Politik

Der Widerstand wächst Es läuft nicht mehr rund für Salvini

Matteo Salvini bekommt immer mehr Gegenwind.

Matteo Salvini bekommt immer mehr Gegenwind.

(Foto: imago images / Italy Photo Press)

Eine Weile ging es nur bergauf für Salvini, Italiens rechtsnationalen Lega-Chef. Doch nun steigt die Nervosität. In Umfragen fällt die Partei, für teure Wahlversprechen ist kein Geld da. In Lega-Kreisen wächst die Sehnsucht nach einem baldigen Regierungsbruch.

Eigentlich sollte der Chef der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, den Wind der Umfragen im Rücken spüren. Vor einem Jahr überzeugte die Lega 17 Prozent der Italiener, vor einem Monat noch wurde seine Partei, die einstige Lega Nord, auf 36 Prozent geschätzt. Die Kampagnen gegen Migranten ("Die Häfen sind zu"), gegen Roma und Sinti, die einfachen Parolen "Italiener zuerst" haben ihn zum populärsten Politiker Italiens gemacht.

Gleichzeitig aber wuchs in den vergangenen Wochen auch der Widerstand gegen ihn: Wegen seiner offen gezeigten Sympathie und direkten Verbindungen zu der neofaschistischen Bewegung Casapound und nicht zuletzt auch, weil die Lega ihr Kernversprechen, einen Steuersatz von 15 Prozent für alle, bisher nicht durchgesetzt hat. Gerade im industriellen Nordosten Italiens, der Hochburg der Lega, ist man verärgert darüber, dass die Wirtschaft ins Stocken geraten ist, dass die vielen Frühverrentungen nicht für einen Schub der Nachfrage bei Konsumgütern gesorgt haben. Die wirtschaftlichen Eckdaten Italiens sind in ganz Europa die schlechtesten, das Wirtschaftswachstum wird 2019 mutmaßlich bei null liegen.

Bei allen Auftritten in Italien empfangen Salvini inzwischen Hunderte Demonstranten, Pfeifkonzerte gehören zum Standard. Als erstes kamen die "Selfie"-Protestler. Salvini, der auch den Spitznamen "Selfini" trägt, lädt seine Anhänger gerne am Ende seiner Auftritte zum Selfie mit ihm. Nun tauchen immer mehr verkappte Gegner auf: junge Frauen, die angeblich ein Selfie mit ihm machen wollen, sich dann aber im letzten Augenblick küssen. Oder eine Frau, die ihn vor laufender Handykamera fragt: "Also sind wir nicht mehr die Scheiss-Süditaliener wie früher?" Früher hatte Salvini die Süditaliener öffentlich als "Terroni", als "Erdfresser" beschimpft und einen Ausbruch des Vesuvs herbeigewünscht, um die Neapolitaner zu beseitigen.

Der letzte Coup, extrem wirkungsvoll, sind die bemalten Protest-Transparente aus Bettlaken. In Brembate schrieb ein Student nur: "Du bist hier nicht willkommen", ohne Namen zu nennen. Da rückte die Feuerwehr auf Befehl des Polizeichefs an und ließ das Protestlaken abnehmen. Seitdem wird Salvini von den Laken verfolgt und die sind oft sehr witzig: "Bringt eine lange Leiter mit, das hier ist der fünfte Stock" und "Wir Terroni vergessen nicht". In Campobasso hingen mehr als 200 Laken dieser Art an den Fenstern, Salvini sagte seinen Wahlkampfauftritt ab.

Überhaupt zeigt sich der Lega-Chef nervös. Seine Umfragewerte, bis dahin immer steil angestiegen, haben sich seit vier Wochen deutlich gedreht: Zwar liegen sie immer noch weit über den 17 Prozent der letzten Wahlen, aber vom Spitzenwert um 36 Prozent sind sie auf 28 bis 29 Prozent gefallen. Die Fünf-Sterne-Bewegung, der Koalitionspartner in der Regierung, die Salvini zuletzt zu kannibalisieren schien, holt mit deutlicher Kritik an ihm wieder auf.

Spekulationen über Koalitionsbruch

Proteste gegen Salvini in Neapel: Ein Hund trägt ein Hemd mit der Aufschrift "Salvini Scheiße".

Proteste gegen Salvini in Neapel: Ein Hund trägt ein Hemd mit der Aufschrift "Salvini Scheiße".

(Foto: imago images / Independent Photo Agency Int.)

Und schon denkt man in Lega-Kreisen über den Bruch der Koalition nach den Europawahlen nach, um den noch immer vorhandenen Vorsprung in der Wählergunst zu nutzen. Außerdem droht der römischen Regierung noch das dicke Ende: Im Herbst muss ein Haushalt für 2020 verabschiedet werden, der Blut, Schweiß und Tränen verspricht. Es drohen Mehrwertsteuer-Erhöhungen, insgesamt muss ein Loch von mindestens 35 Milliarden Euro gestopft werden, was angesichts steigender Schuldzinsen für Italiens Staatspapiere BOT auch schnell auf 50 Milliarden hochschnellen kann, nur um unter der Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent zu bleiben. Kaum erklärte Salvini, er wolle sich nicht um die 3-Prozent-Linie der EU kümmern und könne sich auch vorstellen, den Schuldenberg von derzeit 132,5 Prozent des Bruttosozialprodukts auf 140 Prozent anzuheben, ("mich interessieren diese Regeln nicht, sondern nur die Italiener"), stieg der Basiszins für italienische Staatstitel von 250 auf 290 Eckpunkte. Und einhellig erhob sich der Protest der Industriellen, für die es nun teurer wird, Kredite aufzunehmen.

Für teure Wahlversprechen wie die Flat Tax Salvinis - 15 Prozent für alle - ist längst kein Geld mehr da. Das ahnt auch Salvini. Diese schlechte Nachricht darf er seinen Wählern aber nicht vor dem 26. Mai verkünden. Es droht im Gegenteil, dass Rom die bereits vollzogene Frühverrentung wieder rückgängig machen muss, die die Rentenkasse pro Jahr gut sechs Milliarden Euro zusätzlich kosten dürfte.

Also dann vielleicht lieber Plan B?: Regierungskrise noch im Juni, Auflösung des Parlamentes im Juli und Neuwahlen Ende September? Das sind derzeit die Überlegungen in Lega-Kreisen. Das vorzeitige Ende der Regierungskoalition brächte die Lega in die beste Situation. Sie müsste den "Blut, Schweiß und Tränen"-Haushalt 2020 nicht vor den Neuwahlen im September verabschieden und hätte bei den Koalitionspartnern die freie Auswahl. Der ehemalige Ministerpräsident Silvio Berlusconi bietet sich seit Monaten an und wenn das nicht reichen sollte, dann eben wieder mit der 5-Sterne-Bewegung - nur diesmal aus einer Position der Stärke heraus. Eine Win-Win-Situation für Salvinis Lega.

Quelle: ntv.de

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