Bundestag entscheidet Deutschland sollte den Irak weiter unterstützen
27.09.2023, 10:47 Uhr Artikel anhören
Ein Bundeswehr Soldat begleitet im Jahr 2019 die Ausbildung kurdischer Peschmerga im nordirakischen Kurdengebiet.
(Foto: picture alliance/dpa)
Es sind nur 500 Soldaten der Bundeswehr im Irak, doch deren Einsatz ist wichtig: Sie beraten das Verteidigungsministerium in Bagdad und unterstützen die Anti-IS-Koalition. Heute berät der Bundestag darüber, ob das Mandat verlängert wird. Ein Plädoyer der Konrad-Adenauer-Stiftung aus Bagdad.
Heute debattiert der Deutsche Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Irak. Deutschland engagiert sich seit 2015 militärisch vor Ort. Während sich die Lage in vielen Ländern in der Nachbarschaft Europas zunehmend verschlechtert, wie nicht zuletzt der Konflikt im Kaukasus und die Staatsstreiche in der Sahelzone gezeigt haben, hat sich der Irak in den letzten Jahren auch dank des Bundeswehreinsatzes stabilisiert.
Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und Mali und dem Putsch in Niger kommt dem Land zudem im Kampf gegen den internationalen Terrorismus eine entscheidende Bedeutung zu. Der Bundeswehreinsatz vor Ort ist der letzte verbliebene militärische Beitrag Deutschlands in diesem Bereich. Deshalb sollte die Bundesrepublik den Irak weiter militärisch unterstützen.
Das Mandat der Bundeswehr im Irak beruht auf zwei Säulen: Im Rahmen der NATO Mission Irak beraten Soldaten der Bundeswehr das irakische Verteidigungsministerium in Bagdad auf strategischer Ebene zur nachhaltigen Stärkung der Sicherheitskräfte; im nordirakischen Erbil unterstützt die Bundeswehr zudem die internationale Anti-IS-Koalition bei der Beratung des irakisch-kurdischen Peschmerga-Ministeriums und der Ausbildung kurdisch-irakischer Sicherheitskräfte. Die Mandatsobergrenze liegt bei 500 Soldaten. Damit verfügt die Bundeswehr über einen geringen Fußabdruck im Irak. Trotz dieses geringen Fußabdrucks kann der Einsatz im Irak bislang als Erfolg gewertet werden.
Denn das Land hat sich in den letzten Jahren deutlich stabilisiert. Die Sicherheitslage ist verbessert und das irakische Staatsgebiet steht heute wieder vollständig unter Kontrolle der Sicherheitskräfte. Die Lieferung der Panzerabwehrwaffe MILAN an irakisch-kurdische Sicherheitskräfte war 2014 ein Wendepunkt im Kampf gegen den IS. Durch Ausbildung und Ausrüstung hat Deutschland gemeinsam mit der internationalen Koalition gegen den IS die kurdisch-irakischen und irakischen Sicherheitskräfte befähigt, die territoriale Herrschaft der Terrororganisation zu zerschlagen. Heute ist der IS aus den urbanen Zentren des Landes verdrängt und agiert nur noch aus dem Untergrund mit kleineren Anschlägen im ländlichen Raum.
Politisch hat sich die Lage im Irak verbessert
Auch das zivile Engagement Deutschlands hat zu dieser Stabilisierung beigetragen. Die Bundesrepublik ist der zweitgrößte Geber des Landes und umfassend humanitär und entwicklungspolitisch engagiert. Mithilfe deutscher und internationaler Unterstützung ist es gelungen, weite Teile der im Kampf gegen den IS zerstörten Infrastruktur wiederaufzubauen und die Rückführung von etwa fünf Millionen Binnenflüchtlingen zu gewährleisten. Trotz der großen Herausforderungen, die weiterhin bestehen - insbesondere der Reintegration der jesidischen Minderheit in ihre Heimatgebiete - ist dies eine positive Entwicklung. Bagdad und Berlin arbeiten zudem an Möglichkeiten einer Rückführung abgelehnter irakischer Asylbewerber aus Deutschland.
Auch politisch hat sich die Lage im Irak verbessert. Die sich seit etwa einem Jahr im Amt befindende Regierung von Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani hat zur Stabilität des Landes beigetragen. Erstmals wurde ein Staatshaushalt verabschiedet, der für drei Jahre gilt und Sicherheit für anstehende Großprojekte gibt. Damit wurde aus irakischer Sicht der Startschuss für die weitere Entwicklung des Landes gegeben.
Außenpolitisch verfolgt der Irak einen neutralen Kurs und agiert heute als Vermittler im Nahen Osten – etwa zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Sollte sich die Stabilisierung in Zukunft fortsetzen, kann der Irak damit zu einem wichtigen Partner Deutschlands in einer durch Krisen und Konflikte geprägten Region werden. Und auch der Irak setzt auf Deutschland. Al-Sudani hat Berlin als erste Station in Europa bereits im Januar besucht – ein klares politisches Zeichen. Und das militärische Engagement Deutschlands wird von irakischer Seite geschätzt.
Einzig im Irak kann die Bundeswehr wirkungsvoll gegen den IS kämpfen
So hoffnungsvoll die Entwicklung des Irak insgesamt ist, so groß sind die bestehenden Herausforderungen und so wichtig eine weitere Konsolidierung der erzielten Erfolge. Der IS ist geschwächt, aber nicht verschwunden. Die global operierende Organisation ist im Kern irakisch geprägt und verfügt nach wie vor über Zellen im Land, die aus dem Untergrund agieren. Ende August wurde ein Soldat der französischen Spezialkräfte bei einer Anti-Terror-Operation von IS-Kämpfern im Irak erschossen. Klar ist: Schwindet der militärische Druck auf den IS, so kann er wieder erstarken. Der Kampf gegen den internationalen Terror geht also ungeachtet des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine weiter. Der Irak wird dabei in Zukunft wohl das einzige verbliebene Land sein, in dem die Bundeswehr einen wirkungsvollen Beitrag zur Bekämpfung des IS leisten kann.
So richtig der zunehmende Fokus Deutschlands auf der Bündnisverteidigung in der östlichen Nachbarschaft auch ist, so fatal wäre es, die südliche Flanke der NATO aus dem Blick zu verlieren. Die Lage im Nahen und Mittleren Osten ist eng mit Europa verbunden, Entwicklungen vor Ort haben direkte Auswirkungen für das Leben in unserem Land. Dem Irak kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als drittgrößtes Land der arabischen Welt mit einer Bevölkerung von 40 Millionen Einwohnern kann das Land Risikofaktor oder Stabilitätsanker sein. Die Ertüchtigung der Sicherheitskräfte im Irak stellt eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des Landes dar. Es ist deshalb im Interesse Deutschlands, den Bundeswehreinsatz vor Ort zu verlängern.
Lucas Lamberty ist Leiter des Auslandsbüros Irak der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Bagdad.
Quelle: ntv.de