Jordaniens König in Berlin Ein Partner für Dialog und Deeskalation in Nahost
17.10.2023, 05:41 Uhr Artikel anhören
Am Dienstagmorgen empfängt Kanzler Scholz den jordanischen König Abdullah II. in Berlin. (Archivfoto)
(Foto: picture alliance/dpa)
Die jüngste Gewalteskalation im Nahostkonflikt erschüttert auch Jordanien. Die Bevölkerung ist aufgewühlt, König Abdullah bemüht sich um Vermittlung. Heute trifft er Bundeskanzler Scholz in Berlin.
Mit dem Terror-Angriff der Hamas auf Israel hat sich der Nahostkonflikt mit aller Brutalität wieder auf die Agenda der internationalen Politik katapultiert. Die jüngste Gewalteskalation in Israel und den Palästinensischen Gebieten berührt auch das benachbarte Jordanien, das seit Langem als treuer Verbündeter des Westens und Stabilitätsanker in der krisengeschüttelten Nahost-Region gilt.
Auf seiner schon länger geplanten Europa-Tour bemüht sich König Abdullah nun um Vermittlung und Deeskalation. Heute macht er in Berlin Station. Zuhause kocht derweil die Volksseele. Wenngleich die Hamas in Jordanien eigentlich kaum Unterstützung genießt, ist die Solidarität mit den Palästinensern nun groß. Zehntausende demonstrieren in den letzten Tagen in der Hauptstadt Amman und überall im Land. Dem Westen wird dabei Doppelmoral und eine bedingungslose Unterstützung Israels und seiner Militäraktionen im Gaza-Streifen vorgeworfen, vor allem mit Blick auf die damit einhergehenden zivilen Opfer. Auch Europa und Deutschland verlieren rapide an Glaubwürdigkeit.
Für Jordanien war der israelisch-palästinensische Konflikt schon immer von existenzieller Bedeutung. Eine Mehrheit der jordanischen Bevölkerung besteht aus Nachkommen derjenigen Palästinenser, die in den Nahostkriegen 1948 und 1967 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Auch darüber hinaus ist Jordanien vor allem dem Westjordanland historisch und kulturell eng verbunden. Bis heute ist der jordanische König der Schirmherr der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, die für die ganze arabische und islamische Welt eine besondere Bedeutung hat.
Zwar schloss Jordanien schon 1994 einen Friedensvertrag mit Israel. Die Zusammenarbeit im Sicherheitssektor und insbesondere der Grenzschutz funktionieren reibungslos. Auch im Bereich der Wasser- und Energieversorgung gibt es vielversprechende jordanisch-israelische Kooperationsmöglichkeiten. Doch letztlich ist dieser Friede immer ein kalter geblieben. Die erhoffte ökonomische Dividende blieb aus Sicht vieler Jordanier aus. Und die damaligen Hoffnungen auf einen eigenen palästinischen Staat sind längst verblichen.
Jordanien bemüht sich um Vermittler-Rolle
Stattdessen nährt der fortdauernde und völkerrechtswidrige Ausbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland ein Szenario, das man in Amman seit Langem fürchtet: einen Massenexodus der dortigen Palästinenser nach Jordanien. Das würde nicht nur die Infrastruktur des ressourcenarmen Landes überstrapazieren, sondern auch das demografische und machtpolitische Gleichgewicht durcheinanderbringen – mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität des Königreichs.
Auch deshalb bemüht sich Jordanien seit Jahrzehnten um eine vermittelnde Rolle im israelisch-palästinensischen Konflikt. Das erste Treffen von Vertretern der damals neu gewählten national-religiösen israelischen Regierung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde beispielsweise fand im Februar dieses Jahres in der südjordanischen Hafenstadt Akaba statt. Vor einigen Jahren hat Jordanien gemeinsam mit Deutschland, Frankreich und Ägypten das "Kleeblatt-Format" gegründet, um die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung aufrechtzuerhalten (mit regelmäßigen Treffen der Außenminister dieser Länder, zuletzt im Mai in Berlin).
Gewalteskalation kann deutsch-jordanische Zusammenarbeit gefährden
Deutschland ist auch jenseits dieser diplomatischen Zusammenarbeit ein wichtiger Partner Jordaniens. Seit dem "Arabischen Frühling" vor mehr als zehn Jahren und dem Bürgerkrieg im benachbarten Syrien hat sich die deutsche Unterstützung für das Land vervielfacht, vor allem auch um Jordanien bei der Aufnahme der über einer Million syrischen Flüchtlinge zu unterstützen, die hierher geflohen sind. Zahlreiche deutsche Institutionen sind in Amman präsent und arbeiten von hier aus auch in den Nachbarländern. Die Bundeswehr unterhält seit 2017 einen Luftwaffenstützpunkt in Al-Azraq in der jordanischen Wüste und beteiligt sich von hier aus am internationalen Anti-Terrorkampf im Irak.
Die jüngste Gewalteskalation in Nahost kann diese vertrauensvolle Zusammenarbeit gefährden. Denn die deutsche und jordanische Wahrnehmung des israelisch-palästinensischen Konflikts fallen damit noch weiter auseinander. Hier hilft nur ein ehrlicher und respektvoller Dialog. So wichtig für Deutschland die Anerkennung seiner eigenen Geschichte und die daraus resultierenden Verantwortung insbesondere für Israels Sicherheit ist – deutsche Nahostpolitik, will sie nachhaltig zu einer Konfliktlösung beitragen, muss auch die Perspektiven aus der Nahost-Region selbst zur Kenntnis und ernst nehmen.
An der Katastrophe, welche die Menschen in Israel und den Palästinensischen Gebieten derzeit durchleiden, zerschellen auch die trügerischen Gewissheiten, mit denen man die letzten Jahre versuchte, den Nahostkonflikt zu "managen" oder einfach zur Seite zu schieben. Wenn sich der Staub des Krieges gelegt hat, wird man über neue Lösungen nachdenken müssen, wie Israelis und Palästinenser zwischen Mittelmeer und Jordan-Fluss friedlich zusammenleben können. Deutschland und Jordanien, die zu beiden Parteien gute Beziehungen haben, können und sollten dafür als Partner bereitstehen. Das heutige Treffen zwischen dem jordanischen König Abdullah und Bundeskanzler Olaf Scholz kann dafür eine erste Grundlage bereiten.
Dr. Edmund Ratka leitet seit November 2020 das Auslandsbüro Jordanien der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Amman. Zuvor arbeitete er für die KAS in Tunesien sowie als Nahost-Referent in der Stiftungszentrale in Berlin.
Quelle: ntv.de