Sozialleistungen nicht tabu Frankreichs Rechnungshof fordert beispiellosen Sparkurs
12.03.2024, 17:28 Uhr Artikel anhören
Macron bekommt deutliche Ansagen von den obersten Kassenprüfern Frankreichs.
(Foto: via REUTERS)
Frankreich müsste nach Ansicht seines Rechnungshofes Milliarden sparen, um das Defizitkriterium einzuhalten. Inzwischen gehört das Land zu den am stärksten verschuldeten in der EU. Die Behörde mahnt daher einen rigorosen Kurswechsel an. Zugleich kritisiert es die Schritte im Kampf gegen den Klimawandel.
Frankreichs Rechnungshof hat angesichts einer hohen Verschuldung des Landes drastische Sparanstrengungen angemahnt. Die Regierung habe sich trotz Warnungen auf zu rosige Wachstumsprognosen gestützt, teilte der Rechnungshof in seinem Jahresbericht in Paris mit. Scharfe Kritik übte die Behörde zudem an der aus ihrer Sicht mangelnden Planung mit Blick auf die Anpassungen an den Klimawandel. "Der Staat nimmt nicht die strategische Rolle ein, die darin besteht, Ziele festzulegen und den Weg dorthin zu beschreiben", heißt es in einem Bericht, der sich erstmals auf die Anstrengungen mit Blick auf die Folgen des Klimawandels konzentriert.
Das Ziel einer Begrenzung des Defizits auf 4,4 Prozent im laufenden Jahr sei noch nicht erreicht, heißt es in dem Jahresbericht weiter. Eine Verzögerung könne die Rückkehr unter die Schwelle von drei Prozent im Jahr 2027 gefährden. Mit einem Schuldenstand von voraussichtlich 109,7 Prozent des BIP in diesem Jahr habe Frankreich sich neben Griechenland und Italien "auf dem Podium der drei am stärksten verschuldeten Länder eingerichtet", betonte Moscovici. Wenn das Staatsdefizit wie angestrebt bis 2027 wieder unter die EU-Grenze von drei Prozent gedrückt werden solle, müssten bis dahin weitere 50 Milliarden Euro im Haushalt eingespart werden.
"Sparen, ohne das Wachstum zu beschädigen"
Neben Einschnitten bei den Ausgaben seien ambitionierte Reformen in Schlüsselsektoren nötig, um die Staatsausgaben langfristig in den Griff zu bekommen. "Sparanstrengungen, die in der jüngeren Geschichte beispiellos sind, sind notwendig", sagte Moscovici der Wirtschaftszeitung "Les Échos". Davon könnten auch Sozialleistungen sowie Kommunen nicht ausgenommen werden.
"Unsere Situation steht nicht nur im Kontrast zu traditionell sparsamen Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und Österreich, sondern auch im Vergleich zu Portugal, dessen Staatsverschuldung mittlerweile unter 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt", sagte Moscovici. "Die Herausforderung besteht darin, massive Einsparungen zu erzielen, ohne das Wachstum zu beschädigen."
Investitionen in die Zukunft etwa für die Forschung, die Ökologie und den sozialen Zusammenhalt müssten möglich bleiben. "Es geht nicht darum, die Investitionen zu kürzen, sondern darum, sie finanzieren zu können. Um in Ökologie, Innovation oder Bildung zu investieren, müssen wir unbedingt Schulden abbauen", sagte der frühere EU-Kommissar für Wirtschaft und Finanzen.
Solidaritätsfonds für Umsiedlung
Mit Blick auf den Klimawandel monierte die Behörde derweil, dass bessere Isolierung und neue Heizungen nicht ausreichend seien, um Häuser und Wohnungen gegen die Folgen des Klimawandels zu schützen. Die staatlichen Hilfen dienten derzeit vor allem dazu, es während der kalten Monate wärmer zu haben und dabei weniger CO2 auszustoßen. Daneben müssten Häuser und Wohnungen zunehmend aber auch gegen Hitzewellen, Überschwemmungen und Mauerrisse wegen austrocknender Böden geschützt werden, heißt es in dem Bericht. Zu diesem Zwecke forderte der Rechnungshof die Einrichtung von Solidaritätsfonds, um etwa die Umsiedlung von Bewohnern von Küstenstreifen oder die Umwandlung von Skistationen zu unterstützen.
Auf eine Prognose, wie viel Frankreich für diese Aufgaben investieren sollte, verzichtete die Institution. Im vergangenen Jahr war in einem Expertenbericht von drei Milliarden Euro jährlich die Rede gewesen. Von Sparmaßnahmen in diesem Bereich warnte der Chef des Rechnungshofs jedoch ausdrücklich. "Es wäre paradox, ausgerechnet dort zu sparen, wo der Investitionsbedarf am größten ist", sagte Pierre Moscovici bei der Vorstellung des Berichts.
Quelle: ntv.de, jwu/dpa/AFP