Suche nach Corona-Ursprung Forscher stellen China Ultimatum
28.06.2021, 13:00 Uhr
Huanan-Markt in Wuhan: Im Januar suchte eine Mission unter WHO-Aufsicht nach dem Ursprung des Coronavirus.
(Foto: imago images/Kyodo News)
Eine informell als "Paris Group" bekannte Gruppe internationaler Forscher setzt sich für neue Ermittlungen zum Ursprung von Sars-CoV-2 ein. Dabei soll auch die Möglichkeit eines Forschungsunfalls untersucht werden. Sollte China dabei nicht kooperieren, sehen die Forscher nur einen Ausweg.
Noch immer ist unklar, was der Ursprung des Coronavirus Sars-CoV-2 ist. Eine erste Mission im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Wuhan konnte die Frage nicht abschließend klären. Zudem hagelte es nach Abschluss der Untersuchung Kritik. Mit einem weiteren offenen Brief, in den ntv.de bereits vor Veröffentlichung Einsicht erhielt, setzt sich eine Gruppe internationaler Forscher nun für einen neuen Anlauf ein - und stellt dabei China ein Ultimatum.
Die als "Paris Group" bekannte Gruppe ist ein loser Verbund von etwa 40 Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen. Sie setzt sich dafür ein, dass bei der Suche nach dem Ursprung der Pandemie allen Hypothesen nachgegangen wird - neben einer Zoonose, also einer Übertragung durch Tiere auf den Menschen, auch der Möglichkeit eines Forschungsunfalls. Dabei müsse es sich nicht zwangsläufig um ein genmanipuliertes Virus handeln, betonen die Forscher. Auch ein Unfall beim Sammeln von Proben aus Fledermäusen sei denkbar - oder ein Leck in einem Labor, durch das Viren in die Außenwelt gelangt sein könnten.
Ob ein Laborunfall der Auslöser der Pandemie sein könnte, war zuletzt unter Forschern und in den Medien wieder deutlich reger diskutiert worden. Im Mai hatten sich erstmals renommierte Forscher aus den Bereichen Biologie und Epidemiologie in einem viel beachteten Brief an das Fachmagazin "Science" ebenfalls dafür ausgesprochen, die Laborunfall-These ernst zu nehmen. Auch in Teilen des US-Geheimdienstapparates wird ein Unfall für möglich gehalten - US-Präsident Joe Biden hatte die Geheimdienste schließlich aufgefordert, bis zum Ende des Sommers einen neuen Bericht zum Ursprung des Virus vorzulegen.
China eines der Hauptprobleme
Im aktuellen offenen Brief der "Paris Group" machen die Forscher keinen Hehl daraus, dass aus ihrer Sicht bisher China eines der Hauptprobleme bei den Ermittlungen war. Was den Corona-Ursprung betrifft, gebe es "derzeit keine wirkliche internationale Untersuchung", sagt Virginie Courtier, französische Genetikerin und Mitunterzeichnerin des offenen Briefes, laut einer Mitteilung. Die WHO könne sich "keinen Zutritt zu China und den relevanten chinesischen Institutionen verschaffen, ohne vorher die Erlaubnis der chinesischen Regierung einzuholen".
Die Forscher fordern die Regierung in Peking daher dazu auf, bei einer neuen Phase der Ermittlungen "vollumfänglich" zu kooperieren. Ein neu aufgestelltes internationales Ermittlerteam soll Zugang zu allen relevanten Daten erhalten und auch vertraulich mit chinesischen Experten sprechen dürfen - ohne Einmischung oder Kontrolle durch die chinesische Regierung. Auch WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus hatte nach der ersten Mission von "Schwierigkeiten beim Zugang zu Rohdaten" gesprochen.
Um zu verhindern, dass sich der Start einer neuen Mission im Auftrag der WHO unnötig verzögert, stellt die "Paris Group" der chinesischen Regierung zudem ein Ultimatum: Peking bekommt zwei Monate Zeit, um neue Ermittlungen unter den genannten Bedingungen zu akzeptieren. Sollte die chinesische Regierung nicht darauf eingehen, soll alternativ eine internationale Ermittlung ohne Beteiligung Chinas in die Wege geleitet werden - etwa unter Führung der OECD oder der G7.
Forscher: Neue Ermittlung wohl ohne China
Dass sich China von den Forschern auf diese Weise tatsächlich zu einer umfassenden Kooperation bewegen lässt, daran hat Genetikprofessor Günter Theißen, einer der Unterzeichner des Briefes, seine Zweifel. Er bezeichnet gegenüber ntv.de die Aufforderung zur Kooperation vielmehr als ein "diplomatisches Angebot" an Peking. "Dass China darauf eingeht, die Wahrscheinlichkeit halte ich für sehr gering", so Theißen. Dennoch sei eine Zusammenarbeit mit Peking natürlich absolut wünschenswert, weil das die Erfolgsaussichten der Untersuchung erheblich erhöhen würde.
Allerdings glaubt Theißen, dass eine neue Untersuchung zum Ursprung von Sars-CoV-2 ohne China ablaufen werde. "Und diese Anstrengungen werden ja schon jetzt von zahlreichen Forschern auf der Welt unternommen." Ob das ohne Beteiligung Chinas Erfolg haben könnte, hänge davon ab, wie viele Informationen noch aufzufinden seien - etwa in Online-Datenbanken. Aber Theißen gibt auch zu bedenken: Selbst mit einer vollständigen Kooperation Chinas sei es nicht gesichert, dass das Rätsel um die Herkunft des Virus gelöst werden kann.
Die "Paris Group" ist mit ihrer Forderung nach einer neuen Untersuchung nicht allein. So hatten zuletzt etwa die G7-Staaten in ihrer Abschlusserklärung nach dem Gipfel in Carbis Bay eine "zeitnahe, transparente, von Experten geleitete und wissenschaftlich fundierte Phase-2-Studie zum Ursprung von Covid-19" gefordert - und zwar auch in China. WHO-Chef Tedros hatte im März ebenfalls zu weiteren Ermittlungen aufgerufen. Die Details, wie und in welchem Umfang diese durchgeführt werden sollen, sind bisher jedoch weiter offen.
Quelle: ntv.de