
Einst Geheimdienstler, jetzt Russlands Präsident: Wladimir Putin.
(Foto: via REUTERS)
Das Taurus-Leak ist für den Bundeskanzler und die Bundeswehr unangenehm. Doch mit der Veröffentlichung bezweckt Russland mehr, als Olaf Scholz und hohe Militärs zu blamieren.
Aus russischer Sicht ist die Veröffentlichung eines offensichtlich abgehörten Gesprächs hochrangiger deutscher Luftwaffen-Offiziere ein voller Erfolg. Intern und recht offen hatten sie über theoretische Möglichkeiten des Einsatzes deutscher Taurus-Marschflugkörper durch die Ukraine gesprochen. Wieso gelingt es dem Kreml, mit der Veröffentlichung eine so heftige Wirkung zu entfalten?
Die exakten Motive und das Kalkül für den Zeitpunkt der Veröffentlichung lassen sich zwar nicht feststellen. Aber Gründe und Nutzen solcher Leaks liegen auf der Hand. Gemäß einer Studie von Wissenschaftlern der Universität Leiden über die Rolle der Geheimdienste beim Krieg in der Ukraine besteht das wichtigste Ziel darin, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Um dies zu erreichen, werden beispielsweise Regierungen bloßgestellt.
Das ist dem Kreml mit Blick auf den Bundeskanzler Olaf Scholz gelungen. Dabei spielt keine Rolle, wie substanziell das Leak ist und wie authentisch der Mitschnitt ist. Entscheidend ist, welche Wirkung das Leak hat. Ein Teilnehmer sagt, dass "keiner so richtig weiß", warum der Kanzler bei den von der Ukraine geforderten Taurus-Marschflugkörpern blocke. Deshalb gebe es "abenteuerlichste Gerüchte". Außerdem habe er falsche Aussagen über Taurus vor Journalisten richtigstellen müssen. Das Gespräch weckt Zweifel an Scholz' Argumentation, weshalb für ihn eine Taurus-Lieferung nicht infrage kommt. Denn dem geleakten Gespräch zufolge könnten die Ukrainer sehr wohl ohne deutsche Soldaten vor Ort die Marschflugkörper bedienen.
Es handelt sich dabei um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere. Sie stimmen sich ab vor einem Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius, das wohl im Februar stattgefunden hat. Thema ist, wie die Ukraine deutsche Taurus-Marschflugkörper im Krieg gegen Russland einsetzen könnte, und wie Deutschland dabei unterstützen müsste - falls Kanzler Scholz sein Nein zu einer Lieferung der Waffen doch noch überdenken sollte.
"Es geht um Spaltung"
Wahrscheinlich ist, dass Russland durch die Veröffentlichung eine mögliche Kehrtwende von Scholz erschweren möchte - indem der Kreml mithilfe des Leaks die öffentliche Meinung in Deutschland zur Taurus-Lieferung beeinflusst. Obwohl die meisten Deutschen für eine Unterstützung der Ukraine sind, lehnt eine deutliche Mehrheit der Bundesbürger eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ab. Der Kreml will mit dem Mitschnitt offenbar die Angst verstärken, Deutschland könne dadurch in den Krieg hineingezogen werden. In dem Mitschnitt wird auch darüber gesprochen, ob die Kertsch-Brücke zwischen der von Russland annektierten Halbinsel Krim und dem russischen Festland mit Taurus-Raketen getroffen werden könnte. Das Gespräch belege die "Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschließlich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur", so die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.
Für Russlands Präsidenten Wladimir Putin ist die Brücke zwischen Russland und der 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ein Prestige-Projekt. Das Milliarden-Bauwerk steht für eine feste wirtschaftliche Anbindung der Krim als Ferieninsel an Russland. Genutzt wird die Brücke aber auch vom russischen Militär, weshalb sie aus Kiewer Sicht ein militärisches Objekt ist, das zerstört werden kann. Der Kreml hat bisher nach jedem Angriff auf die Krim-Brücke schwere Vergeltungsschläge gegen die Ukraine ausführen lassen und gedroht, die Krim mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.
Für Bundesverteidigungsminister Pistorius ist die Veröffentlichung des Mitschnitts ein gezielter Angriff zur Desinformation. "Es geht um Spaltung. Es geht darum, unsere Geschlossenheit zu untergraben", sagte er. "Es soll das Märchen, die Legende verstärken, wir würden an einem Krieg gegen Russland arbeiten, was völlig absurd ist."
Quelle: ntv.de, mit dpa/AFP