Politik

Rote Linie gezogen Biden: "Niemand will einen Atomkrieg"

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Die Haltung der USA, und damit auch der NATO, ist klar: nur keinen direkten bewaffneten Konflikt mit russischen Truppen riskieren. Doch niemand weiß, was noch kommt.

Der Krieg ist zurück in Europa, Russland ist in die Ukraine einmarschiert. In der direkten Nachbarschaft der NATO und der EU schalteten die Truppen die ukrainische Luftabwehr aus, Panzer rollten über die Grenzen, seit der Nacht wird gekämpft. "Putin hat sich für diesen Krieg entschieden, nun werden er und sein Land die Konsequenzen tragen müssen", sagte US-Präsident Joe Biden.

Doch damit der Krieg sich nicht über die Landesgrenzen der Ukraine ausbreitet und es nicht zu einem größeren bewaffneten Konflikt kommt, haben die USA als größtes und wichtigstes Mitgliedsland der transatlantischen Militärallianz ihr Engagement klar umrissen und eindeutige rote Linien gezogen. Das Wichtigste: Die Vereinigten Staaten werden keine Truppen in die Ukraine schicken, eine militärische Eskalation wollen sie unbedingt verhindern.

Biden kündigte Sanktionen an, die er schon seit Wochen öffentlich androht und vorbereitet hatte. Aus Angst vor einer Konfrontation mit russischen Truppen werden die Vereinigten Staaten auch keine Evakuierungsmission für ihre Staatsbürger oder Diplomaten durchführen. Die Botschaft in Kiew schlossen die USA vergangene Woche, die Fahne ist eingeholt. "Wenn Amerikaner und Russen anfangen, aufeinander zu schießen, ist es ein Weltkrieg", sagte Biden vor einigen Wochen.

Es gibt zwar vereinzelte Kritik an der Haltung des Weißen Hauses, die es seit Monaten klar kommuniziert. Aber die Frage, ob Russland es gewagt hätte, in die Ukraine einzumarschieren, falls Biden die Option eines Militäreinsatzes offen gehalten hätte, ist nur hypothetisch. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, Putins Vorgehen habe bei der US-Regierung auch keinesfalls ein Umdenken ausgelöst. "Niemand will einen Atomkrieg mit Russland um die Ukraine riskieren."

Kurz vor dem russischen Großangriff, als Moskau die Separatistengebiete im Osten der Ukraine anerkannt hatte, dort einmarschiert war und erste Kampfhandlungen stattfanden, hatten verschiedene NATO-Staaten bereits erste Sanktionen angekündigt. Wieder hatte Biden seine Linie deutlich gemacht: "Dies sind reine Verteidigungshandlungen von unserer Seite. Wir haben keine Absicht, gegen Russland zu kämpfen", erklärte er. Lange hatte die US-Regierung öffentlich vor einem russischen Einmarsch in die Ukraine gewarnt.

US-Amerikaner wollen keinen Krieg

Bei der Landesverteidigung ist Kiew nun auf sich allein gestellt. Im Juli 2021 waren etwa 150 US-Soldaten in der Ukraine stationiert worden, sie trainierten und berieten das dortige Militär. Doch vergangene Woche zog das Pentagon sie ab. Auch dabei war das Risiko zu groß, dass sich amerikanische und russische Soldaten in einem bewaffneten Konflikt ins Auge blicken könnten.

Damit liegt Biden auf einer Linie mit der öffentlichen Meinung: Nur 33 Prozent der US-Amerikaner hielten es Anfang Februar für eine gute Idee, dass ihre Soldaten in der Ukraine helfen, und nur 13 Prozent, dass sie gegen die Russen kämpfen. Was für die USA gilt, gilt auch für die NATO: Eingeleitete Maßnahmen, wie etwa Truppenverlegungen in Europa sind laut Bündniserklärung "präventiv, verhältnismäßig und nicht eskalierend". Einen Einsatz hat die NATO ausgeschlossen.

Auf der anderen Seite des Konflikts ist die Entschlossenheit überdeutlich. Präsident Wladimir Putin warnte die USA und andere Staaten eindringlich davor, sich einzumischen, beschrieb sein Land als "eine der mächtigsten Atommächte der Welt", die über weitere modernste Waffen verfüge. Russland sei auf jegliche Situation vorbereitet.

Laut dem russischen UN-Botschafter habe Moskau nicht vor, die Ukraine zu besetzen. Im UN-Sicherheitsrat sprach der sichtlich aufgebrachte Gesandte der Ukraine den russischen Vertreter nach Beginn der Invasion jedoch direkt an: "Für Kriegsverbrecher gibt es kein Fegefeuer. Sie kommen auf direktem Wege in die Hölle, Herr Botschafter."

Sollte Russland in Zukunft über das Staatsgebiet der Ukraine hinaus mit seinem Militär in westlicher Richtung vordringen, wäre dies ein Verteidigungsfall der NATO. Die Bündnis- und EU-Mitglieder Estland und Lettland grenzen direkt an Russland an, Litauen an die russische Exklave Kaliningrad sowie die mit Moskau eng verbündete Regierung in Minsk. Ein Teil des russischen Angriffs auf die Ukraine wurde von Belarus aus geführt, das westlich an Polen angrenzt.

Kampf der Systeme

Neben der Angst vor einem Atomkrieg gibt es noch andere Gründe, warum die USA sich tunlichst heraushalten aus diesem Krieg: Sie haben weder ein offizielles Bündnis mit der Ukraine, noch berührt es direkt die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten. Sie betreiben dort auch keine Militärstützpunkte, und das Land hat als Handelspartner keine große Bedeutung. Zwar haben solche Umstände frühere US-Präsidenten nicht davon abgehalten, sich trotzdem militärisch einzumischen, etwa Barack Obama gegen den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi. Aber erstens ist Russland ein ganz anderes Kaliber. Und zweitens liegt es auch an Biden selbst.

Als Obamas Vizepräsident hatte sich Biden auch gegen den Einsatz in Libyen ausgesprochen. Die Begründung: Die USA haben dort kein geopolitisches Interesse. Er war zudem gegen die Erhöhung der Truppenkontingente in Afghanistan. Im vergangenen Jahr beendete Biden dann den Kriegseinsatz am Hindukusch. Der Abzug verlief chaotisch, weil die radikalislamischen Taliban das Land blitzartig zurückeroberten.

Im aktuellen Fall haben die USA sowohl tausende zusätzliche Soldaten in NATO-Staaten nahe der Ukraine entsandt, als auch Waffen und militärische Ausrüstung ins Land selbst. Was geschieht nun, falls amerikanische Staatsbürger in der Ukraine von russischen Soldaten getötet werden? Falls Moskau Cyberattacken als Vergeltung für die Sanktionen durchführt? Das russische Militär im wahrsten Sinne des Wortes über seine Ziele und in ein benachbartes NATO-Land hinausschießen? Würde dies Bidens klare Haltung verändern? Die Stimmung in der US-Bevölkerung?

Putin habe "viel größere Ziele als die Ukraine. Er will die frühere Sowjetunion wieder aufleben lassen", sagte Biden nach dem russischen Angriff. Der außenpolitische Orientierungspunkt des US-Präsidenten, das hat er mehrfach deutlich gemacht, ist die Verteidigung der demokratischen gegen die autokratischen Staaten. Dies ist der globale Kampf der Systeme im 21. Jahrhundert. Biden will ihn nicht verlieren.

Quelle: ntv.de

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