Politik

Geschlampt und protestiert Die Ära Kurz beginnt mit Hindernissen

Bundespräsident van der Bellen ernennt das neue Kabinett.

Bundespräsident van der Bellen ernennt das neue Kabinett.

(Foto: picture alliance / Roland Schlag)

Draußen auf dem Heldenplatz schirmt die Polizei die Demonstranten von der Präsidentschaftskanzlei ab. Drinnen verpatzt der zerstreute Professor Alexander van der Bellen fast die Vereidigung - es ist ein ereignisreicher Start für Österreichs neuen Kanzler Kurz. Vor allem sein Koalitionspartner sorgt für Proteste.

Da stehen sie also, alle Wasserwerfer der Republik Österreich, postiert vor dem Reiterdenkmal von Erzherzog Karl am Heldenplatz in der Hauptstadt Wien. Genau genommen sind es nur zwei, und trotzdem sind sie eine unverhohlene Drohung in Richtung der 6000 Demonstranten - keiner von ihnen dürfte große Lust auf eine unfreiwillige Dusche verspüren, nicht an diesem frostigen Montagmorgen auf dem schattigen Platz zwischen Neuer Burg und Präsidentschaftskanzlei.

Es ist kurz vor 11 Uhr, gerade hat es ein wenig geknallt, vermummte Demonstranten warfen Eier, Tomaten und Knaller. Noch immer qualmt es, irgendjemand hat ein Feuerchen gelegt, um das sich vor allem Menschen mit Kameras scharen. "Nichts Ungewöhnliches", sagt eine Polizeisprecherin. Der Zeitplan hält: Gleich wird Sebastian Kurz als jüngster Kanzler in der Geschichte Österreichs vereidigt - und mit ihm seine umstrittene Regierung aus ÖVP und der Rechtsaußen-Partei FPÖ.

Neun Demonstrationen hatten Regierungsgegner angemeldet, aus allen Himmelsrichtungen marschierten sie zum Heldenplatz - über den Ring, eine der wichtigsten Verkehrsadern der Stadt, die stundenlang blockiert war. Ihr Ziel erreichten sie nicht: Sie wollten die "Ballhausplatzroute" lahmlegen, wie sie den 30 Meter langen Fußweg zwischen Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei in Anspielung auf die Balkanroute nannten, deren Schließung sich Sebastian Kurz so gerne rühmt.

Die erste schwarz-blaue Koalition unter Wolfgang Schüssel musste 2000 noch einen Schleichweg durch einen unterirdischen Tunnel zwischen den Gebäuden nehmen. Heute errichteten insgesamt 1500 Polizisten eine Sperrzone um weite Teile der Hofburg. Demo-Organisator David Albrich von der "Linkswende" verbucht den Protest dennoch als Erfolg: "Es sind viel mehr Leute gekommen, als wir dachten. Und viele davon waren schon lange nicht mehr dabei."

Sorge vor "Schwarz-Braun"

So wie Anneliese Weichart aus Wiener Neustadt, die von ihrer Schwester begleitet wird. Beide gehören hier zur Minderheit der Ü50-Fraktion, um sie herum trillern Schüler und Studenten auf ihren Pfeifen. "Das macht mir Hoffnung für die Zukunft", sagt Weichart. Sie fürchtet vor allem vor Sozialabbau und einem Überwachungsstaats unter Schwarz-Blau, das sie lieber "Schwarz-Braun" nennt: "Es ist schlimm, wie viele Burschenschafter für die FPÖ im Parlament sitzen."

Wenige Meter von Weichart entfernt hält ein junger Mann ein Schild mit einem Monty-Python-Verweis in die Höhe, "Burschis eunt domus", steht darauf geschrieben. Ein anderes Plakat macht sich über Studienabbrecher Sebastian Kurz lustig, der als Kanzler wieder Studiengebühren einführen will: "Du studier' erstmal zuende, Basti!". Anneliese Weichart hält den jungen Kanzler für einen "karrieregeilen Menschen, dem alles Recht ist". Auch ein Koalitionspartner vom rechten Rand.

