"Füchse im Hühnerstall" Die Zahnlosigkeit des UN-Sicherheitsrats
25.02.2022, 07:39 Uhr
Die Weltgemeinschaft versucht auf Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja einzuwirken - doch da hat der Angriff auf die Ukraine schon begonnen.
(Foto: imago images/UPI Photo)
Während der UN-Sicherheitsrat versucht, einen Krieg gegen die Ukraine zu verhindern, schickt Russlands Präsident Putin ungerührt seine Truppen los. Das zentrale Gremium der UNO hat wegen des Veto-Rechts einzelner Mitglieder keinen nennenswerten Einfluss. Viele drängen daher auf eine Reform.
Die Machtlosigkeit des UN-Sicherheitsrates ist selten so deutlich geworden wie in der Ukraine-Krise. Just während einer Dringlichkeitssitzung des wichtigsten Gremiums der Vereinten Nationen zu dem Konflikt verkündete Russlands Staatschef Wladimir Putin den Beginn der Militäroffensive gegen das Nachbarland. Und jeder Versuch, Moskau durch den Sicherheitsrat zur Rechenschaft zu ziehen, wird unweigerlich scheitern: Als Veto-Macht kann Russland jede kritische Resolution verhindern.
Die Sicherheitsratssitzung am Mittwochabend New Yorker Zeit dürfte in die Geschichtsbücher eingehen. UN-Generalsekretär António Guterres flehte Putin zu Beginn des Treffens angesichts wachsender Anzeichen für eine bevorstehende Invasion förmlich an, die Ukraine nicht zu attackieren: "Präsident Putin, stoppen Sie Ihre Truppen, die Ukraine anzugreifen. Geben Sie dem Frieden eine Chance. Zu viele Menschen sind bereits gestorben."
Im 7500 Kilometer entfernten Moskau trat Putin dann aber ungerührt vor die Kameras und verkündete den Beginn einer "Militäroperation" in der Ukraine. Kurz danach begannen die Angriffe. In der laufenden Sitzung des UN-Sicherheitsrats, der für Frieden und Sicherheit in der Welt sorgen soll, kam es daraufhin zu heftigen Wortgefechten. Der ukrainische Botschafter Sergej Kyslyzja rief dem russischen Vertreter Wassili Nebensia zu: "Für Kriegsverbrecher gibt es kein Fegefeuer. Sie fahren direkt zur Hölle, Botschafter."
Doch egal, welche Strafen im Jenseits warten mögen - auf Erden hat Russland durch die Vereinten Nationen nichts zu befürchten. Die Charta der UNO sieht keinen Ausschluss von Mitgliedern vor, die einen Krieg anzetteln. Und der UN-Sicherheitsrat kann zwar als zentrales Organ der Vereinten Nationen - anders als die UN-Vollversammlung - bindende Beschlüsse fassen und damit auch Sanktionen verhängen. Doch Russland hat wie die vier anderen ständigen Sicherheitsratsmitglieder China, Frankreich, Großbritannien und die USA ein Veto-Recht.
"Gelähmt wie während des Kalten Kriegs"
Jeder Versuch, die Regierung in Moskau zur Rechenschaft zu ziehen oder auch nur zu rügen, ist damit zum Scheitern verurteilt. Die USA und Albanien wollen den russischen Angriff auf die Ukraine zwar durch eine Sicherheitsrats-Resolution verurteilen lassen, die Abstimmung ist für Freitag geplant. Russland kann dann aber ganz einfach "njet" sagen.
Kritik am Sicherheitsrat, seiner Struktur und Funktionsweise gibt es schon seit Langem. Länder wie Deutschland drängen seit Jahren vergeblich zu Reformen. Das Veto-Recht der ständigen Mitglieder gilt ohnehin als unantastbar. Deswegen sind dem Sicherheitsrat die Hände gebunden, wenn eines seiner ständigen Mitglieder der "Aggressor" ist, wie es US-Präsident Joe Biden in der Ukraine-Krise über Russland sagt.
"Es ist im Grunde wie wenn Füchse den Hühnerstall bewachen", seufzt die Politikwissenschaftlerin Pamela Chasek vom Manhattan College in New York. "Wegen Russlands Veto-Macht kann der Sicherheitsrat keine Resolution verabschieden, die die russische Invasion der Ukraine verurteilt, Sanktionen erlaubt oder eine militärische Antwort androht. Der Sicherheitsrat ist wieder gelähmt wie während des Kalten Krieges."
"Es war nie der Sicherheitsrat, der diese Krise lösen würde", sagt auch Richard Gowan von der Denkfabrik International Crisis Group nüchtern. "Das liegt an Russlands Veto-Macht und an der ganz einfachen Tatsache, dass Präsident Putin eindeutig auf die internationale Meinung oder Diplomatie pfeift." Derzeit sei der Sicherheitsrat nichts anderes als "ein Theater, in dem der Westen und Russland sich gegenseitig anschreien können".
Quelle: ntv.de, Philippe Rater und Peter Hutchison, AFP