Politik

Stimmen zur Eroberung Kabuls "Ein Sieg für den weltweiten Dschihad"

Kämpfer der Taliban nach Eroberung des Präsidentenpalastes in Kabul.

Kämpfer der Taliban nach Eroberung des Präsidentenpalastes in Kabul.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Der schnelle Einmarsch der Taliban in Kabul überrascht die Weltgemeinschaft. Viele Medien machen US-Präsident Biden für den raschen Fall der afghanischen Hauptstadt verantwortlich. In der Zivilbevölkerung sehen die Kommentatoren jedoch den größten Verlierer.

Spanien

"El País": "Der Vormarsch der Taliban hat selbst die pessimistischsten Beobachter verwundert. Die islamistische Miliz hat in wenigen Tagen fast alle wichtigen Städte des Landes erobert. Zwanzig Jahre internationaler Intervention lösen sich in Rekordzeit in Luft auf. Die USA haben 83 Milliarden Dollar in die Ausbildung der afghanischen Armee gepumpt. Diese ergibt sich nun meist kampflos. Abgesehen vom Ansehensverlust für die USA gibt es klare Opfer: Zivilisten, die wieder unter einem Terrorregime leben mit körperlicher Züchtigung und öffentlichen Hinrichtungen."

USA

"Wall Street Journal": "Die von Herrn Trump gesetzte Frist für den Abzug war ein Fehler, aber Herr Biden hätte sie umgehen können. (...) Herr Biden hätte die bescheidene Präsenz aufrechterhalten können, die seine militärischen und außenpolitischen Berater vorgeschlagen hatten. (...) Stattdessen ordnete er einen schnellen und vollständigen Rückzug an (...). Nur vier Monate später ist das Ergebnis die schlimmste US-Demütigung seit dem Fall Saigons 1975.

Großbritannien

"The Telegraph": "Was viele Abgeordnete und Kommentatoren nicht berücksichtigen, ist die Tatsache, dass der Westen 2001 nicht in den Krieg zog, um die Taliban zu stürzen. Hätten die Fundamentalisten nicht den Al-Kaida-Fanatikern, die das World Trade Center angriffen, Unterschlupf gewährt, wären die Mullahs wahrscheinlich die letzten 20 Jahre an der Macht gewesen. Sollte es jedoch Anzeichen dafür geben, dass Afghanistan erneut ein Sicherheitsrisiko für den Westen darstellt, wird eine militärische Reaktion ohne Bodentruppen erforderlich sein, um dies zu unterbinden."

Schweiz

"Tages-Anzeiger": "Es wäre naiv, den salbungsvollen Beteuerungen der Taliban zu glauben, dass sie die Rechte der Frauen oder der Presse respektieren und Volk und Land dienen wollen. Was die Worte der Steinzeit-Islamisten wert sind, hat die Vergangenheit gezeigt, nämlich gar nichts: Sie wollen kein Parlament, keine Wahlen und schon gar keine Religionsfreiheit, sondern einen Emir und ein paar Mullahs, die im Namen ihrer Scharia so herrschen, wie es ihnen passt."

"Neue Zürcher Zeitung": "Ein großer Teil der Verantwortung liegt bei Präsident Joe Biden persönlich. Er hielt nach seinem Amtsantritt an seiner festgefahrenen Überzeugung fest, dass ein weiteres militärisches Engagement am Hindukusch wertlos sei. Er überstimmte die Pentagon-Führung, die für eine fortgesetzte Militärpräsenz eintrat, und ignorierte sämtliche Experten, die mit dem überhasteten Totalabzug eine Katastrophe heraufziehen sahen."

Italien

"La Repubblica": "Vier Jahre nach der Auflösung des Islamischen Staates durch Abu Bakr al-Bagdadi, ist die Rückeroberung eines großen Teils Afghanistans durch die Taliban, die nun in Kabul eingezogen sind, ein Sieg für den weltweiten Dschihad, weil sie dem extremeren sunnitischen Fundamentalismus das Gebiet einer Nation zurückgibt, in dem sie ihr eigenes Modell eines Emirats errichten können, das auf der dunkleren Version der Scharia, dem islamischen Gesetz, basiert."

Belgien

"De Standaard": "Dass der Vormarsch der Taliban schneller verlief als erwartet, kann nur daran liegen, dass sie doch Unterstützung der Bevölkerung erhielten. Die Afghanen wollen endlich Ruhe und Stabilität. Viele hoffen, dass die Taliban sie bringen. Wenn dafür ein Preis zu zahlen ist, dann ist das eben so. Dass der Preis vor allem von den Frauen gezahlt wird, ist offensichtlich vielen egal. Die afghanische Gesellschaft ist ungeachtet des westlichen Engagements eine ultrakonservative Männergesellschaft geblieben, vor allem auf dem Lande und in den kleinen Städten."

Niederlande

"De Telegraaf": "Der Aufmarsch der Terrortruppe ist eine Niederlage für den Westen, mit den USA von Präsident Joe Biden an der Spitze. Wenn die Berichte über die Einführung der Scharia und andere grausame Praktiken stimmen, dann wird schnell ein Exodus von Afghanen in Gang kommen. Auf den Flüchtlingsstrom muss eine passende Antwort gefunden werden."

Dänemark

"Politiken": "Afghanistan ist die größte Niederlage der USA seither und ein äußerst demütigendes Ende des längsten Krieges der Supermacht aller Zeiten. Und so wie die Niederlage in Vietnam zu einem Umdenken in der US-Außenpolitik führte, muss die Niederlage in Afghanistan sowohl die USA als auch ihre Verbündeten dazu bringen zu überdenken, was mit einer militärischen Intervention erreicht werden kann. Die afghanischen Frauen sind nun auf dem Weg zurück zur Burka, und alle, die dem Westen geholfen und an unsere Vision einer liberaleren und offenen Gesellschaft geglaubt haben, sind in Lebensgefahr. Es ist fast unerträglich, das zu sehen."

Tschechien

"Lidove noviny": "Der Sturz Kabuls kommt so plötzlich, dass er in der Psyche der westlichen Gesellschaften Spuren hinterlassen wird. Für die Europäer dürfte es das Ende der Ära der Militäreinsätze im Ausland bedeuten. Im Jahr 2002 hatte der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck noch gesagt, die Sicherheit der Bundesrepublik werde auch am Hindukusch verteidigt. Heute würden ihn die Wähler auslachen."

Österreich

"Der Standard": "Es gibt keine Worte für die Tragödie, die die Afghanen und Afghaninnen betrifft, die auf eine Republik mit demokratischen Institutionen - mit allen Schwierigkeiten und Defekten - gesetzt haben. Die Auswirkungen werden allerdings über Afghanistan hinausgehen, und da auch wiederum nicht nur durch die vielen Menschen, die Afghanistan, gleich wie und wohin, verlassen wollen. Die meisten von ihnen werden trotz aller Ankündigungen aus dem Ausland in ihrem Elend bleiben, in Afghanistan oder in der Nachbarschaft."

Quelle: ntv.de, jpe/dpa

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