Politik

Der CDU-Chef und die AfD Friedrich Merz meint, was er gesagt hat

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Es ist ihm schon wieder passiert: Friedrich Merz muss die eigenen Aussagen zur AfD richtigstellen. Doch dass dem CDU-Chef ein Lapsus unterlaufen ist, ist wenig glaubhaft. Eher ist Merz' missglücktes Sommerinterview das Resultat strategischer Planlosigkeit.

Wer zwölf Stunden nach einem wichtigen Fernsehinterview die eigenen Aussagen via Twitter geraderücken muss, hat sein Interview verbockt. Nachdem der Entrüstungssturm über Friedrich Merz' Aussagen zur AfD schon einmal quer durch Nachrichten- und soziale Medien getobt war, nahm der CDU-Chef am Montagmorgen via Twitter selbst Stellung zu seinem ZDF-Interview am Vorabend: "Ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben", tippte der Unionsfraktionsvorsitzende Merz höchstpersönlich in sein Smartphone.

Merz' Problem: Auf demselben Twitter-Account hatten abends seine Mitarbeiter ein Zitat aus selbigem Sommerinterview verbreitet, das zur Behauptung "nie anders gesagt", so gar nicht passen will: "Das Thema Zusammenarbeit mit der AfD betrifft die gesetzgebenden Körperschaften, also im Europaparlament, im Bundestag und in den Landtagen." Diese Präzisierung dieses Ausschlusses habe er schon auf dem kleinen Parteitag der CDU am 16. Juni vorgenommen.

Und tatsächlich: "Es wird für uns weder im Europaparlament, noch im Deutschen Bundestag, noch in irgendeinem Landtag in Deutschland eine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben", hatte Merz vor etwas mehr als fünf Wochen vor CDU-Delegierten in Berlin gesagt. Er erntete dafür 40 Sekunden langen Applaus sowie Überschriften in den Medien, wonach sich der CDU-Vorsitzende erneut klar von der AfD distanziert habe. Die Leerstelle mit den Kommunen, die er eben nicht aufgezählt hatte, war damals niemandem so richtig aufgefallen.

Welche Rolle spielt der Parteitagsbeschluss?

So betrachtet hat Merz in seinem Sommerinterview am Sonntag es offensichtlich gemeint, wie er es gesagt hat: In den Kommunen sei eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit zwischen CDU- und AfD-Politikern zuweilen unvermeidbar. Im Wortlaut: "Natürlich muss in den Kommunalparlamenten nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet." CDU-Mitglieder wie Ruprecht Polenz oder Norbert Röttgen, beide keine Merz-Freunde, erinnerten Merz umgehend an die Beschlusslage der Partei, die Kooperationen mit der AfD ablehnt. "Die CDU lehnt jegliche Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit mit der AfD ab. Die CDU wird alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzen, diesen Beschluss durchzusetzen", bekräftigte die Partei im Jahr 2019 ihre Beschlusslage nach dem rechtsextremistischen Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Parteitagsbeschlüsse sind keine Gesetzestexte und ein Mandatsträger, der sich über diese hinwegsetzt, kann nicht einfach so aus der Partei geworfen werden. Es ist auch nicht ausbuchstabiert, wo die Zusammenarbeit beginnt, zumal der ursprüngliche Beschlusstext von 2018 selbst auf Grauzonen etwa beim gemeinsamen Abstimmungsverhalten verweist. Dennoch hat sich Merz zum Amtsantritt als Parteichef unmissverständlich hinter diese auf den ersten Blick rigide Linie seiner CDU gestellt: "Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an", sagte er im Dezember 2021 dem "Spiegel".

Wie umgehen mit Verstößen auf Kommunalebene?

Angestrengt wurde ein Parteiausschlussverfahren unter Merz' Ägide aber nur - und das auch erst spät - gegen Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, der schon seit Jahren immer drastischer in antisemitische und demokratiefeindliche Verschwörungserzählungen abkippt. Die CDU-Kommunalpolitiker aber, die die viel zitierte Brandmauer eben doch nicht aufrechterhalten haben, weil sie sich in ihren teils kleinen Kommunen den Vertretern der AfD näher fühlen als denen von Grünen und Linken, wurden aus nachvollziehbaren Gründen nicht von der eigenen Partei verfolgt.

Faktisch hat Merz also am Sonntagabend nur eingeräumt, was längst Realität ist. Gerade in östlichen Ländern steht die CDU immer wieder vor dem Problem, dass ein gemeinsames Abstimmungsverhalten mit der AfD nur schwer zu vermeiden ist. Im Landkreis Sonneberg, wo jüngst der erste AfD-Politiker zum Landrat gewählt worden ist, haben die Fraktionen beider Parteien wiederholt zusammen abgestimmt. In Sachsen hat der Streit um den nötigen Mindestabstand zur AfD das Potenzial, den CDU-Landesverband zu sprengen. In Sachsen-Anhalt ist die Brandmauer der CDU zur AfD im Wesentlichen auf die Person des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff geschrumpft. Solange die christdemokratische Führungsriege kein Patentrezept gegen den Erfolg der AfD gefunden hat, wären Sanktionen gegen die eigenen Mitglieder auf kommunaler Ebene der reinste Brandbeschleuniger. Lösungen für dieses Problem boten auch die Kritiker von Merz' Aussagen am Montag nicht.

