Belarus tritt an die Urnen Die letzte Diktatur Europas wählt
09.08.2020, 09:16 Uhr
Knapp sieben Millionen Menschen sind in Belarus zur Wahl aufgerufen. Insgesamt sind fünf Bewerber zugelassen.
(Foto: AP)
Präsident Lukaschenko regiert in Belarus seit nunmehr 26 Jahren. Eigentlich will er sich für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Doch in den vergangenen Wochen mobilisiert eine politische Newcomerin Tausende Menschen - und wird zur Hoffnungsträgerin für Lukaschenko-Gegner.
Überschattet von Protesten im Vorfeld der wichtigen Präsidentenwahl im autoritären Belarus stimmen die Menschen an diesem Sonntag über ihren Staatschef ab. Eigentlich will sich Präsident Alexander Lukaschenko nach 26 Jahren an der Macht für eine sechste Amtszeit bestätigen lassen. Doch mit der politischen Quereinsteigerin Swetlana Tichanowskaja hat die Opposition unerwartet Aufwind bekommen. Sie konnte im Vorfeld der Wahl bereits Tausende Menschen zu Kundgebungen mobilisieren. Mit ersten Prognosen wird nach der Schließung der letzten Wahllokale um 19:00 Uhr deutscher Zeit gerechnet. Insgesamt sind 6,8 Millionen Menschen zur Abstimmung aufgerufen.
Die Ex-Sowjetrepublik Belarus liegt traditionell im Spannungsfeld zwischen dem Westen und Russland. Das osteuropäische Land, das noch die Todesstrafe vollstreckt, gilt als letzte Diktatur Europas. Insgesamt stehen mit Lukaschenko fünf Kandidaten zur Auswahl.
In den vergangenen Wochen sorgte vor allem Tichanowskaja für internationale Schlagzeilen. Sie sprang spontan als Präsidentschaftskandidatin für ihren Ehemann ein, den bekannten Blogger Sergej Tichanowski. Er wurde vor Wochen festgenommen. Politisch ist die 37-Jährige bis dahin nicht in Erscheinung getreten. Sie arbeitete auch als Sekretärin und Übersetzerin und ist Mutter von zwei Kindern. Tichanowskaja wurde im Sommer unerwartet zur Wahl zugelassen und schloss daraufhin ein Bündnis mit zwei ausgeschlossenen Kandidaten.
Mit deren Unterstützung organisierte Tichanowskaja hochprofessionelle Auftritte bei Kundgebungen und veröffentlichte Videos in sozialen Plattformen. Sie selbst will bei einem möglichen Sieg Neuwahlen ansetzen und politische Gefangene freilassen. Lukaschenko redete ihre Erfolgschancen als "Hausfrau" und politischer Newcomer klein. In den Wochen vor der Wahl wurden immer wieder Proteste aufgelöst und Hunderte Aktivisten und Demonstranten festgenommen. Auch Tichanowskajas Wahlkampfleiterin Maria Moros wurde am Tag vor der Wahl auf offener Straße festgenommen.
Belarussische Menschenrechtler warnten zudem, dass die Behörden auch nach der Wahl bei möglichen Protesten brutal vorgehen könnten. "Wir fordern alle Teilnehmer bei möglichen Konfrontationen auf, Streitigkeiten nur durch Dialog und Verhandlung beizulegen." Behörden und auch Demonstranten sollten sich zurückhalten und keine Gewalt einsetzen, hieß es in einem Aufruf mehrerer Menschenrechtler.
Sorge über Unregelmäßigkeiten
Auch die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Polens äußerten sich besorgt über Unregelmäßigkeiten bei der vorzeitigen Stimmabgabe, die seit Dienstag möglich war. Beobachter warnten vor Wahlfälschungen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist diesmal nicht bei der Abstimmung dabei. Die OSZE hat nach eigenen Angaben seit 2001 bislang alle Wahlen in dem Land beobachtet. Nach der Präsidentenwahl vor fünf Jahren stellte die Organisation fest, dass Belarus noch einen "beträchtlichen Weg" vor sich habe, um alle OSZE-Standards für demokratische Wahlen einzuhalten. Die Wahlbeobachter sprachen von "ernsten Problemen".
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth solidarisierte sich vor der Wahl mit Tichanowskaja. Unterstützt wird die Belarussin von der Ehefrau des nicht zugelassenen Präsidentschaftskandidaten Waleri Zepkalo, der nach Russland geflüchtet ist. Und Maria Kolesnikowa, die am Samstagabend nach russischen Medienberichten "irrtümlich" für kurze Zeit festgesetzt wurde, leitete den Wahlkampfstab des ebenfalls nicht zugelassenen Bewerbers Viktor Babariko, der auch im Gefängnis sitzt.
Diese Zusammenarbeit zeige, "wie ein kooperativer, kreativer und feministischer Einsatz für die Demokratie gehen kann", schrieb Roth in einem Gastbeitrag für die "Bild am Sonntag". "In diesen Zeiten, da männliche Antidemokraten und Rechtsstaatsverächter rund um den Globus versuchen zu verteidigen, was ihnen nie gehört hat, sind die drei Belarussinnen eine mächtige feministische und demokratische Kampfansage - mit Herz, Faust und Victory-Zeichen!"
Quelle: ntv.de, jki/dpa