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Unerlaubter Einsatz im Libanon? Experte: Pager-Attacke war Völkerrechtsbruch - aus zwei Gründen

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Die Überwachungskamera auf einem libanesischen Markt hielt fest, wie ein Pager detonierte.

Die Überwachungskamera auf einem libanesischen Markt hielt fest, wie ein Pager detonierte.

(Foto: picture alliance / abaca)

Mindestens 32 Menschen werden getötet, als am Dienstag und Mittwoch Hunderte Pager und Walkie-Talkies im Libanon explodieren. Tausende kommen mit Verletzungen in die Klinik. Sowohl der Iran als auch die Hisbollah machen Israel für die Detonationen verantwortlich. Auch Medienberichte weisen in diese Richtung: Dem israelischen Geheimdienst soll es gelungen sein, die Funkgeräte, die offenbar der Hisbollah gehörten, mit Sprengstoff zu präparieren. Israel selbst hat sich bisher noch nicht geäußert. Sollte sich der Verdacht bestätigen, hätte Israel mit seinem Einsatz das Völkerrecht gebrochen, sagt Matthias Goldmann im Interview mit ntv.de. Der Völkerrechtler ist überzeugt: Auch, wenn die Geräte Hisbollah-Mitgliedern gehörten, waren die Folgen der Manipulation zu keinem Zeitpunkt überschaubar.

ntv.de: Sollte Israel hinter den Explosionen im Libanon stecken, wie wäre dieses Vorgehen völkerrechtlich zu bewerten?

Matthias Goldmann: Das hängt zunächst einmal von der Frage ab, ob es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt oder einen nicht-internationalen bewaffneten Konflikt handelt. Im ersten Fall hätten wir es mit einem Konflikt zwischen zwei Staaten - Israel und Libanon - zutun. Die Frage ist also, ob man die Hisbollah als Agentin des Staates Libanon sieht oder sie eher als nicht-staatliche Organisation fungiert. Da die Hisbollah auch in die libanesische Regierung eingebunden ist und teilweise sogar Territorialherrschaft ausübt, würde ich sie Stand jetzt als verlängerten Arm des Staates ansehen. Damit gelten die Prinzipien der Genfer Konventionen.

War die Manipulation von Pagern und Walkie-Talkies nach den Regeln der Genfer Konventionen erlaubt?

Stand jetzt würde ich sagen nein. Denn nach den Genfer Konventionen gilt das Prinzip der Unterscheidung. Angegriffen werden dürfen ausschließlich Kombattanten, also Personen, die Teil des waffentragenden Militärs der gegnerischen Partei sind. Damit musste sich die Partei, die die Geräte manipuliert hat, mehrere Fragen stellen. Zum einen: An wen wurden die Pager und Walkie-Talkies ausgegeben? Offenbar handelte es sich um Kommunikationsgeräte der Hisbollah. Allerdings hat diese eben auch eine zivile Komponente. Die Hisbollah ist zudem nicht so streng reguliert wie ein Staat, wo es eine klare Unterscheidung zwischen Zivilisten und Militär gibt. Realistisch gesehen, konnte man also zumindest nicht ausschließen, dass auch Sanitätspersonal oder andere nicht-bewaffnete Personen in den Besitz der Geräte gekommen sind. Die dürfen allerdings ausdrücklich nicht angegriffen werden.

Sie sprachen von mehreren Fragen. Was hätte man vor der Manipulation noch bedenken müssen?

Wichtig ist nicht nur, an wen sie ausgegeben wurden, sondern auch, wo die Geräte zum Zeitpunkt der Explosion waren. Konnte man mit Sicherheit davon ausgehen, dass sie während der Detonation am Körper der jeweiligen Person waren? Oder lagen sie möglicherweise zu Hause rum, wurden weitergegeben oder verkauft? All diese Eventualitäten müsste man vor der Manipulation ausschließen können.

