Diskussion über Klimaprotest "Die Forderungen sind eher lau"
27.04.2023, 04:02 Uhr Artikel anhören
Hinrichs ist genervt von den "immer gleichen Fragen", Amthor von der Letzten Generation.
(Foto: WDR/Dirk Borm)
Ihre Ansichten können unterschiedlicher kaum sein. Am Mittwochabend treffen sie in der ARD-Sendung "Maischberger" aufeinander: Klimaaktivistin Carla Hinrichs und CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor. In der Diskussion haben beide wenig Erfolg, das Publikum vor Ort auf ihre Seite zu ziehen. Dennoch liefern sie sich eine interessante Diskussion.
Sie sind fast gleich alt. Beide haben Jura studiert. Und sie haben völlig unterschiedliche Ansichten: Klimaaktivistin Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation, und der Innenpolitiker Philipp Amthor von der CDU, der selbst in seiner Partei als konservativ gilt. Ihre gegensätzlichen Meinungen prallen am Mittwochabend voll aufeinander, als sie sich bei "Maischberger" in der ARD über die aktuellen Klimaproteste streiten. Die neue Generation kämpft auf ihre Weise für die Rettung der Menschheit, und auch Amthor sagt: "Die Bewahrung der Schöpfung ist ein Grundanliegen der CDU." Dennoch kritisiert er die Maßnahmen der Letzten Generation: "Diese radikalisierte Form des Protestes muss auf Ablehnung stoßen." In den Protesten der Klimakleber sieht er "permanente Grenzüberschreitungen", und die lehnt er ab.
"Unsere Aktionen nerven"
Hinrichs sagt: "Es ist kein Geheimnis, dass unser Protest nervt und stört." Trotzdem sei er angemessen, denn die Bundesregierung habe keinen Plan, Deutschland aus der größten vorstellbaren Katastrophe herauszuführen. Die Aktionen könnten beendet werden, wenn die Regierung das Klima angemessen schützen würde. Sie appelliert auch an Amthor direkt: "Sie sitzen im Bundestag. Sie haben die Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass endlich etwas geschieht. Mir ist bewusst, dass ich mit meinen Protesten eine Grenze überschreite und dass das ein Straftatbestand sein kann." Trotzdem ist sie sicher: Ihr Verhalten sei gerechtfertigt, weil wir uns in einem Klimanotstand befänden.
"Das sehen die Gerichte anders", wirft Amthor ein. Es sei in Ordnung, wenn sie verurteilt werde, antwortet Hinrichs - und führt aus: "Meine Freundin wurde in Berlin zu vier Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Für sie ist das okay, denn für jeden Menschen, der in einer Zelle sitzt, werden sich fünf Menschen dem Widerstand anschließen, weil sie verstehen, dass es um das Überleben geht." Das Zeitfenster, in dem das Klima gerettet werden könne, sei sehr klein. Darum sei friedlicher ziviler Widerstand das, was Deutschland jetzt brauche.
Laut einer Umfrage sehen das etwa 80 Prozent der Bundesbürger anders. Einer von ihnen ist Philipp Amthor. Er spricht von "Selbstermächtigung" und wehrt sich gegen die Aussage der Klimaaktivisten, die Bundesregierung stehe nicht auf dem Boden der Verfassung: "Ich habe den Eindruck, in der Frage, wie wir mit der Situation umgehen, verhält sich die Regierung eher verfassungsgemäß als Ihr gesamter Protest." Klimawandel könne man zum Beispiel durch Forschung und Innovationen besser bekämpfen als durch die Proteste der Klimaaktivisten.
"Es gibt Wissenschaftler*innen, die unsere Proteste unterstützen", entgegnet Hinrichs. Und manche von ihnen setzten sich sogar auf die Straße und klebten sich fest, weil sie nicht daran glaubten, auf andere Weise Gehör zu finden.
Nach Ansicht von Amthor ist diese Form des Protests Gewalt. Die bestehe darin, dass die Aktivisten Menschen in ihrer Freiheit einschränkten. "Ich finde, über eine Sitzblockade kann man reden. Das ist auch in der Rechtsprechung erlaubt. Wenn eine Sitzblockade zu einer radikalen Straßenblockade wird, die dazu führt, dass Rettungsfahrzeuge nicht mehr in den Einsatz kommen, dann ist das ein illegitimer Protest, der auch strafrechtlich beantwortet werden muss." Amthor fordert, dass die Grenzen zwischen legitimem und illegitimem Protest stärker abgebildet werden müssten. "Die Richter machen das sehr präzise. Und auf die sollten wir hören, und nicht auf die Verklärung dieses immer weiter radikalisierten Protestes."
Kritik an Bürgerrat
Gleichzeitig kritisiert er die Hauptforderungen der Letzten Generation: Neun-Euro-Ticket, Tempo 100 auf der Autobahn, Bildung eines Bürgerrats. "Die Proteste sind radikal, die Forderungen aber eher lau", sagt Amthor. Besonders ärgert er sich über die Forderung eines Gesellschaftsrats, über dessen Mitglieder per Los entschieden werden soll. Amthor nennt das "Delegitimierung des Parlaments". "Wir haben in Deutschland eine Volkssouveränität und keine Los-Souveränität", sagt er. "Ihr Denken zeigt, sie wollen eigentlich ein anderes System, eine Art Ökosozialismus. Und das ist mit uns nicht zu machen." Das Publikum vor Ort reagiert mit Schweigen.
Nun wird Hinrichs richtig wütend. "Ich kann es nicht fassen, ich weiß nicht, was ich in einer solchen Diskussionsrunde noch zu suchen habe. Da sitzt einer aus dem Parlament, der mir nicht sagen kann, wo der Plan ist …" ("Sie haben mich auch nicht gefragt", fährt Amthor dazwischen). "Und eine Moderatorin, die mir immer die gleichen Fragen stellt. Aber wir haben auch ein Publikum, das ich fragen kann: Was würden Sie tun, wenn Sie davon hören, dass 3,5 Milliarden Menschen gerade in Gebieten wohnen, wo sie bald nicht mehr leben können, weil es da zu heiß ist, und wenn wir uns in Deutschland bald um Lebensmittel streiten müssen, und wenn Sie wüssten, dass Sie nur noch ein kleines Zeitfenster haben?" Das Publikum schweigt.
Wenigstens am Ende der Diskussion gibt es höflichen Applaus - und die Erkenntnis, dass keiner der beiden Protagonisten das Publikum überzeugen kann. Das liegt vielleicht daran, dass die Sendung aus Köln kommt. In Berlin hätten die Gäste der Sendung womöglich anders reagiert - falls sie das Studio erreicht hätten.
Quelle: ntv.de