Von wegen möglichst früh Teile der AfD hoffen auf Scholz' Wahl-Zeitplan
09.11.2024, 09:11 Uhr Artikel anhören
Nach außen hin fordert AfD-Chefin Alice Weidel die sofortige Vertrauensfrage. Intern hoffen viele AfDler auf einen späteren Termin.
(Foto: picture alliance / dts-Agentur)
Nach außen beteuert die AfD, lieber heute als morgen einen neuen Bundestag wählen zu wollen. Doch intern gibt es große Bedenken. Die Partei ist nicht gut auf den vorzeitigen Koalitionsbruch vorbereitet. Das könnte ihr jetzt auf die Füße fallen.
Er kommt zu spät. Die Sonderfraktionssitzung der AfD nach dem Ampel-Aus läuft schon einige Minuten, da hetzt der Co-Chef der AfD mit seinem Büroleiter aus dem Aufzug in Richtung Sitzungssaal. Die Laune wenig begeistert. Tino Chrupalla rühmt sich gerne seiner deutschen Tugenden. Zu spät kommt er gar nicht gern. Er hat sich verschätzt, die politische Lage falsch vorhergesehen, wie wohl viele andere in seiner Partei auch. Am Vorabend erst war er mitten in der Sitzungswoche zurück in die sächsische Heimat gefahren. Ein Zahnarzttermin stand im Kalender. Das gerade dann der Streit zwischen Kanzler und Finanzminister die Koalition zum Platzen bringt - damit gerechnet haben sie in der AfD nicht.
So soll auch im Fraktionssaal die Stimmung nicht überragend gewesen sein, erzählen Teilnehmer. "Niemand jubelt gerade", meint ein Mitarbeiter eines AfD-Abgeordneten gegenüber ntv. Das Problem: Es könnte schlicht zu schnell gehen mit den Neuwahlen. Organisatorisch sind sie dafür noch nicht bereit, haben sie nicht genug vorgesorgt für ein so frühes Ampel-Aus.
Nach außen klingt das anders: "Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers erst am 15. Januar zu stellen, ist unverantwortlich", poltert Parteichefin Alice Weidel in der Pressekonferenz nach der Fraktionssitzung. "Er muss den Weg für Neuwahlen sofort freimachen." Intern aber, so heißt es aus dem Umfeld der Parteiführung, hoffen alle sehr darauf, dass sich der Bundeskanzler mit seinem Plan durchsetzt: "Da wären alle extrem erleichtert." Ein einflussreicher Abgeordneter erzählt, er habe gleich Donnerstagmorgen zwei bis drei Stunden in seinem Landesverband "rumtelefoniert", um Fragen bezüglich noch offener Direktkandidaten-Aufstellungen zu klären. "Probleme haben jetzt alle", meint er.
Probleme in Nordrhein-Westfalen
In einigen AfD-Landesverbänden herrschen große Sorgen, da sie erst im Frühjahr ihre Wahllisten auf Parteitagen wählen wollten. Ohne die kann man im jeweiligen Bundesland nicht zur Wahl antreten. Sieben Landesverbände haben auch für November noch keinen Termin für eine solche Aufstellungsversammlung angesetzt, darunter mit Bayern und Nordrhein-Westfalen ausgerechnet die einwohnerstärksten. Gerade im Westen hat die Partei Probleme, überhaupt geeignete Hallen zu bekommen. Die Kurzfristigkeit macht es noch schwieriger. Und in Nordrhein-Westfalen gibt es ohnehin Ärger, mit dem sich bereits der Bundesvorstand befasst.
Ein Landtagsabgeordneter soll bei der Aufnahme von Neumitgliedern geschummelt und sie falschen Kreisverbänden zugeordnet haben. Gegen ihn läuft mittlerweile ein Parteiausschlussverfahren. Das Problem für eine Bundestagswahlliste: Anhand der Mitgliederzahlen der Kreisverbände wird die Delegiertenanzahl bestimmt, die die Verbände zur Aufstellungsversammlung schicken dürfen.
Stimmt dabei etwas nicht, könnte die Landeswahlleiterin die Rechtmäßigkeit der Versammlung anzweifeln. Die gewählte Liste könnte im Extremfall gar ungültig werden. In NRW wäre die AfD dann bei der Bundestagswahl nicht zu wählen. Das könnte die Partei bundesweit bis zu sechs Prozentpunkte kosten, wird in der AfD spekuliert. Schon für kommenden Montag steht das Thema daher erneut auf der Tagesordnung des Bundesvorstands.
Doch es gebe auch menschliche Gründe, warum einigen Bundestagsabgeordneten eine vorgezogene Neuwahl überhaupt nicht passt, erzählt ein Mitarbeiter der AfD-Fraktion. "Viele Funktionäre sind unglücklich: Die haben Bausparverträge und Leasingautos", spielt er auf die Unsicherheit für jeden Abgeordneten an, auch im nächsten Bundestag wieder vertreten zu sein und das gute Parlamentariereinkommen weiter zu beziehen. Von der Unsicherheit im Kreise der weiteren Mitarbeiter ganz zu schweigen. Auch deswegen sei die Idee, als AfD selbst ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Scholz einzubringen und dabei auf die Unterstützung aus anderen Fraktionen zu hoffen, schnell wieder verworfen worden. "Die wollen doch alle noch schöne Weihnachtsgeschenke kaufen", lästert er.
Weidel soll am 7. Dezember gekürt werden
Alle Gesprächspartner aus der AfD, die ohne Namensnennung offen ihre Eindrücke teilen, sind sich in einer Einschätzung einig: Für eine nicht ganz unwichtige Person in der Partei wäre ein verkürzter Wahlkampf tatsächlich der Jackpot - Parteichefin Alice Weidel. Sie soll Kanzlerkandidatin werden. Ein monatelanger Auftrittsmarathon zwischen Talkshows und Marktplätzen bleibt ihr so erspart. Das käme ihr sehr entgegen, heißt es, schließlich versuche sie stets viel Zeit bei ihrer Frau und ihren Kindern in der Schweiz zu verbringen. Schon in der Vergangenheit hat sie in Wahlkämpfen deutlich weniger Veranstaltungen besucht als Chrupalla, ihr Co an der Parteispitze.
Nach Informationen von ntv steht mittlerweile auch schon der Termin für ihre Kür: Am 7. Dezember bei einem Treffen des Bundesvorstandes in Berlin soll sie gewählt werden, heißt es aus Kreisen der Parteiführung. Anschließend soll auch ein gemeinsames Treffen des Bundesvorstands mit den Landesvorsitzenden der AfD stattfinden. Dort soll Weidels Kür noch einmal bestätigt werden. Auch eine Pressekonferenz sei geplant.
Ursprünglich sollte ein Bundesparteitag Ende März in Riesa Weidels Kandidatur offiziell beschließen. Aufgrund des vorzeitigen Ampel-Aus versucht die AfD, diesen Parteitag schon im Januar stattfinden zu lassen - vermutlich an einem anderen Ort in Ostdeutschland. Der Parteitag soll dann mit einer bestätigenden Wahl Weidels auch offizieller Wahlkampfauftakt der AfD sein.
Quelle: ntv.de