Das wird in der Praxis kaum möglich sein. Was ist also, wenn man zwar davon ausgeht, nur Hisbollah-Kämpfer zu treffen, am Ende aber doch Zivilisten unter den Opfern sind?

Dann läge ein Völkerrechtsbruch vor. Entscheidend ist, ob das Ziel ein Kombattant und damit ein legitimes militärisches Ziel war oder nicht. Das muss objektiv feststehen - das Risiko für einen Irrtum trägt der angreifende Staat. Man darf also nicht auf gut Glück schießen oder angreifen. Auch eine hohe Wahrscheinlichkeit reicht nicht aus. Das darf bei Kriegseinsätzen nicht anders sein, beispielsweise wenn die Artillerie schießt. Da muss ganz genau geschaut werden, ob das gegnerische Ziel eine Waffe trägt oder nicht. Das muss beobachtet und an die Kommandozentrale weitergegeben werden. Nur, wenn man sich ganz sicher ist, darf geschossen werden. Diese Kontrolle ist bei der Manipulation von Pagern und Walkie-Talkies aber gar nicht möglich.

Müsste diese Taktik, also Präparierungen für spätere Explosionen, dann nicht grundsätzlich verboten sein?

Ich halte diesen Einsatz grundsätzlich für problematisch, ja. Da besteht kaum ein Unterschied zu anderen, ähnlich undifferenzierten Waffen, deren Einsatz von vielen Staaten in den meisten Fällen mittlerweile als nicht mit den Genfer Konventionen vereinbar angesehen wird. Ein Beispiel sind die sogenannten Booby Traps, also Sprengfallen, die versteckt werden und dessen Zünder zum Beispiel bei dem Öffnen einer Tür ausgelöst werden. Auch dabei kann man vorher kaum unterscheiden, ob ein Militärangehöriger die Tür aufmacht oder ein Kind. Genau diese Unterscheidung ist aber eben relevant.

Konfliktparteien sind nach dem Völkerrecht auch verpflichtet, die Zahl der zivilen Opfer möglichst klein zu halten. Man könnte argumentieren, dass das durch manipulierte Pager von Hisbollah-Mitgliedern besser funktioniert als durch den Raketenbeschuss ganzer Stadtteile.

Natürlich kann man sagen, dieser quasi zielgerichtete Einsatz ist eine raffinierte Methode und immer noch besser als ganz Libanon in Schutt und Asche zu legen. Allerdings geht es darum beim Prinzip der Unterscheidung nach dem humanitären Völkerrecht nicht. Da geht es einzig darum, ob das Ziel zu dem geschützten, also nicht-bewaffneten, oder zu dem nicht-geschützten Personenkreis zählt. Das kann man nun übertrieben formalistisch finden. Aber am Ende verfolgt das humanitäre Völkerrecht mit diesen Regeln das Ziel, die Zivilbevölkerung zu schützen. Die Prinzipien sollen im besten Fall dafür sorgen, dass Zivilisten gar nicht zum Opfer werden. Um das zu erreichen, zwingt es das Militär, bei jedem Angriff eine exakte Unterscheidung vorzunehmen und außerdem auch die Mittel vorsichtig zu dosieren. Vor diesem Hintergrund gibt es noch einen zweiten Grund, warum ich die Manipulation der Pager als völkerrechtswidrig ansehe.

Welchen Verstoß gegen das Völkerrecht durch die Explosionen sehen Sie noch?

Der Einsatz könnte vor dem Hintergrund von Verletzungen von Zivilisten auch unverhältnismäßig gewesen sein. Selbst, wenn das eigentliche Ziel in diesem Moment der Hisbollah-Kämpfer war, der den Pager am Körper trug, muss der Einsatz verhältnismäßig sein, um völkerrechtskonform zu bleiben. Nun weiß man, dass einige der Pager auch in Supermärkten explodiert sind, man las von Kindern, die getötet worden sind. Noch weiß man nichts Genaues, aber es gibt Berichte über libanesische Ärzte, die ihr Entsetzen darüber äußern, dass eine große Zahl an Zivilisten getroffen wurde.

