Politik

Atomabkommen auf der Kippe Europäer erhöhen Druck auf den Iran

Letztlich entscheidet Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Chamenei darüber, ob Teheran das Atomabkommen weiter umsetzt.

Letztlich entscheidet Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Chamenei darüber, ob Teheran das Atomabkommen weiter umsetzt.

(Foto: dpa)

Nach der jüngsten Eskalation im Nahen Osten will der Iran sich nahezu komplett aus dem Atomabkommen zurückziehen. Die europäischen Unterzeichner drohen Teheran nun, in diesem Fall einen Schlichtungsmechanismus auszulösen. An dessen Ende könnten umfangreiche Sanktionen stehen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Boris Johnson haben den Iran aufgefordert, sich wieder "vollumfänglich" an das internationale Atomabkommen zu halten. In einer gemeinsamen Erklärung, die in Berlin, Paris und London verbreitet wurde, wird der Iran "dringlich" aufgerufen, "alle der Vereinbarung widersprechende Maßnahmen zurückzunehmen und zur vollumfänglichen Einhaltung der Wiener Nuklearvereinbarung zurückzukehren".

Zugleich erklärten sie: "Wir behalten uns vor, auf alle in der Vereinbarung vorgesehenen Maßnahmen zurückzugreifen, um diese Vereinbarung zu erhalten und Fragen in Bezug auf Irans Umsetzung seiner Verpflichtungen aus der Vereinbarung zu klären." Dies lässt sich als Drohung der Europäer lesen, den im Atomabkommen enthaltenen Mechanismus zur Konfliktlösung auszulösen. Dieser Prozess könnte, muss aber nicht in eine Wiedereinsetzung der UN-Sanktionen gegen den Iran münden.

Nach dem Atomabkommen kann jeder Vertragspartner die sogenannte Gemeinsame Kommission anrufen, wenn er glaubt, dass ein anderer Partner gegen die Vereinbarung verstößt. Die Kommission hat dann 15 Tage Zeit, um den Streit zu schlichten. Sie kann diese Frist aber auch ausdehnen, wenn alle Beteiligten dem zustimmen. Wird sie nicht verlängert, eskaliert der Fall, was am Ende zur Wiedereinsetzung der UN-Sanktionen gegen den Iran führen kann - falls der UN-Sicherheitsrat nicht dagegen entscheidet. Sowohl Russland als auch China, neben den Europäern die übrigen Unterzeichner des Atomabkommens, stehen einer Auslösung des Streitschlichtungsmechanismus skeptisch gegenüber. Die Führung in Teheran dürfte sehr verärgert reagieren, falls die Europäer diesen Schritt gehen.

Kritik an "destabilisierender Rolle"

Das 2015 geschlossene Abkommen soll den Iran am Bau einer Atombombe hindern. Seit dem Ausstieg der USA im Mai 2018 zieht sich der Iran schrittweise aus der Vereinbarung zurück. Die EU konnte ihr Versprechen nicht erfüllen, die wirtschaftlichen Folgen der von den USA wieder eingeführten Sanktionen gegen den Iran aufzufangen. Nach der gezielten Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani durch einen US-Drohnenangriff hatte Teheran vor einer Woche die "fünfte und letzte Phase" des Rückzugs aus dem Atomabkommen angekündigt. Die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) will Teheran aber fortsetzen.

Deutschland, Großbritannien und Frankreich als EU-Partner des Atomabkommens stehen nun unter Druck, auf Teherans Ankündigung zu reagieren. In ihrer Erklärung betonen Merkel, Macron und Johnson, dass sie trotz "zunehmend schwieriger Umstände" intensiv daran gearbeitet hätten, das Atomabkommen zu erhalten. "Wir haben unsere tiefe Sorge über die Maßnahmen ausgedrückt, die der Iran im Widerspruch zu seinen Verpflichtungen seit Juli 2019 ergriffen hat. Diese Maßnahmen müssen umgekehrt werden", fordern die drei Politiker.

Zugleich hätten "aktuelle Ereignisse" die "destabilisierende Rolle des Iran in der Region" hervorgehoben. "Unser Bekenntnis zur Sicherheit unserer Alliierten und Partner in der Region ist unerschütterlich", stellten Merkel, Macron und Johnson klar, die ihre Bereitschaft bekräftigten, "unser Engagement für Deeskalation und Stabilität in der Region fortzusetzen." Zum versehentlichen Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine in der Nähe von Teheran schreiben Merkel, Macron und Johnson, sie nähmen Irans Erklärung "zur Kenntnis" und verpflichteten sich dazu, "mit dem Iran zum weiteren Vorgehen zu kooperieren".

Protest gegen Festnahme des Botschafters

Derweil forderte eine Staatengruppe um Kanada und Großbritannien nach der kurzzeitigen Festnahme des britischen Botschafters in Teheran den Iran auf, seine diplomatischen Verpflichtungen einzuhalten. "Wir fordern den Iran auf, die Genfer Konvention zu respektieren", erklärte das kanadische Außenministerium stellvertretend für eine Koordinierungsgruppe für die Opfer des Abschusses eines ukrainischen Passagierflugzeugs bei Teheran.

Zu dieser Gruppe, die von Kanada nach der Tragödie mit 176 Toten gegründet wurde, gehören neben Großbritannien auch die Ukraine, Schweden und Afghanistan, die alle Staatsangehörige unter den Opfern zu beklagen hatten. Während eines Telefongesprächs "äußerten alle diese Länder ihre Besorgnis nach der vorübergehenden Festnahme des britischen Botschafters durch die iranischen Behörden, nachdem er an einer Mahnwache zum Gedenken an die Opfer des Fluges PS752 teilgenommen hatte", wie es in der Erklärung weiter hieß.

Der Iran hatte erklärt, dass der britische Botschafter in Teheran, Rob Macaire, am Vortag nach einer "illegalen Versammlung" kurzzeitig festgenommen worden sei. Das Vorgehen Teherans wurde international scharf kritisiert. Macair wies die Vorwürfe Teherans zurück.

Quelle: ntv.de, mli/AFP/rts

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