Gregor Gysi im Frühstart "Die Linke ist in einer existenziellen Krise"
21.02.2024, 11:03 Uhr Artikel anhören
Von Zerfall möchte er nicht sprechen, aber seine Partei befinde sich in einer existenziellen Krise: Linken-Ikone Gregor Gysi beobachtet die Entwicklung seiner Partei mit Sorge. Sahra Wagenknecht nimmt er übel, ihr Mandat mitgenommen zu haben. Besonders erfolgreich sei sie selbst im Wahlkampf nicht gewesen.
Linken-Politiker Gregor Gysi blickt mit Sorge auf seine Partei. "Die Linke ist im Augenblick in einer existenziellen Krise. Aber von Zerfall würde ich nicht sprechen, weil ich sage: Wir können uns auch wieder aufraffen. Denn es ist für alle eine Verarmung, wenn linke Argumente und linke Diskussionen in der Gesellschaft und im Bundestag nicht mehr stattfinden", so der 76-Jährige im ntv Frühstart. Und weiter: "Ohne uns wäre Scholz der Linkeste im Bundestag." Die Linke müsse sich auf fünf Fragen konzentrieren: "Reale Friedenspolitik, deutlich mehr soziale Gerechtigkeit einschließlich Steuergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, immer in sozialer Verantwortung, Gleichstellung von Frau und Mann und Gleichstellung von Ost und West", so Gysi weiter.
Den neuen Vorsitzenden der Linke-Gruppe im Bundestag, Sören Pellmann und Heidi Reichinnek, traut er zu, ihre Arbeit "gut" zu machen. "Wir übergeben an die nächste Generation. Gleichzeitig bleiben wir Alten aber dabei und versuchen zu helfen und die Probleme innerhalb der Gruppe und vor allen Dingen innerhalb der Partei zu lösen." Ob er selbst wieder bei der nächsten Bundestagswahl kandidieren wird, mochte er nicht verraten. "Kann ich Ihnen heute noch nicht sagen. Wir stehen erst mal vor dem Bundesverfassungsgericht wegen eines neu beschlossenen Wahlrechtes, das überhaupt nicht geht. Die haben ja faktisch die Direktmandate auch abgeschafft in gewisser Hinsicht."
Seiner ehemaligen Parteigenossin Sahra Wagenknecht wirft Gysi vor, dass sie nach der Gründung ihrer Partei "Bündnis Sahra Wagenknecht" ihr für die Linke gewonnenes Mandat nicht abgegeben hat. "Was ich ihr übelnehme, ist eine Sache, dass sie die Mandate mitgenommen hat. Denn sie kann nicht begründen, dass sie so besonders hervorragend im Wahlkampf war. Sie hat prozentual in NRW mehr verloren, als wir im Osten verloren haben, in Hamburg und Bremen verloren haben", so Gysi.
Gysi glaubt nicht an Wagenknecht-Erfolg
Die Linke habe den Wahlkampf bezahlt, insofern hätte er es als anständig empfunden, wenn diejenigen, die die Partei verlassen, auch ihre Mandate abgeben, damit die Linke nicht ihren Fraktionsstatus verliert. Gysi geht nach eigenem Bekunden nicht davon aus, dass Wagenknecht Erfolg haben wird. "Sie macht Flüchtlingspolitik wie die AfD, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik wie die Linken. Und das funktioniert nicht. Am Anfang addiert sich das und nachher verliert man."
Den Osten Deutschlands will Gysi erklärtermaßen nicht der AfD überlassen. "Ja, wir müssen den Osten wieder deutlich stärker in unseren Fokus nehmen. Das werden wir auch tun", so der Linke-Politiker. "Das Ganze ist für mich eine wirkliche Gefahr auch für die Demokratie und die Freiheit. Und da müssten sich demokratische Kräfte von der CSU bis zur Linken mal zusammensetzen und sich überlegen, was man ändern muss, damit die etablierte Politik wieder mehr Achtung findet."
Quelle: ntv.de, cwi