Gestrandete Ex-OrtskräfteDobrindt will "überwiegenden Teil" der Afghanen mit Zusage nach Deutschland holen

Noch immer warten in Pakistan Hunderte Afghanen auf die Ausreise nach Deutschland. Innenminister Dobrindt geht davon aus, dass 600 von ihnen "keine rechtsverbindliche Aufnahmezusage" aus Deutschland haben. Sie dürfen nicht einreisen, andere schon.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt will eine Mehrheit der in Pakistan gestrandeten Afghanen nach Deutschland holen. "Der überwiegende Teil hat nach unserer Einschätzung rechtsverbindliche Aufnahmezusagen", sagte der CSU-Politiker den Redaktionen von RTL/ntv und "Stern". "Die werden wir auch erfüllen." Die Menschen seien "auch zu einem erheblichen Teil" auf dem Weg nach Deutschland.
Dobrindt sprach von rund 2000 Personen, die zu seinem Amtsantritt in Pakistan auf eine Einreise nach Deutschland gewartet hätten. Sie hatten Zusagen aus verschiedenen Aufnahmeprogrammen vorheriger Regierungen erhalten. Dobrindt will nicht alle von ihnen aufnehmen. "Wir gehen davon aus, dass es um die 600 Personen sind, die keine rechtsverbindliche Aufnahmezusage haben", sagte der Innenminister. "Denen haben wir das auch mitgeteilt."
"Maximal unzufrieden"
Für alle anderen Personen liefen die Sicherheitsüberprüfungen. In den letzten Monaten seien diese Verfahren in weiten Teilen abgearbeitet worden. "Ein erheblicher Teil befindet sich inzwischen davon in Deutschland", sagte Dobrindt. "Ein anderer Teil ist auf dem Weg, wenn sie die Verfahren positiv durchlaufen haben." Er sei "maximal unzufrieden" damit, dass die letzte Regierung ein Problem geschaffen habe, es aber nicht bereit war zu lösen. Die frühere Außenministerin Annalena Baerbock hatte die Verfahren immer wieder wegen schwerer Missbrauchsvorwürfe gestoppt.
Zuletzt hatten sich mehr als 200 Organisationen und Prominente wie der Moderator Jan Böhmermann, die Schauspielerinnen Iris Berben und Collien Fernandes, der ehemalige ZDF-Moderator Claus Kleber sowie der Journalist Deniz Yücel in Briefen an den Bundesinnenminister gewandt. Im Schreiben der Prominenten ist unter anderem von einem "beschämendem Taktieren" der Bundesregierung die Rede.
Hintergrund ist, dass die Bundesregierung alle Aufnahmeprogramme aus Afghanistan gestoppt hat. Dobrindt hat zudem eine erneute Überprüfung der 2000 in Pakistan verbliebenden Menschen angeordnet. Die Zeit dafür läuft allerdings ab. Die pakistanische Regierung will zum Jahreswechsel damit fortfahren, die Menschen nach Afghanistan auszuweisen.
Nicht alle Zusagen sind rechtlich bindend
Unter ihnen sind frühere afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und anderen deutschen Institutionen und Menschen, denen durch ihr Engagement für den Aufbau eines demokratischen Staates in Afghanistan Verfolgung droht. Die Menschen haben Aufnahmezusagen aus vier verschiedenen politischen Programmen. Die Zusagen stammen teilweise aus der Zeit der Ampelkoalition, teils noch aus der Vorgängerregierung von Angela Merkel.
Beste Chancen auf eine Einreise haben etwa 900 Menschen aus dem Bundesaufnahmeprogramm der Ampel-Regierung. Ihre Zusagen gelten als rechtlich verbindlich. Das haben verschiedene Gerichte in den zahlreichen Fällen entschieden, in denen Afghanen um ihre Einreise geklagt hatten. Auch bei früheren Ortskräften hatte Dobrindt ein "politisches Interesse" an der Einreise signalisiert. Allerdings haben nach "Stern"-Informationen einigen von ihnen nun ebenfalls Absagen erhalten.
Die Zusagen drei anderer Aufnahmeprogramme sind nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dagegen nicht rechtlich bindend. Sie werden als politische Absichtserklärungen der jeweiligen Regierungen gewertet, die keinen verbindlichen Verwaltungsakt darstellen. Wer die Personen sind und wie gefährdet sie in Afghanistan sind, spielt dabei keine Rolle. So entstehen immer wieder Härtefälle.
"Niemand weiß, wo sie heute sind"
"Wir haben den Deutschen vertraut", sagte etwa Omar Ahmadi (Name verändert) in einem Videogespräch. "Jetzt lassen Sie uns im Stich." Zum Jahresende drohe ihm die Abschiebung nach Afghanistan. "Jeder dort weiß, dass wir für Deutschland gearbeitet haben und in Pakistan auf ein Visum gewartet haben", so der Mann, der einst Projekte für deutsche Institutionen durchgeführt hat.
Omar Ahmadi wird von der Bundesregierung nicht offiziell als Ortskraft anerkannt, weil er nicht direkt für die Bundesregierung gearbeitet hat, sondern Projekte der Bundesregierung über ein Unternehmen durchgeführt hat. Bedroht wird er von den Taliban für seine Arbeit trotzdem. "Es gibt geheime Listen über ehemalige Mitarbeiter der Deutschen und anderer Nationen", sagt Ahmadi. Er kenne Leute, die zurückgekehrt sind und sofort verhaftet worden. "Niemand weiß, wo sie heute sind."
Auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der SPD-Politiker Lars Castellucci, hatte Dobrindt deshalb scharf für die Rücknahme hunderter Aufnahmezusagen angegriffen. Es sei "unwürdig", sagte Castelucci, dass auf dem Rücken einer kleinen Gruppe von Menschen "eine ideologisch getriebene Migrationsdebatte ausgetragen" werde.
541 Afghanen warten noch auf ein Visum
Dobrindt widerspricht dem Vorwurf: "Nein, der trifft überhaupt nicht zu", sagte der CSU-Politiker. "Der einzige Vorwurf, den man formulieren kann, ist: Warum hat Annalena Baerbock hier Probleme geschaffen, die sie dann nicht bereit war zu lösen?" Das hat offenbar auch die SPD-Bundestagsfraktion so gesehen: Sie stimmte gegen eine Forderung der Grünen, alle in Pakistan gestrandeten Afghanen aufzunehmen.
Nach und nach kommen nun Afghanen in Deutschland an. Erst an diesem Dienstag war ein weiterer Flieger aus Pakistan in Berlin gelandet. An Bord des Charterflugs waren 160 Menschen aus dem alten Bundesaufnahmeprogramm. Den Angaben des Bundesinnenministeriums zufolge warten noch 76 Menschen aus dem Ortskräfteverfahren und 465 weitere Personen aus dem Bundesaufnahmeprogramm der Ampel auf ein Visum.
Hunderte andere Menschen, die das Pech hatten, sich auf frühere Aufnahmeversprechen der Deutschen zu verlassen, werden Pakistan wohl bald in eine andere Richtung verlassen müssen: zurück nach Afghanistan. Dobrindt sagte dazu: "Wir müssen das jetzt lösen, aber ich kann das nur nach rechtlichen Grundsätzen abarbeiten und nicht nach Willkür." Für die Menschen vor Ort fühlt es sich allerdings genauso an: wie Willkür.