Noch immer keine Strategie gefunden

Allerdings passt Merz' Auftritt im Sommerinterview zu dem Eindruck, dass der 67-Jährige auf der Suche nach dem richtigen Umgang mit der AfD und ihren Themen weiter im Dunkeln tappt - eineinhalb Jahre nach der mühsam erkämpften Machtübernahme in der CDU. Seit dem kleinen Parteitag in Berlin hat sich Merz noch mehrmals direkt oder indirekt mit der AfD auseinandergesetzt und ihr so Aufmerksamkeit verschafft. Ein am 30. Juni vorgestelltes Sofortprogramm der Präsidien von CDU und CSU hieß "Agenda für Deutschland". Das sah noch wie ein merkwürdiges Versehen aus. Rund zwei Wochen später bewarb Merz die Unionsparteien als "Alternative für Deutschland mit Substanz". Dass diese sprachliche Nähe problematisch sein könnte, wies Merz im Sommerinterview zurück: "So ist Demokratie: Es gibt eine Regierung und es gibt zu dieser Regierung eine Alternative", gab sich Merz unbeirrt.

Zuständig dafür, die AfD zurückzudrängen, hält Merz sich und seine Partei nur bedingt. "Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren", sagte Merz "T-Online", eine Woche bevor er die "Agenda für Deutschland" vorstellte. Die Halbierung der AfD ist ein selbst eingebrocktes Thema: 2018 hatte Merz während des Rennens um den CDU-Vorsitz, nach Jahren der Abwesenheit in der Politik, genau diese Halbierung angekündigt. "Halbieren kann man sie", sagte Merz im "Spiegel" über die AfD. Und bekräftigte auf einer der vielen Regionalkonferenzen seiner Partei: "Das traue ich mir zu, die AfD zu halbieren - das geht."

Bedingt erfolgreich

Dass einer, der über Jahre Top-Jobs in der freien Wirtschaft den Mühen der politischen Ebene vorgezogen hatte, nun zu wissen meinte, wie die AfD kleinzukriegen sei, war in Teilen der Partei schon damals als anmaßend empfunden worden. Andererseits war da auch diese Überlegung: Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet als CDU-Chefs so gar nicht verfangen hatten im Osten, könnte der stramm wirtschaftsliberale, gesellschaftlich konservative Merz in den neuen Bundesländern verloren gegangene CDU-Wähler zurückholen. Die dortigen Landesverbände hatten sich bei den Rennen um den CDU-Vorsitz jeweils für Merz ausgesprochen.

Merz hat seit seinem Amtsantritt wiederholt versucht, typische AfD-Themen für seine Partei zu reklamieren: Im Herbst 2022 unterstellte Merz ukrainischen Flüchtlingen "Sozialtourismus" und sprach im Zusammenhang mit den Silvesterkrawallen in Berlin von "kleinen Paschas", die den Lehrerinnen im Bezirk Neukölln das Leben schwer machten. Seit einigen Wochen versucht die CDU zudem, die Ampel-Koalition mit verschärften Positionen beim Thema Asyl unter Druck zu setzen. In den Umfragen erzielte das alles nur bedingt Wirkung: Die Union steht bundesweit stabil bei 28 bis 30 Prozent, was aber insbesondere der Schwäche der Bundesregierung geschuldet scheint. Stimmenzuwächse durch eigene Themensetzungen verzeichnet die Union bislang genauso wenig wie Merz selbst, dessen persönliche Umfragewerte schwach sind. Er strahlt nicht über das Lager der CDU-Anhänger hinaus.

Ein Testballon mit beunruhigendem Ergebnis

Hinzukommt, dass Merz nicht zum ersten Mal die eigenen Äußerungen wieder einfangen muss: Für den "Sozialtourismus" musste er sich entschuldigen, die "kleinen Paschas" wiederholt erklären und auch Merz' Behauptung, die Grünen seien Hauptgegner der Union war zumindest unglücklich angesichts der existenziellen Gefährdung der Demokratie durch die AfD. Tatsächlich gesagt hatte Merz zwar, unter den drei Regierungsparteien seien die Grünen der Hauptgegner. Doch trotz aller Erfahrung mit Medien und der schnell entstehenden Aufregung in den sozialen Netzwerken passiert es Merz immer wieder, Steilvorlagen für den Gegner zu formulieren. So beißend brillant wie Merz als Oppositionsführer im Bundestag oft auftritt, so traumwandlerisch überschreitet der CDU-Chef immer wieder auch Grenzen - und wundert sich dann über die Reaktionen.

Aus dem Lager von SPD, Grünen und Linkspartei werteten Vertreter die jüngsten Aussagen zur AfD als eine Art Testballon, wie stark Merz unbeschadet nach rechts blinken könnte. Demnach steckt hinter den vielen kleinen Provokationen und Missverständnissen eher Kalkül als Unbedachtheit. Das wäre noch zu beweisen. Als Testballon taugten Auftritte wie im Sommerinterview aber allemal: nämlich dafür, wie geschlossen die Partei hinter ihrem Vorsitzenden steht. Angesichts der zahlreichen sofortigen Distanzierungen diverser CDU-Politikerinnen und -Politiker steht der Parteichef auf offenbar wackligem Grund. Auch CSU-Chef Markus Söder ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, sich als der bessere AfD-Gegner zu stilisieren.

Nichts zu hören war dagegen ausgerechnet aus der Düsseldorfer Staatskanzlei: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst gilt als Merz' aussichtsreichster Konkurrent um die Kanzlerkandidatur der Union. Wüst hatte sich vor dem kleinen Parteitag Mitte Juni mit einem Plädoyer für einen Kurs der Mitte klar gegen Merz positioniert. Nachdem sich Merz nun einmal mehr in eine vermeintlich rechte Ecke manövriert hat, brauchte Wüst das gar nicht weiter zu kommentieren. Das Bild des in einer entscheidenden Frage unsicher und planlos agierenden Friedrich Merz, der sich ohne Not der Opposition zum Fraß vorgeworfen hatte, sprach für sich. Es war, wie gesagt, kein gelungenes Interview.

Quelle: ntv.de

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