Politik

Proteste in China nehmen zu Die Wut auf Null-Covid ist nur der Anfang

Mit weißen Blättern in den Händen bringen die Protestierenden ihre Unzufriedenheit mit der Führung der Kommunistischen Partei Chinas zum Ausdruck

Mit weißen Blättern in den Händen bringen die Protestierenden ihre Unzufriedenheit mit der Führung der Kommunistischen Partei Chinas zum Ausdruck

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Ausgelöst durch ein Feuer im Lockdown wachsen in China die Proteste gegen die strenge Null-Covid-Politik des Landes. Doch hinter der Wut der Bürger steckt viel mehr: Vielerorts erheben sich Stimmen gegen das gesamte politische System. Für die Leute sei der "Siedepunkt erreicht", meint ein Experte.

Die Frustration über die unerbittliche Null-Covid-Politik Pekings hat die Demonstranten auf die Straße getrieben, doch der ungewöhnlich breite Protest offenbart auch eine tiefe Unzufriedenheit mit dem politischen System. "Das Faszinierende an diesen Protesten ist, dass sich der Fokus vom Covid-Lockdown schnell hin zu größeren politischen Themen verschob", schreibt die US-Politikwissenschaftlerin Maria Repnikova auf Twitter.

Auslöser für die Demonstrationen in vielen chinesischen Städten am Wochenende war ein tödlicher Wohnhausbrand in Urumqi im Nordwesten. Die Abriegelung wegen Corona habe die Rettung der Bewohner behindert, lautet der Vorwurf. Seit Monaten leiden die Chinesen unter unerträglich langen Lockdowns und ständigen Massentests.

Diejenigen, die sich vom Kongress der Kommunistischen Partei im Oktober eine Lockerung der Null-Covid-Strategie erhofft hatten, wurden enttäuscht. Im Gegenteil: Die Maßnahmen wurden seither verschärft. Das hat den Zorn in der Bevölkerung angeheizt. "Für die Leute ist der Siedepunkt erreicht, weil es keinen klaren Weg gibt, die Null-Covid-Politik zu beenden", sagt Alfred Wu Muluan, ein Experte für chinesische Politik an der National University of Singapore (NUS). "Die Menschen sehen sich gezwungen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen", analysiert Yasheng Huang vom Massachusetts Institute of Technology auf Twitter.

"Xi Jinping, tritt zurück!"

Bald waren neben den Forderungen nach einem Ende der strikten Pandemie-Politik auch Rufe nach einem politischen Wandel zu hören. "Xi Jinping, tritt zurück! Nieder mit der Kommunistischen Partei", skandierten einige Demonstranten in Shanghai und griffen damit den Staats- und Parteichef direkt an. Studierende der Pekinger Eliteuniversität Tsinghua verlangten "Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit". "Freiheit der Kunst" und "Freiheit zu schreiben" forderten andere Protestierende am Sonntagabend in Peking. Überall in China hielten die Demonstranten leere Blätter hoch - ein Symbol für die Zensur.

"Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in den letzten zwei Jahrzehnten öffentliche Proteste gab, die direkt die Pressefreiheit forderten", twitterte Politikwissenschaftlerin Repnikova. Die Demonstranten organisierten sich über das Internet und versuchten mit kreativen Tricks, die Zensur zu überlisten. "Sie sind sehr jung, und die Wut von unten ist sehr, sehr stark", sagt China-Experte Wu.

Zentralregierung im Visier der Proteste

Was die Parteiführung besonders erschrecken dürfte, ist der Zorn der Demonstranten auf die Führungsriege. Das weckt Erinnerungen an die pro-demokratischen Massenkundgebungen 1989, die brutal niedergeschlagen wurden. "Sowohl vom Ausmaß als auch von der Intensität her ist dies der größte Protest junger Menschen in China seit der Studentenbewegung von 1989", sagt der Politologe Willy Wo-Lap Lam. "1989 waren die Studenten sehr vorsichtig, die Parteiführung nicht namentlich anzugreifen. Diesmal haben sie sich sehr konkret geäußert und einen Wechsel in der Führung gefordert."

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Die Breite des Protests - von Eliteuniversitäten in Peking bis hin zu zentralchinesischen Städten wie Wuhan und Chengdu - findet Lam bemerkenswert. Auch in der Vergangenheit gab es vereinzelte Demonstrationen in der Volksrepublik, die sich jedoch gegen lokale Missstände richteten. "Bei diesen Protesten wird nun die Zentralregierung ins Visier genommen, weil die Menschen verstehen, dass Null-Covid eine zentrale Politik ist", sagt Mary Gallagher, die Leiterin des Zentrums für Chinastudien an der Universität Michigan.

Wie Peking auf den Protest reagieren wird, ist unklar. Am Montagabend verhinderte ein großes Polizeiaufgebot bereits weitere Demonstrationen in Peking und Shanghai, die Internetzensur wurde verschärft. Peter Frankopan, Geschichtsprofessor an der Universität Oxford, bezeichnet die Rolle der Polizei als heikel. "Es wird beträchtliche Sympathien für die Demonstranten geben, insbesondere bei jüngeren Beamten. Ein Befehl zum harten Durchgreifen birgt also auch Risiken", sagt er. Die Führung werde wahrscheinlich gezwungen sein, sich öffentlich mit den Unruhen auseinanderzusetzen. "Xi oder andere hochrangige Politiker werden sich früher oder später äußern müssen", sagt der Politologe Lam. Frankopan rechnet nicht mit einem schnellen Ende des Protests: "Ich habe den Eindruck, dass die Unzufriedenheit eher größer als kleiner wird."

Quelle: ntv.de, lno/AFP

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