regieren!" Ein SPD-Abgeordneter des Berliner Landesparlaments unterstellte Merz gar einen Hang zur hässlichen Rassen-Ideologie der Nazis. Da regiert zusammen, was nicht wirklich zusammengehört.
AfD wird Höcke niemals rausschmeißen
Die Misere führt zu einem politischen Stillstand. Der Herbst der Reformen wird in einem öffentlichen Gezerre enden, was die Verärgerung unter Konservativen und in der Wirtschaft nur vergrößern wird. Die Union kommt aus der Bredouille nicht raus, sie hat keine Alternative, zumal die FDP tot ist. Eine Mehrheit rechts von der Mitte ist nur mit der AfD zu haben. Eine Kooperation erlaubt die "Brandmauer" nicht, an der Merz nicht rütteln will, was man ihm glauben sollte, weil er weiß, dass der Abriss des Walls die Christdemokraten zerreißen würde.
Das Vorspiel ist schon zu bestaunen. Die ehemaligen, einst führenden Unionspolitiker Peter Tauber und Karl-Theodor zu Guttenberg, die nicht wiedergewählt werden wollen, plädieren für einen anderen, offeneren Umgang mit der AfD, um das Brandmauer-Dilemma zu lösen. Ein hochriskanter Plan, da er nach hinten losgehen und die CDU spalten kann. Tauber und Guttenberg verlangen von der AfD, sich von rechtsextremen Mitgliedern zu trennen - die wird aber niemals Björn Höcke rausschmeißen, denn das wäre ihr Ende in jetziger Stärke. Außerdem wird die AfD in Thüringen nicht trotz, sondern wegen Höcke gewählt.
Ein kurzfristig gegründetes CDU-internes Netzwerk namens "Compass Mitte" hält schon dagegen und befeuert den von der politischen Linken forcierten Verdacht, Merz öffne das Tor zu AfD. Mitgegründet hat es das bis eben noch öffentlich unbekannte CDU-Bundesvorstandsmitglied Monica Wüllner, Lokalpolitikerin in Stuttgart und laut Eigenbeschreibung "Transformationssekretärin" bei der IG Metall. In täglichen Interviews klingt sie wie eine Politikerin von Grünen oder SPD, wenn sie dem Kanzler und anderen CDU-Mitgliedern in Führungspositionen bescheinigt, rechtspopulistisch zu agieren und "viel über Dinge" zu reden, "die an der Lebensrealität vieler Menschen einfach vorbeigehen".
Achtung, Sachsen-Anhalt
Man darf davon ausgehen, dass Wüllner in jünger Zeit nicht durch Duisburg oder Gelsenkirchen gelaufen ist, noch nie die CDU in Ostdeutschland besucht und von diversen Messerstechereien in Stuttgart nichts mitbekommen hat. Im Osten ist die CDU mindestens in den Kommunen längst dort, wo Tauber und Guttenberg die Union haben wollen. Dort wird fleißig mit der AfD kooperiert. In Frankfurt an der Oder, Potsdam und anderen Städten und Gemeinden nimmt die Zahl parteiloser (Ober)-Bürgermeister zu, weil die Bürger keine Lust auf "die Altparteien" haben, aber die AfD mehrheitlich ablehnen.
Die Parteienlandschaft wird immer mehr zerrieben und fragmentiert. Im Osten werden Koalitionen gebildet mit Parteien, die politisch geringe Überschneidungen haben und allein dem berechtigten Ziel dienen, die AfD von der Macht abzuhalten. Doch führt all das zur Vertiefung der Spaltung, mit Risiken bis hin zur Unregierbarkeit. Es drohen Sperrminoritäten von AfD (und BSW), was Institutionen der parlamentarischen Demokratie aushöhlen kann. Oder sogar Alleinregierungen der AfD, wie sie nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im September 2026 schon möglich ist. Der Bund kann einem von der AfD regierten Land nicht die Zusammenarbeit verwehren - Zank und Chaos wären programmiert.
Die Gefahr italienischer Verhältnisse lauert, dass Koalitionen nicht bis zum Ende einer Legislaturperiode halten. Schon aus der nächsten vorgezogenen Bundestagswahl könnte die AfD als stärkste Kraft hervorgehen. Und wer regiert dann gemeinsam und macht es "besser" als Union und SPD? Bliebe eine Minderheitsregierung, die sich jeweils ihre Mehrheiten suchen muss. Nutznießer wäre auch in der Konstellation die AfD, die weiter nur am Rande zuschauen und eine Rückkehr der Bundesrepublik in die Vergangenheit versprechen muss, um zu wachsen. So oder so: Deutschland hat keinen Grund zu politischer Zuversicht, wenn sich Union und SPD nicht zusammenreißen. Aktuell spricht leider nichts dafür, dass sie den Schuss gehört haben.
Quelle: ntv.de