Allerdings gibt es im Völkerrecht den Begriff des Kollateralschadens. Nicht alle Angriffe, bei denen auch Zivilisten zu Schaden kommen, sind automatisch völkerrechtswidrig.

Das ist richtig. Allerdings darf der Kollateralschaden nicht außer Verhältnis zu dem legitimen militärischen Ziel stehen. Es klingt makaber zu fragen, wie viele Kinder sterben dürfen, um eine Hisbollah-Kommunikationsstruktur auszuschalten. Aber auch diese Überlegung muss vor dem Einsatz stattfinden. Objektive Zahlen, wann ein Einsatz verhältnismäßig ist und wann nicht, gibt es nicht. Auch bei dieser Überlegung kommt es auf den Zeitpunkt vor dem Einsatz an. Und da derjenige, der die Pager manipuliert, bei dieser undifferenzierten Waffe, gar nicht wissen kann, wo sie explodiert, kann er auch nicht von einem verhältnismäßigen Einsatz ausgehen. Auch hier reicht das blinde Vertrauen nicht. Aus meiner Sicht war der Einsatz auch aus diesem Grund völkerrechtswidrig.

Unabhängig von den Kampfmethoden: Inwiefern wäre ein Angriff auf die Hisbollah-Kämpfer im Libanon durch Israel überhaupt vom Völkerrecht gedeckt?

Grundsätzlich gilt nach Artikel 2 der Charta der Vereinten Nationen das Gewaltverbot - Staaten dürfen nicht gegeneinander militärisch Gewalt ergreifen. Hier herrscht nun offensichtlich die Situation, dass von beiden Seiten Gewalt geübt wird. Damit würde sich die Frage stellen, wer Angreifer und Angegriffener in diesem Konflikt ist. Der Angegriffene darf sich verteidigen, die Verteidigungshandlung ist dann gerechtfertigt. Der Angreifer, der dann wiederum zum Ziel der Verteidigungshandlung wird, darf nicht mehr zurückschlagen. Denn der ist sozusagen weiterhin im Unrecht.

Wer ist in diesem Konflikt Angreifer, wer Verteidiger?

Das ist die große Frage, die gerade in diesem Konflikt nicht leicht zu beantworten ist. Denn die Antwort hängt sehr stark davon ab, wie weit man in dem Konflikt zurückgeht, wo man den Beginn des Konfliktes definiert. Man könnte den Beginn bis auf den Libanonkrieg vor einigen Jahrzehnten zurückführen. Ich würde den Zeitraum enger ziehen. Denn andernfalls wären Verteidigungshandlungen seit Jahrzehnten erlaubt. Ich würde den Zweck des Gewaltverbotes in den Mittelpunkt stellen: Verteidigungshandlungen sind erlaubt, um sich vor einem konkreten, gegenwärtigen Angriff zu schützen. Nicht erlaubt wären demnach Angriffe auf Kämpfer in einem latenten Konflikt, von dem im Moment kein Angriff ausgeht, sondern möglicherweise erst wieder in ein paar Wochen. Ich würde das Verhältnis zwischen Angriff und Verteidigung auch deshalb so eng ziehen, da das Risiko einer Eskalation andernfalls immer größer wird.

Allerdings war es die Hisbollah, die ihre Attacken auf Nordisrael als Unterstützung für die Hamas seit dem 8. Oktober vergangenen Jahres verstärkte. Mittlerweile kommt es auf dem israelisch-libanesischem Grenzgebiet stetig zu wechselseitigen Angriffen.

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Genau deswegen ist die Antwort auf die Frage, wer in diesem Fall angreift und wer sich verteidigt, so schwer. Im Prinzip müsste der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über diese Frage entscheiden. Dieser kommt heute zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass er über diese Frage entscheiden wird.

Mit Matthias Goldmann sprach Sarah Platz

Quelle: ntv.de

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