Viele, die heute demonstrierten, hatten ihre Hoffnungen auf Alexander van der Bellen gerichtet, den grünen Bundespräsidenten, der vor einem Jahr die Stichwahl gegen den FPÖ-Burschenschaftler Norbert Hofer gewonnen hatte. Der 73-Jährige trat sein Amt damals mit einem Spaziergang vom Parlament durch den Volksgarten bis in die gegenüberliegende Präsidentschaftskanzlei an, beklatscht und umjubelt von seinen Unterstützern. Sie feierten einen Sieg gegen den Rechtsruck in Österreich. Doch heute protestiert van der Bellen nicht Seite an Seite mit den Demonstranten gegen die neue Regierung, er vereidigt sie, keine 100 Meter vom Absperrgitter entfernt.

Kurz mit ernster Miene

Leicht gemacht hat es der Bundespräsident dem neuen Kanzler nicht, so viel ist durchgedrungen aus den ansonsten recht geräuscharmen Verhandlungen der vergangenen Wochen. Immer wieder sprach van der Bellen mit Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache über Inhalte und Zuschnitt der schwarz-blauen Regierung. Dem Vernehmen nach hat van der Bellen einige Begrenzungspfeiler eingezogen: Gegen zwei Ministerkandidaten der FPÖ legte er sein Veto ein. Außerdem erreichte er, dass die EU-Agenden aus dem FPÖ-geführten Außenministerium ins Kanzleramt wandern.

Van der Bellen "vergisst" Strache ins Amt zu heben.

Van der Bellen "vergisst" Strache ins Amt zu heben.

(Foto: picture alliance / Robert Jaeger)

Auch der ursprüngliche Plan, sowohl Innen- als auch Justizministerium in die Hand der FPÖ zu legen, scheiterte wohl an seinem Einspruch. Dafür führen die Rechtsaußen nun das Innen- und das Verteidigungsministerium. Alle uniformierten Kräfte und alle Geheimdienste in der Hand einer Partei, die teils enge Kontakte zu Rechtsradikalen pflegt, die wiederum vom Verfassungsschutz beobachtet werden - ein Horrorszenario, nicht nur für die Menschen, die am Heldenplatz demonstrieren.

Bei der "Angelobung", wie die Vereidigung in Österreich offiziell heißt, lässt van der Bellen fast alle kritischen Punkte außen vor. Während Sebastian Kurz mit ernster Miene vor der roten Tapete im Maria-Theresien-Zimmer posiert, verliest der Präsident in seinem typisch gemächlichen Sprechtempo ein paar mahnende, aber auch freundliche Worte. "Ich verrate kein Geheimnis, wir haben doch eine unterschiedliche politische Herkunft", sagt der Grüne. Vizekanzler Heinz-Christian Strache, Rücken fest durchgedrückt, lächelt. "Ich habe sie als kooperativ und lösungsorientiert erlebt. So muss eine Regierung arbeiten." Vor allem müsse sie eine Regierung für alle Österreicher sein, mehr noch, eine für alle Menschen, die in Österreich leben - und sie müsse immer Respekt vor Andersdenkenden und Minderheiten zeigen.

Für staatstragende Zeremonien ist van der Bellen allerdings nicht gemacht, und so umgeht er einfach eine Tradition, die unerlässlich erscheint für ein Land, in dem ein Hofrat noch etwas gilt: Er lässt bei der Anrede der Regierungsmitglieder die Titel weg. "Das ist mir zu umständlich."

Die schnodderige Art des zerstreuten Ex-Professors hat jedoch fast ernsthafte Konsequenzen: Nachdem er Sebastian Kurz angelobt hat, dessen Gesichtszüge sich beim Händedruck erstmals entspannen, übergeht der Präsident Vizekanzler Heinz-Christian Strache. Erst auf nachdrücklichen Hinweis holt van der Bellen den in der Verfassung zwingend vorgeschriebenen Ablauf nach, kurz vergräbt er seinen Kopf in seinen Händen. "Alles Gute", wünscht er dann noch grinsend, "und nicht zu viel Stress." Wünsche, denen sich die Demonstranten draußen sicher nicht anschließen.

Quelle: ntv.de

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