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Freigabe von Cannabis Droht Lauterbach ein Debakel wie Scheuer bei der PKW-Maut?

"Ich mag eigentlich komplexe Gesetze, aber das hier geht wirklich in jeden Winkel", sagt Karl Lauterbach über die geplante Legalisierung von Cannabis.

"Ich mag eigentlich komplexe Gesetze, aber das hier geht wirklich in jeden Winkel", sagt Karl Lauterbach über die geplante Legalisierung von Cannabis.

(Foto: picture alliance/dpa)

Schon im Herbst will die Ampel Eckpunkte für ein Gesetz zur Cannabis-Legalisierung vorlegen. Laut einem neuen Gutachten ist diese aber nicht mit europäischem Recht vereinbar. Experten warnen vor Schnellschüssen.

Die Ampel hat sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf geeinigt, "die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften" einzuführen. Eine geplante Cannabis-Legalisierung kollidiert aber möglicherweise mit EU-Recht, wie eine neue Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zeigt. Ähnlich wie bei der gescheiterten Pkw-Maut könnte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein neues Gesetz kassieren.

"Das würde die gesamten Legalisierungsbestrebungen hemmen, wenn so ein Urteil einmal in der Welt ist", sagt Rechtsexperte Robin Hofmann von der Universität Maastricht. Er beschäftigt sich seit Jahren mit den Herausforderungen der Cannabis-Legalisierung in Europa und hält eine Anpassung des EU-Rechts für unumgänglich. Die neuen Ergebnisse des Wissenschaftlichen Dienstes seien darum wenig überraschend.

Rechtsexperte: nationaler Alleingang riskant

In anderen EU-Länder wie den Niederlanden tolerieren die Strafverfolgungsbehörden lediglich den Ladenverkauf von Cannabis. Der Handel und Anbau ist allerdings - außer für medizinische und wissenschaftliche Zwecke - gemäß Europarecht verboten. Anbau für den Eigenbedarf erlauben neben den Niederlanden noch Luxemburg und Malta. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will dagegen Tempo machen für eine umfassende Cannabis-Legalisierung. Einen Gesetzesentwurf will er schon Ende 2022 oder Anfang 2023 dem Bundestag vorlegen. Trotzdem gebe es Hürden. Dem "Spiegel" erklärte der SPD-Politiker: "Ich mag eigentlich komplexe Gesetze, aber das hier geht wirklich in jeden Winkel." Wenn es gut laufe, werde er im Herbst Eckpunkte vorstellen.

Hofmann ist skeptisch, ob das gelingt. "Die EU sitzt im Fahrersitz bei allen Kriminalthemen. Bei Terrorismus, bei Geldwäsche. Die EU hat da eine klare Linie bei der Drogenpolitik", sagt er. Auf dieser Linie zu fahren, das habe Deutschland unter anderem im Schengen-Protokoll zugesichert. Der Rechtsexperte hält einen nationalen Alleingang darum für juristisch heikel. "Das muss auf EU-Ebene passieren. Das ist langwierig, oft frustrierend. Aber das ist letztendlich die europäische Lösung - Dinge gemeinsam zu entscheiden."

Völkerrechtliche Abkommen wichtiger als Europarecht?

Kai Ambos, Professor für Straf- und Völkerrecht an der Universität Göttingen, hält dagegen. Im Verfassungsblog warnt er davor, die Bedeutung der Rechtsgutachten für den Bundestag zu überschätzen und bezeichnet das neuste Papier als "neun Seiten Substanzlosigkeit". Ambos argumentiert schon länger dafür, dass völkerrechtliche Abkommen Europarecht ausstechen.

Eine Cannabis-Legalisierung wäre demnach auch kurzfristig umsetzbar, ohne das EU-Recht selbst zu verändern. Die These lautet, dass Deutschland beispielsweise aus der 1973 ratifizierten UN-Konvention gegen narkotische Drogen austreten und direkt wieder eintreten könnte - diesmal mit dem Vorbehalt, Cannabis davon auszunehmen. Der Gedanke: Auch das EU-Recht orientiert sich an diesen Abkommen, die EU könnte Deutschland daher nicht belangen. Kanada und Uruguay setzten sich mit ihrer Cannabis-Politik sogar ohne Vorbehalt über die UN-Resolution hinweg, so Ambos. Eine Rüge des International Narcotics Control Board (INCB), das die Einhaltung der entsprechenden internationalen Abkommen überwacht, nehmen sie dabei in Kauf.

Deutschland will es besser machen als die Niederlande

Peter Homberg sieht keine kurzfristige und haltbare Umsetzung der Cannabis-Legalisierung wie von der Bundesregierung angestrebt. Der Rechtsanwalt berät unter anderem Unternehmen, die mit medizinischem Cannabis arbeiten. Die Ampel habe den Wählern zu große Hoffnungen gemacht, sagt er. "Eine Cannabis-Legalisierung für Erwachsene zu Genusszwecken ist in der von den zukünftigen Konsumenten erwarteten Geschwindigkeit nicht möglich."

Die EU-Länder Portugal, Malta und Luxemburg seien keine Vorbilder für die deutschen Legalisierungsbestrebungen, so Homberg. Für die Schaffung eines Genussmarkts über eine "Legalisierung Light" hinaus könne beispielsweise ein breit angelegtes wissenschaftliches Modellprojekt gestartet werden. "Die Niederlande machen das seit 2021 und sagen: Wenn das gut läuft, dann setzen wir das dauerhaft um", erklärt Homberg. Dann blieben aber die gleichen Herausforderungen: eine langwierige Änderung des Europarechts oder ein möglicher Konflikt mit internationalem Recht.

"Keine kurzfristige Lösung ohne Risiken und Folgeprobleme"

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Selbst wenn weder der EuGH noch der INCB einen Alleingang rügen würden, stelle sich die Frage, wie der Handel und Betrieb praktisch umgesetzt werden sollen. "Für einen erfolgreichen Genussmarkt braucht es einen nicht signifikant über dem Schwarzmarkt liegenden Preis, eine kontrollierte und hohe Qualität und ein funktionierendes Vertriebsnetz. Das wird sich so schnell nicht anbieten lassen", sagt Homberg. Teilnehmende Lieferstaaten würden ihrerseits gegen geltende UN-Abkommen verstoßen.

Die völkerrechtlichen und europarechtlichen Hürden zeigen, dass eine schnelle Umsetzung der Cannabis-Legalisierung auf nationaler Ebene riskant ist. Auch wenn Rechtsexperten wie Kai Ambos das Völkerrecht in der Hoheit sehen, bremst Robin Hofmann die Erwartungen auf eine schnelle Freigabe. Deutschland müsse jetzt die EU-Mitgliedsstaaten an einen Tisch holen. "Bei den anderen juristischen Tricks auf Völkerrechtsebene wird die EU nicht sagen: Da können wir nichts machen." Sich auf eine milde EU zu verlassen, sagt Hofmann, sei ein "unkalkulierbares Risiko".

Quelle: ntv.de

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