Mehrere Brückenköpfe am Oskil Wo Ukrainer zur nächsten Offensive ansetzen
26.09.2022, 09:54 Uhr (aktualisiert)
Russische Schützenpanzer, am Siwerskyj Donez gescheitert: Im Krieg in der Ukraine haben Flüsse strategische Bedeutung.
(Foto: picture alliance / Vudi Xhymshiti/VX)
Putins Invasionsarmee befindet sich in der Ukraine in der Defensive: Ukrainische Truppen haben nicht nur den Oskil überschritten. Kiew kontrolliert an diesem Frontabschnitt auch gleich mehrere starke Brückenköpfe.
Die Fronten im Ukraine-Krieg bleiben in Bewegung: Nach den überraschend umfangreichen Erfolgen der September-Offensive zur Befreiung der Region Charkiw haben ukrainische Verbände in den vergangenen Tagen nicht nur die strategisch bedeutsame Stadt Kupjansk befreit und mehrere Übergänge über den Fluss Oskil gesichert, sondern zugleich auch an mindestens drei Stellen die breiteren Flussniederungen des Siwerskyj Donez überschritten.
Für den weiteren Kriegsverlauf sind die ukrainischen Vorstöße im Osten des Landes von enormer Bedeutung. Die beiden Flusstäler bilden natürliche Barrieren, die sich hier von Nord nach Süd und von West nach Ost durch die Ukraine ziehen. Die Flussniederungen bilden Hindernisse und Engstellen für Angreifer und Verteidiger. Schon vor dem Krieg führten hier nur wenige Straßenverbindungen von Charkiw nach Osten und vom Donbass nach Norden. Ein Blick auf die Karte zeigt die aktuelle militärische Situation im Osten der Ukraine:
Die ukrainischen Brückenköpfe am linken, östlichen Ufer des Oskil verschaffen den Ukrainern hervorragende Ausgangsstellungen für das weitere Vorgehen. Die ukrainischen Angriffe bedrohen die russische Armee im Donbass von dort aus in der Flanke. Übereinstimmenden Berichten zufolge stehen ukrainische Einheiten zumindest bei Kupjansk bereits jenseits des Oskil. Einzelne westliche Militärexperten halten es zudem für möglich, dass die Ukrainer auch weiter nördlich bei Dworitschna und weiter südlich bei Borawa über den Oskil vorgedrungen sind.
Der Fluss Oskil zieht sich von der russischen Grenze im Norden kommend wie ein breiter Riegel durch eine teils dicht bewaldete Hügellandschaft nach Süden. Leicht zu überqueren ist der Fluss an keiner Stelle. Schon vor dem Krieg führten hier nur wenige Straßenverbindungen von West nach Osten. Einzelne Brücken wurden von den Ukrainern schon zu Kriegsbeginn gesprengt, um die angreifenden Russen aufzuhalten. Andere Querungen fielen den Gefechten der letzten Tage zum Opfer.
Die Flussläufe zwingen Nachschubkolonnen und schweres Kriegsgerät zu größeren Umwegen. Für den Einsatz von Ponton-Brücken scheint der Unterlauf des Oskil wenig geeignet: Der Damm eines Wasserkraftwerks staut den Fluss ab Kupjansk über eine Strecke von gut 60 Kilometern zu einem breiten See auf. Und unterhalb des Staudamms bei der gleichnamigen Ortschaft Oskil sind es nur noch wenige Kilometer bis zur Einmündung in den Siwerskyj Donez. Dieser Strom ist für beide Seiten offenbar leichter zu überwinden.
Hier kam es in den vergangenen Tagen dem Vernehmen nach zu größeren Kampfhandlungen: Ukrainische Einheiten konnten dabei zuletzt mehrere Ortschaften am anderen Flussufer nahe Lyman zurückerobern, darunter auch Studenok, Sosowe, Swjatohirsk und Oserne - jener Ort, der zuletzt durch ein russisches Flächenbombardement mit Brandmitteln bekannt wurde. Um die Stadt Lyman selbst wird offenbar weiter gekämpft.
Der genaue Frontverlauf bleibt unklar, die genaue militärische Lage vor Ort ist unübersichtlich. Der Generalstab in Kiew und die politische Führung der Ukraine halten sich aus naheliegenden Gründen weiter bedeckt. Details zum ukrainischen Vorgehen lassen sich weiterhin nur indirekt aus überprüfbarem Bild- und Videomaterial sowie aus den Verlautbarungen beider Seiten ableiten.
Offenkundig ist, dass das russische Militär zuletzt weitere Rückschläge hinnehmen musste: Im Bogen an der Donbass-Front gelang es ukrainischen Kräften, bei Bilohoriwka auf die nördliche Uferseite des Siwerskyj Donez vorzudringen. Sollte es den Ukrainern gelingen, diesen Brückenkopf auszuweiten, könnten künftige ukrainische Vorstöße tief ins Hinterland der Region Luhansk zielen.
Die angekündigte Teilmobilmachung in Russland dürfte die militärische Lage kurzfristig kaum beeinflussen. Die ukrainische Seite hält derzeit mehrere Schlüsselpositionen, um die September-Offensive fortzusetzen. Entsprechend zuversichtlich reagierte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die Ankündigungen aus Moskau. "Wir verteidigen die Ukraine, wir befreien unser Land, und wir zeigen vor allem keinerlei Schwäche", sagte er.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 21. September 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de