Corona-Krise bedroht Landwirte "Es wird Versorgungsausfälle geben"
27.03.2020, 16:12 Uhr
Der Einreisestopp für Saisonarbeiter bedroht nicht nur die Spargelernte.
(Foto: dpa)
Die Corona-Krise trifft auch die deutschen Bauern schwer. Das größte Problem vieler Landwirte: Dringend benötigte Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland können im Moment nicht nach Deutschland einreisen. Das gefährdet nicht nur die anstehende Spargelernte. Was die Pandemie für die landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland bedeutet, erklärt Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), im Interview mit ntv.de.
ntv.de: Herr Rukwied, in den sozialen Medien ist vor allem die Spargelernte ein Thema. Wo trifft die Corona-Krise die Landwirtschaft noch? Haben wir bald auch kein Brot und keine Milch mehr?
Joachim Rukwied: Die Landwirtschaft ist systemrelevant, unsere Bauern arbeiten auf Hochtouren, damit die Versorgung mit heimischen Grundnahrungsmitteln sichergestellt ist. Die ist auch sicher, was Getreideprodukte wie Brot, aber auch Milch, Käse oder Wurst angeht. Große Schwierigkeiten sehen wir im Moment bei Obst und Gemüse und im Weinsektor. In diesen Sonderkulturbereichen stehen Arbeiten an, Pflanzung und Pflege. Beim Spargel stehen wir kurz vor der Ernte. Das betrifft aber den gesamten Gemüseanbau, also auch Salat, Blumenkohl, Brokkoli, Gurken, Kohl, alles, was in den nächsten Wochen aufs Feld, gepflegt und geerntet werden muss. Da fehlen jetzt in erheblichem Umfang unsere bewährten und erfahrenen Saisonarbeitskräfte. Die kommen ja zum Teil schon seit vielen Jahren, manche seit Jahrzehnten. Deshalb brauchen wir baldmöglichst ein Ende des Einreisestopps.
Von welchem Zeitfenster sprechen wir hier? Wie schnell muss das jetzt gehen und bis wann geht die Saison?
Unsere Landwirte pflanzen im Prinzip kontinuierlich über das Frühjahr hinweg bis in den Sommer hinein. Da werden verschiedene Anbausätze aufs Feld gebracht, sodass unsere Verbraucher täglich frisches Obst und Gemüse auf den Tellern haben. Es geht jetzt los und die Saison endet dann Ende Oktober, Anfang November.
Wie viele Menschen arbeiten in der deutschen Landwirtschaft? Wie groß ist die Zahl der Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland und wie viele werden jetzt unmittelbar gebraucht?
Insgesamt arbeiten in der deutschen Landwirtschaft über 700.000 heimische Arbeitskräfte, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch die Familienarbeitskräfte. Dazu kommen rund 300.000 Saisonarbeitskräfte aus dem Ausland, vor allem aus Polen, Rumänien und Bulgarien. In den nächsten Wochen brauchen wir rund 100.000 davon. Vor allem die Spargelanbauer, aber auch die ganzen Gemüsebetriebe, die jetzt auspflanzen. Wir haben Arbeitsbedarf im Obst- und Weinbau mit Pflegemaßnahmen, Schneiden, beim Wein auch beim Anbinden der Reben. Da sind zwar vereinzelt Arbeitskräfte da, aber zu wenig. Insofern ist jeder Tag ohne Einreisestopp ein hilfreicher Tag für die Landwirtschaft.
Fehlen auch heimische Kräfte, etwa wegen Kontaktsperre oder Ausgangs- und Reisebeschränkungen?
Unser Stammpersonal, das in Deutschland lebt, arbeitet weiterhin in den Betrieben. Darüber hinaus hoffen wir natürlich darauf, dass auch zusätzliche helfende Hände bereit sind, in der Landwirtschaft mitzuarbeiten. Aber das wäre lediglich eine Ergänzung zu den dringend benötigten Saisonarbeitskräften aus dem Ausland.
Wie viele Betriebe sind jetzt unmittelbar betroffen?
Im Grunde alle Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe und solche mit intensiver Tierhaltung. Wir haben in Deutschland 270.000 landwirtschaftliche Betriebe, und ich schätze, dass mindestens ein Drittel davon betroffen ist.
Wie groß sind die Umsatzeinbußen, die durch den Einreisestopp entstehen können?
Seriöse Folgenabschätzungen ökonomischer Art kann man noch nicht geben. Was wir aber sagen können: Es wird zu Versorgungslücken und Versorgungsausfällen kommen, wenn wir diese bewährten und erfahrenen Arbeitskräfte nicht auf den Feldern einsetzen können. Deshalb müssen wir jetzt Lösungen finden. Die Betriebe haben vorgesorgt und sämtliche Hygienemaßnahmen getroffen, es gibt mehrsprachige Hygienehinweise, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind geschult und wir halten die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts ein und geben sie weiter.
Ist das Krisenpaket der Bundesregierung gelungen? Fühlen sich die Landwirte ausreichend gehört?
Die Krisenmaßnahmen, auch die Landwirtschaft betreffend, sind richtig und ein erster wichtiger Schritt, auch im Hinblick auf die Beschäftigung von inländischen Arbeitnehmern. Wir müssen da aber weiterarbeiten. Beispielsweise muss aus unserer Sicht eine Anhebung der 450-Euro-Entgeltgrenze für geringfügig entlohnte Beschäftigung her. Wir müssen auch die Prüfung der Berufsmäßigkeit bis auf Weiteres aussetzen. Und wir sind der Meinung, dass eine weitere Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen für Bezieher von Kurzarbeitergeld notwendig ist. Aber wie gesagt, die ersten Maßnahmen waren richtig, die bewerten wir positiv.
Manche fordern, Menschen ohne Job bei der Feldarbeit einzusetzen, darunter Landwirtschaftsministerin Klöckner. Können Arbeitslose, Asylbewerber oder Selbstständige ohne Aufträge die Lücke schließen?
Wir freuen uns über jede helfende Hand. Wir sind offen, wenn jemand bei uns arbeiten will. Das nehmen wir gerne an, das kann die Situation etwas entschärfen. Aber um es nochmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ohne die erfahrenen Saisonarbeitskräfte, die schon lange in den Betrieben arbeiten, werden die Betriebe nicht rund laufen. Ohne die wird es Ausfälle bei Obst und Gemüse geben.
Mit Joachim Rukwied sprach Johannes Wallat
Quelle: ntv.de