Enthaltung bei Israel-Resolution Deutschland sitzt in UN zwischen allen Stühlen
28.10.2023, 14:54 Uhr Artikel anhören
Scholz und Baerbock sind durch die Abstimmung in der UN-Vollversammlung in eine schwierige Lage geraten.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Israels Schicksal gehöre für Deutschland zur Staatsraison, versichert die Bundesregierung seit dem Terrorangriff der Hamas. Bei einer pro-palästinensichen UN-Resolution enthält sich Berlin aber. In Tel Aviv sorgt das für Kritik. Das Votum könnte außerdem die Hoffnung auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zerstört haben.
Die Resolution der UN-Vollversammlung zum Nahost-Konflikt zwischen Israel und der radikal-islamischen Hamas ist zwar völkerrechtlich nicht bindend. Aber ähnlich wie die Abstimmungen zum russischen Überfall auf die Ukraine hat sie eine politische Signalwirkung. Und das Abstimmungsverhalten zeigt erhebliche Probleme für den Westen insgesamt.
In der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen den westlichen Demokratien und autokratischen Staaten wie China und Russland kämpften die G7-Industrieländer darum, dass kein Eindruck einer Spaltung der Welt entsteht. Russlands Präsident Wladimir Putin versuchte immer wieder zu suggerieren, dass es "den Westen und den Rest" gebe. Nun haben nur 14 Staaten gegen die von arabischen Ländern eingebrachte Resolution gestimmt, die eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe für die Palästinenser fordert, ohne den Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober klar zu verurteilen. Die Liste der ablehnenden Länder lässt den Eindruck einer Isolation zu: Mit Israel stimmten nur der engste Verbündete USA sowie Guatemala, Ungarn, Fidschi, Nauru, die Marshallinseln, Mikronesien, Papua-Neuguinea, Paraguay, Tonga sowie die kleinen europäischen Staaten Österreich, Kroatien und Tschechien. In Peking und Moskau dürften die Sektkorken knallen.
Israel ist isoliert
Dass die Resolution auf so breite Zustimmung stieß, muss auch die israelische Regierung 75 Jahre nach Staatsgründung beunruhigen. Seit Jahrzehnten versucht auch Deutschland eine von einigen arabischen Ländern immer wieder angestrebte Isolation des jüdischen Staates in den UN zu verhindern. Nun zeigt sich, dass die durchaus vorhandene Sympathie nach dem brutalen Überfall der Hamas aber mit jedem Tag der israelischen Angriffe auf die Hamas im Gazastreifen abzunehmen scheint. Die Resolution zielt vor allem darauf, dass Israel seine Angriffe einstellt.
"Israels Rücktrittsforderung gegen UN-Generalsekretär Antonio Guterres hat sicher nicht geholfen", sagt ein EU-Diplomat. Dass der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan den UN nach der Abstimmung gleich "Legitimität und Bedeutung" absprach, auch nicht. Kanzler Olaf Scholz hatte die rechtskonservative Regierung in Israel im Streit um die umstrittene Justizreform schon vor Monaten gewarnt, dass die Solidarität im Westen bröckeln könnte, weil sie eben auch der einzig funktionierenden Demokratie in der Region galt.
EU und G7 gespalten
Im Ukraine-Krieg haben die Europäer und westliche Industriestaaten eine für sie selbst überraschende Geschlossenheit gegenüber Russland gezeigt. Am Freitag aber zerbröselte die Einheit der EU nur wenige Stunden nach dem auf dem EU-Gipfel mühsam erreichten Formelkompromiss, in dem "humanitäre Korridore" und "Feuerpausen für humanitäre Zwecke" gefordert werden.
Noch in Brüssel kritisierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine israelische Bodenoffensive. Kanzler Scholz sprach der israelischen Armee dagegen das Vertrauen aus, sie werde sich schon an das humanitäre Völkerrecht halten. In New York gehörte Frankreich dann zu den wenigen EU-Staaten, die - auch mit Blick auf den ohnehin schwindenden Einfluss in der islamischen Welt - für die Resolution stimmte. Deutschland enthielt sich wie die Mehrzahl der EU-Staaten. Die Schlagkraft der EU ist damit geschwächt. Dasselbe gilt für die G7-Staaten, bei denen Japan ohnehin schon aus der anfangs klar pro-israelischen Haltung ausgeschert war.
Deutscher Sicherheitsratssitz ade?
Gerade Deutschland ist durch die Abstimmung in eine sehr schwierige Lage geraten. Denn Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock brüsteten sich auf ihren Nahosttouren noch damit, dass Berlin anders als viele andere mit allen Seiten reden könne. Dass Israels Sicherheit zur deutschen "Staatsräson" gehört, haben arabische Nachbarn tatsächlich mit Blick auf die deutsche Verantwortung für den Holocaust und wegen der deutschen Entwicklungshilfe stets hingenommen. Nun aber steckt die Regierung in einer Zwickmühle. Aus Solidarität zu Israel hätte sie eigentlich mit "Nein" stimmen müssen. Doch Baerbock argumentiert nun, dass man die Resolution immerhin etwas verbessert und sich deshalb enthalten habe.
Der eigentliche Grund: Hätte Deutschland mit Israel und den USA gegen die Resolution gestimmt, hätte die Bundesregierung ihre Bewerbung für einen nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat 2027 gleich vergessen können. Dafür braucht es nämlich eine klare Mehrheit in der UN-Vollversammlung. Aber die Stimmung auch bei demokratischen Regierungen auf der Südhalbkugel war eindeutig, dass man nun stärker auf die Bedürfnisse der Palästinenser schauen müsse. Damit erleidet auch der Versuch von Scholz einen Rückschlag, die großen Schwellenländer des Südens stärker an sich zu binden. Nigeria und Ghana - also die Länder, in die der Kanzler in den nächsten Tagen reist - haben für die Resolution gestimmt.
Aus Israel kam für die deutsche Enthaltung dagegen herbe Kritik: Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sagte, man brauche Deutschlands Unterstützung in den Vereinten Nationen. Auf dem Landesparteitag der nordrhein-westfälischen CDU in Hürth führte er aus: "Ein Abstimmungsverhalten, sich zu enthalten, weil man nicht direkt sagen kann, dass Hamas für diese grausame Massaker verantwortlich ist, ist nicht genug."
Quelle: ntv.de, mau/rts